Einst Bergwerk, heute Spielwiese der Kunst

Die Künstlerzeche Unser Fritz 2/3 feiert 60-­Jähriges. Sie ist zu einer festen Größe der Kultur in Herne ­geworden. Ein bunter Atelier-Rundgang.

Von Katrin Ziegast
Die Zeche Unser Fritz war ein Steinkohlebergwerk in ­Wanne-­Eickel und gehörte zu den bedeutenden Bergwerken im ­Regierungsbezirk Arnsberg. 4.000 Beschäftigte, 900.000 Tonnen Steinkohle - das sind beeindruckte Zahlen, die 1925 geschrieben wurden. Im Zuge der Bergbaukrise in den 1960er-Jahren wurde die Förderung jedoch eingestellt. Aus der stillgelegten Schachtanlage 2/3 entwickelte sich ein lokales Zentrum für Künstler:innen, die Künstlerzeche Unser Fritz 2/3.
Helmut Bettenhausen, einer der wichtigsten Vertreter der Konkreten Kunst des Ruhrgebiets, ergreift 1964 die ­Initiative zur Umnutzung der alten Zeche. Knapp acht Jahre ­später schließen sich ihm weitere Künstler:innen an. Zunächst ­werden auf der ehemaligen Zeche jedoch Segelflugzeuge ­gebaut, danach wird an Autos geschraubt und dann kommen endlich auch die Künstlerinnen. Helmut Bettenhausen wohnte „umme Ecke” und war durch seinen Vater, der hier Bergmann war, mit der Zeche verbunden. Er hat das Areal in seiner Studienzeit als Grafikdesign-Student immer im Blick und mietet bei der ersten Gelegenheit sein erstes Atelier für 50 Pfennig pro ­Quadratmeter. Nach und nach schleust er weitere Künstler:innen ein – denn Wanne-Eickel hat eine rege Kunstszene zu verzeichnen. Ein Netzwerk entsteht – hier wird nicht nur kreativ gearbeitet; die Kunst soll auch nach außen strahlen. Bettenhausen plant Veranstaltungen für alle – nicht nur für den Inner Circle der Künstlerszene, sondern für alle Wanne-Eickeler-Bürger:innen: Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und Feste werden zu einer festen Größe im Kulturangebot.
... die Kunst soll auch nach außen strahlen.
„Immer wenn ich hier auf den Hof fahre, bin ich glücklich.“ Die Herner Künstlerin, Grafikdesignerin und Künstlersprecherin der Zeche, Marijke Brauckmann, arbeitet seit sechs Jahren auf der Künstlerzeche. Ungefähr so würde wahrscheinlich auch Helmut Bettenhausen sein Gefühl beschreiben, das er immer verspürt, wenn er hier vorbeikommt.

Es dauert knapp 30 Jahre, bis auch die Stadt Herne und das Land NRW das Potenzial sehen, das hier schlummert, und der Künstlerszene Unterstützung zusagen. Sanierung und Umbau des verbliebenen Kauengebäudes waren dann aber ­beschlossene Sache. Zuvor durfte sich Helmut Bettenhausen Sätze wie diese anhören: „Für deine Zeche bekommst du nicht eine müde Mark von mir!“ Ein Zitat des damaligen Vorsitzenden des Kulturausschusses Ullrich Kohllöfel. 2002 war die Sanierung dann endlich abgeschlossen, und elf Künstler:innen konnten einziehen. Heute blickt die Künstlerzeche auf eine beachtliche Zahl an Künstlergrößen zurück, die hier ­Station gemacht haben. Günter Dworak, Winfried Labus, ­Peter Grzan , Horst Dieter Gölzenleuchter, Reiner Henrichs.
Wir starten unseren Atelier-Rundgang – heute arbeiten hier dreizehn verschiedene Künstler:innen. Es riecht nach ­Farbe, Bleistiftskizzen von einer Reihe Möpse hängen an einem ­Regal. „Hallo! Hereinspaziert!“ Marijke Brauckmann schaut um die Ecke und begrüßt uns bzw. „Das Lama der Liebe“ – das Bild hängt direkt neben der Tür. Der Humor, den Marijke in ihren Bildern transportiert, springt direkt über. „Ich mag das, wenn die Leute schmunzeln“, merkt Brauckmann an. ­Nächstes Jahr gibt es auch eine Gruppenausstellung zum Thema ­Comic, ­Grafik und Illustration. „Da ist Marijke natürlich auch ­dabei“, wirft Florian Kunath ein. Er ist zusammen mit Dr. Falko ­Herlemann im Vorstand des Vereins. Es soll ­zukünftig mehr Themenschwerpunkte geben, die sich wie ein roter Faden durch alle Ausstellungen und Veranstaltungen im Jahr ­ziehen, und auch mehr Kooperationen wie z. B. mit dem Museum ­Ludwig in Oberhausen und der Lebenshilfe.
Nebenan im Atelier empfängt uns derweil ein Drahtesel. Und zwar ein richtiger – ein Rad voller Draht. Geschaffen hat das Kunstwerk Werner Ryschawy, seines Zeichens Zeichner und Bildhauer und das seit 22 Jahren an diesem Ort. Dem Ruf nach Oregon ist er nicht gefolgt, weil er eben nicht die „­große Kohle“ machen wollte. Seine Arbeiten lassen sich nicht in schnöde Kategorien einordnen. Seine Kohlezeichnungen lässt er z. B. mit Hilfe von Wachs zu plastischen Objekten werden. Er benutzt für seine Skulpturen ausgediente Materialien wie schnurförmigen Draht. „Hier habe ich ganz blutige Hände ­gehabt, als ich das Rad ummantelt habe“, umschreibt ­Ryschawy seinen Arbeitsprozess.
Die Vielfalt der künstlerischen Möglichkeiten, die unter einem Dach ein Zuhause gefunden haben, ist enorm. „Wir korrespondieren untereinander, und das macht es auch aus“, beschreibt Ryschawy die Arbeit hier.
Und auch die Förderung junger Talente steht seit jeher im ­Fokus. „Wir können junge Künstler auch vorschlagen für Ateliers, und dann sind wir ein bisschen auch deren ­Mentoren“, ­erklärt Werner Ryschawy die Arbeitsweise in der ­Zeche. Zudem wird seit elf Jahren der Kunstförderpreis „Junge ­Positionen NRW der Künstlerzeche Unser Fritz 2/3“ verliehen. Er ­würdigt die Arbeit von Kunststudierenden. Die Preisträger:innen ­bekommen neben einem Preisgeld die Chance, eine eigene Einzelausstellung in der Künstlerzeche zu realisieren.
Durch das hartnäckige Bestreben von Künstler:innen und ­Bürger:innen nach einer Umnutzung des Gebäudes durch Kunst ist Unser Fritz 2/3 heute das erste und am längsten durch Künstler:innen genutzte Zechenareal. Ein Sinnbild für den Strukturwandel im Ruhrgebiet, lange Zeit, bevor man ihn ausrief, zur Ruhr 2010. Im Oktober 2002 konnte der Förderverein mit der Stadt Herne endlich einen Mietvertrag über das Gebäude abschließen und ist jetzt offizieller Träger.
Die Künstlerzeche kann viel und hat sich über die ­Jahrzehnte immer wieder neu erfunden. Jetzt wird groß gefeiert – 60 Jahre Künstlerzeche Unser Fritz 2/3. 28 Künstler:innen, die früher hier gearbeitet haben, stellen aus. Es ist eine ­kleine Zeitreise durch die künstlerischen Ausdrücke der letzten sechzig Jahre.
Die polnische Künstlerin Danuta Karsten hat z. B. für die ­Jubiläumsausstellung zwei raumhohe Papier-Installationen geschaffen, die ganz nebenbei die beiden Ausstellungsräume als ehemalige Weiß- und Schwarzkaue der Zeche Unser Fritz 2/3 farblich erkennen lassen. Ein Ensemble von ­Papierstreifen hängt von der Decke und erinnert an die ­Kleiderkörbe der Bergleute.
Auch „Das Lama der Liebe“ von Marijke Brauckmann ist vertreten, ebenso ein Wachsrelief von Werner Ryschawy. Alle ­Ausdrücke sind so unterschiedlich, und genau deswegen ist die Arbeit hier so spannend, weil man immer mal eben hinüberlaufen und sich anschauen kann, wie der oder die andere sich ­Anreize holt. Das macht die gemeinsame Atelierarbeit aus.
Schaut man sich das Portfolio der Künstlerzeche über die Jahrzehnte an, stellt man fest, dass hier echt viel geboten wird, was man hier vielleicht erstmal nicht vermuten würde: Konzerte jeglicher Colour von Klassik über Jazz bis hin zu Rock (Herbert Grönemeyer war auch schon da), der Tag des offenen Ateliers, die Kulturstrolche (Workshops für Herner Kids), Filmabende im Salon Fritz, Tanz-Workshops, Lesungen, Partys und natürlich das legendären gratis Aschermittwoch-Heringsessen, das seit 1978 mit allen Bürger:innen und Größen aus der Politik gefeiert wird. Ganz schön vielfältig und bunt! Wir schlendern durch den angrenzenden Skulpturenpark. Man kann hinüberlinsen zum Nachbarn. Hier im Biergarten bei Oskar am ­Kanal sitzt man mit den Füßen im Sand gemütlich beim Bierchen und genießt besten Kanalblick. Man kann die Kunst von drüben gucken. Sie ist erlebbar und verbindet sich mit den Menschen, geht Synergien ein – so funktioniert Kunst im Ruhrgebiet am besten.