Gesunde Mischung in bevorzugter City-Lage

Im September 2023 ging das Husemann Karree Bochum an den Start. Heute, über ein Jahr später, sind die meisten Flächen vermietet, ist das Gebäude voller Leben. Die Mixed-Use-Immobilie hat sich am ehemaligen Justizstandort an der Viktoriastraße etabliert. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen – und einen Blick ins Haus zu werfen.
Von Sven Frohwein
Moderne Arbeitswelten
Stefan Wissmann hat einen festen Händedruck – und er ­kleckert nicht, wenn er von einem der ambitioniertesten Projekte der Stadtverwaltung der vergangenen Jahre ­erzählt: „Auch im interkommunalen Vergleich sind wir da sehr weit vorn“, sagt Wissmann, persönlicher Referent von Dr. Eva Maria Hubbert, Dezernentin für Finanzen, Beteiligungen und Bürger­service der Stadt Bochum. Gemeinsam mit seiner ­Kollegin Simone Russo hat Wissmann den Umzug großer ­Teile der Stadtverwaltung in das Husemann Karree geplant. Die Stadt Bochum ist größter Mieter im Gebäudekomplex.
Auf 15.000 Quadratmetern hat die Stadtverwaltung unter anderem mit dem Sozialamt, dem Ordnungsamt und Teilen des Rechtsamtes Quartier bezogen und einen Mietvertrag über 20 Jahre unterzeichnet. Für über 800 Beschäftigte ist das Husemann Karree seit Anfang des Jahres neue Arbeitsstätte. Über 500 Schreibtische auf viereinhalb Etagen, zahlreiche Kolleg:innen teilen sich einen Arbeitsplatz. „Shared Desk“ ­bedeutet aber auch, dass nur wenige im Gebäude einen Tisch für sich allein haben – und alle ihren Arbeitsplatz nach Dienstschluss aufgeräumt und sauber verlassen müssen. Nur ein Aspekt der „Modernen Arbeitswelten“, wie die Stadt den Umzug ins Husemann Karree in der Bochum Strategie definiert hat. „Für die Kolleginnen und Kollegen bedeutete der Umzug auch, sich umzustellen, sich auf etwas Neues einzulassen“, sagt Stefan Wissmann.
„Wir haben den Umzug mit Workshops begleitet und den Kollegen zugehört, was sie wirklich zum Arbeiten benötigen.“
Keine Zweier-Büros mehr, sondern große Flächen, die sich mit mobilen Stellwänden flexibel in kleinere Einheiten umgestalten lassen. Zwischendurch gibt es immer wieder Besprechungsinseln, Orte, um sich zur Stillarbeit zurückzuziehen, ja, sogar Telefonzellen finden sich auf jeder Etage. „Wir haben das mit Workshops begleitet und den Kollegen zugehört, was sie wirklich zum Arbeiten benötigen.“ Gearbeitet wird bei der Stadt nach dem 80/20-Prinzip. 80 Prozent ihrer Arbeitszeit können die Angestellten von zu Hause arbeiten, 20 Prozent verbringen sie im Büro. „Jedem Team ist es überlassen, das individuell zu regeln“, sagt Wissmann. Wichtig sei, dass die Arbeit erledigt werde.
Homeoffice gehört für die Stadt seit Corona dazu. „Das war wie ein Katalysator“, so Wissmann. „Da sind viele Dinge ­möglich geworden, die vorher gehakt haben.“ Zum Beispiel die E-Akte: Ohne die wäre ein Umzug ins Husemann Karree gar nicht möglich gewesen. „Wenn wir mit all dem Papier hätten umziehen müssen, hätten wir eine Etage nur mit Akten füllen können“, sagt der Projektleiter und muss schmunzeln. Ganz ohne Papier geht’s dann aber doch nicht. Aktenschränke gibt es in den Büros. „Die bauen wir sogar selbst“, sagt ­Stefan Wissmann. „Wie auch die Schreibtische; wir haben eine ­eigene Schreinerei.“
Ein Vorbild für andere Kommunen
Stühle, Besprechungsmöbel und Ruheinseln hat das Team von Ruhrprojekt für die Stadt geplant, koordiniert und ­geliefert. Die Bochumer Projekt- und Einrichtungsplaner:innen mit Sitz an der Wittener Straße richteten der Stadt vor dem Umzug sogar auf 500 Quadratmetern eine Art Testparcours ein, wo zahlreiche Angestellte der Stadtverwaltung das neue ­Arbeiten und die dazu passenden Möbel ausprobieren durften. „Auch Behörden können sich nicht davor verschließen, attraktive Arbeitsbedingungen anzubieten“, sagen die Ruhrprojekt-­Geschäftsführer Thomas Diekhöfer und Thomas Romberg unisono. Die beiden Planer und Projektmanager begleiteten die Stadt auf dem Weg, ihr ambitioniertes Ziel zu erreichen. Eine „flexible, agile Fläche“ sei auf diese Weise entstanden, die dazu diene, „die Menschen wieder kreativ zusammenzubringen“. „Aktivitätenbasiertes Arbeiten“ nennen es die beiden Ruhrprojekt-Macher.
Die Stadt habe sich sehr viele Gedanken dazu gemacht, wie die Fläche künftig aussehe und wie das Arbeiten dort vonstattengehen solle. „Sie müssen es den Menschen erklären, ­warum sie das so machen“, sagt Thomas Diekhöfer. „Sie müssen die Leute mitnehmen.“ Stefan Wissmann ist sich sicher, dass das der Stadt Bochum gelungen sei – und dass dieses Projekt Vorbildcharakter für andere Behörden und Stadtverwaltungen habe. „Wir haben mittlerweile zahlreiche andere Kommunen und Kreisverwaltungen zu Gast gehabt, die sich davon ein Bild machen wollten und die vor ähnlichen ­Herausforderungen stehen, wie es bei uns der Fall war.“ Das Husemann Karree als Blaupause? So weit will Wissmann nicht gehen. „Jede Stadtverwaltung hat ihre eigenen Herausforderungen. Aber man kann sich hier Inspiration holen.
Hotel auf das Wesentliche reduziert
Gar nicht so einfach, den Eingang zu finden. Kai Below weiß um diese Herausforderung. „Wir haben an der Beschilderung gearbeitet, doch manchmal verirren sich immer noch Gäste“, sagt der Manager des Holiday Inn Express, unserer zweiten Station im Husemann Karree. Das Hotel hat im Februar dieses Jahres gestartet, 170 Zimmer, 340 Betten, ein Haus, das sich auf das Wesentliche konzentriert. „Getreu unserem Konzept bieten wir unseren Gästen eine entspannte Übernachtung in modernen Zimmern und ein gutes Frühstück“, bringt es Below auf den Punkt. Für den Rest sei die Bar 24 Stunden ­besetzt, und es gebe rund um die Uhr Pizza und andere Snacks. ­Eigenes Restaurant? Fehlanzeige. „Brauchen wir auch nicht, gibt es ja in unmittelbarer Nähe zuhauf, auch hier im Haus“, sagt der Hotelmanager.
„Bochum war bislang ein weißer Fleck auf der Karte von ­Holiday Inn Express.“ Deshalb habe man sich für den Standort Husemann Karree entschieden. Eine wahrlich gute ­Entscheidung, findet Below. „Wir haben sehr gut gestartet. Zu EM-Zeiten hatten wir über 80 Prozent Auslastung. Für ein Haus im ersten Jahr haben wir ein tolles Ergebnis erzielt.“ Kai Below ist seit zwei Jahren bei Tristar, dem Franchise-Nehmer von Holiday Inn Express. Eigentlich sollte das Hotel schon ein halbes Jahr früher eröffnen. „Die Verzögerung war eine sehr gute Anlernphase“, sagt Below, der in dieser Zeit in anderen Häusern tätig war. 27 Mitarbeiter:innen hat Below seitdem eingestellt. Nicht ohne Stolz führt er durch sein Haus. Helle Zimmer, moderne Ausstattung, angenehmes Ambiente, nicht nur im Frühstücksraum und in der Lobby.
Besonders schätzt Below den Zusammenhalt der Mieter:innen im Husemann Karree. „Es haben sich sehr schnell ­Kooperationen ergeben.“ So können seine Gäste zum ­Tagespreis im Fitnessstudio trainieren und bekommen auch fast immer einen Tisch in der Gastronomie im Erdgeschoss. Was ihn am meisten an Bochum überrascht habe? „Bochum ist eine Freizeitdestination“, sagt Below. Die meisten seiner ­Gäste seien tatsächlich Tourist:innen. Ob "Starlight Express" oder Veranstaltungen in der nahen Arena AufSchalke: „Damit haben wir nicht gerechnet“, sagt Below, der in der Mehrheit Geschäftsreisende erwartet hatte. „Wir sind ein typisches Haus für ­einen Kurztrip.“
Supermarkt mal etwas anders
Ahmed Mert hat nicht lange gezögert, im Husemann Karree seinen zweiten Supermarkt zu eröffnen. REWE Mert ­öffnete vor gut einem Jahr seine Tore. „Wir sind sehr zufrieden. ­Unsere Erwartungen wurden übertroffen“, sagt der Betreiber. 39 Mitarbeiter:innen sorgen dafür, dass der Laden ­zwischen 8 und 23:30 Uhr läuft. Backwaren gibt es sogar schon ab 7 Uhr. „Auch die Anmietung durch die Stadt war für uns ein Beweggrund, hier einzusteigen“, sagt Mert mit Blick auf die vielen städtischen Angestellten, die sich bei ihm vor Arbeitsbeginn oder in ihrer Mittagspause versorgen. „Vor allem aber hat uns das Gesamtkonzept des Husemann Karrees überzeugt.“ Hier gebe es einfach zahlreiche Synergieeffekte. Und ein ­Supermarkt habe an dieser Stelle der Innenstadt ebenfalls noch gefehlt, so Mert weiter.
800 Quadratmeter Verkaufsfläche hat der Einzelhändler im Karree angemietet, das Sortiment lässt keine Wünsche offen, hat sich sogar auf die Bedürfnisse der anderen Husemann-Karree-Nutzer:innen eingestellt. „Die Kunden des Fitnessstudios finden hier alles, um ihren Proteinbedarf zu decken“, sagt Mert und muss lachen. „Nur eine Frischetheke, die ­suchen Sie bei uns vergeblich. Wenn die Leute in der Innenstadt sind, haben sie etwas anderes im Sinn, als an der Wursttheke einzukaufen.“ Für Mert, der bereits in Bochum-Werne einen Super­markt betreibt, ist der Standort Bochum-City ideal. „Die Innenstadt hat einen gesunden Mix“, findet der Einzelhändler. Und das Husemann Karree füge sich sehr gut ein, indem es sich zur restlichen Innenstadt und zum Husemannplatz öffne. „Wenn der im nächsten Jahr fertiggestellt wird, dann steigert das die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt noch einmal deutlich“, so Mert.
Das findet auch Peter Glöckner: „Husemann Karree, Husemannplatz und das im Bau befindliche Haus des Wissens ­werden eine völlig neue Einheit bilden und die Innenstadt deutlich ­aufwerten.“ ­Glöckner ist selbstständiger Centermanager und vom ­Betreiber des Husemann Karrees, der HBB, ­beauftragt, sich um alle Belange des Hauses zu kümmern, die nichttechnischer Natur sind. Noch ist das ­Husemann Karree nicht komplett ausgebucht: „Wir haben eine sehr gute Nachfrage nach den Flächen. Wir sind mit einigen Mietinteressenten in guten Gesprächen.“ Im Bauteil C gebe es zum Beispiel noch freie Büroflächen. Und Platz für Einzelhandel sei auch noch. Manager Glöckner könnte sich dort noch ein Textilkonzept vorstellen: „Das wäre eine sinnvolle Ergänzung zum vorhandenen Angebot.“ Zur vorangegangenen Diskussion um die Qualität möglicher Mieter:innen möchte sich Glöckner nur soweit ­äußern: „Wir sind sehr froh, dass sich ein so großes, erfolgreiches und expansives Unternehmen wie Woolworth im ­Husemann ­Karree angesiedelt hat.“ Das sei eine hervorragende Ergänzung zum bestehenden Angebot. „Das kleinpreisige Kaufhauskonzept ist ein Erfolgsrezept. Wir finden es hervorragend, diesen Mieter dort zu haben.“
„Es war eine weise Entscheidung, das Husemann Karree von Anfang an als Mixed-Use-Immobilie zu planen.“
Das Husemann Karree, so Glöckner, könne auch für andere Kommunen in seiner Gesamtkonzeption als Vorbild taugen. „Das Zusammenspiel von Hotel, Gastro und Einkaufen ist ein Erfolgsrezept, das auch in anderen Städten funktioniert“, findet Glöckner. Vor allem dann, wenn es sich so gut in die ­Innenstadt einfüge wie in Bochum. Auch die IHK sieht das so: „Wir beobachten bundesweit in den Shoppingcentern eine Veränderung der Mieterstrukturen zugunsten von Gastronomie und Freizeitaktivitäten“, sagt Jennifer Duggen, Teamleiterin Handel, Stadtentwicklung und Dienstleistungen bei der IHK Mittleres Ruhrgebiet. Einzelhandel ziehe sich dagegen zurück, so Duggen weiter. „Es war eine weise Entscheidung, das Husemann Karree von Anfang an als Mixed-Use-Immobilie zu planen.“ Das erzeuge schon jetzt Frequenz – und werde in Zukunft neue Wechselwirkungen im Zusammenspiel von Haus des Wissens und Husemannplatz ermöglichen.
„Die Stadt Bochum hat in den vergangenen Jahren viele richtige Entscheidungen gefällt“, sagt auch Centermanager ­Peter Glöckner. Und auf die Frage, was er sich für die Zukunft noch wünsche, bezieht er auch klar Stellung. „Bei der Geschwindigkeit der Umsetzung von Projekten kann die Stadtverwaltung noch zulegen.“