Ein ­Chancenquartier für Herne und das ­nördliche Ruhrgebiet

Wohnen, forschen, lehren, arbeiten: Herne steht in den Startlöchern für eines der größten Entwicklungsprojekte der jüngeren Stadtgeschichte. Das FunkenbergQuartier, nur wenige Gehminuten von der City entfernt, soll eine neue Zeit in der Ruhrgebietsstadt einläuten. Denn mit dem ehemaligen Industrieareal wird Herne erstmals Hochschulstandort – und schafft Platz für zukunftsorientierte und forschungsnahe Ansiedlungen.
Von Sven Frohwein
Wenn Ronald Graf, Achim Wixforth und Maurice Schirmer von ihrem Vorzeigeprojekt erzählen, ­geraten die drei ins Schwärmen. Und sie geben sich selbstbewusst: „Das FunkenbergQuartier ist das Chancenquartier – für Herne und das nördliche Ruhrgebiet“, sagen die drei Geschäftsführer der Funkenbergquartier-Entwicklungsgesellschaft ­Herne (FEG) unisono. Auf dem etwa zehn Hektar ­großen Areal unweit des Herner Bahnhofs soll ein Quartier entstehen, auf dem geforscht und gelehrt wird, auf dem wissensbasierte Dienstleistungsunternehmen ­Arbeitsplätze schaffen, wo aber auch Eigenheime und Mietwohnungen entstehen sollen. Von insgesamt 150 bis 200 Wohneinheiten ist die Rede.
„Wir setzen auch auf Gastronomie, Kultur-, Sport- und Bildungsangebote.“
Projektleiter Lukas Issinger erklärt das ­integrierte Stadtentwicklungsprojekt: „Wir setzen auch auf Gastronomie, Kultur-, Sport- und Bildungsangebote.“ Ein grünes Band soll die einzelnen Gebäude und Ansiedlungen miteinander verbinden – Autos ­sollen allenfalls in die Quartiersparkhäuser rollen. „So schaffen wir Aufenthaltsqualität“, sagt Issinger.
Bagger und Kräne schaffen schon heute Zukunft. Der Neubau der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Nordrhein-Westfalen (HSPV), deren Ansiedlung die Stadt Herne unlängst für sich verbuchen konnte, ist bereits in vollem ­Gange. Geplanter Start des Lehrbetriebs: Wintersemester 2027. Auf rund 32.000 Quadratmetern werden die Gebäude der HSPV, darunter eine Mensa, eine Bibliothek sowie zahlreiche Mehrzweckräume, Platz für über 5.000 Studierende bieten.
Damit nicht genug: Das FunkenbergQuartier soll auch Heimat für das sogenannte Transformationszentrum für Georessourcen und Ökologie (TGÖ) des Landes NRW werden. Der Startschuss für das Projekt fiel im Oktober vergangenen Jahres. „Perfekt ausgestattete Labore, moderne Büros für rund 80 Beschäftigte und jede Menge Platz für innovative Ideen“, so umreißt die Bezirksregierung Arnsberg den Forschungsneubau, geplant und gebaut mit rund 44 Millionen Euro von Bund und Land. Forschungsschwerpunkt wird der Nachbergbau sein. Das bislang an der Technischen Hochschule Georg Agricola (THGA) in Bochum angesiedelte Forschungszentrum Nachbergbau (FZN) soll nach Fertigstellung des Baus in Herne an den neuen Standort umziehen.
Wie das FunkenbergQuartier einmal aussehen soll, zeigen bislang nur Visualisierungen; hier dominiert funktionale moderne Architektur umgeben von viel Grün. Ob das alles in Zukunft auch genauso gebaut wird? „Das hängt natürlich auch von den Plänen der potenziellen Investoren ab”, sagt FEG-Geschäftsführer Graf. „Es muss aber hinsichtlich der Größe zu Herne passen.” Mehr als fünf oder sechs Geschosse seien aktuell nicht vorgesehen. Bislang hat die FEG noch nicht mit der ­Vermarktung des Geländes begonnen. „Wir steigen da im kommenden Jahr ein”, so Ronald Graf.
Ein Großteil der Fläche, vor allem jener Teil des Areals, auf dem sich dann die Unternehmen ansiedeln sollen, ist bislang noch Brachfläche oder mit Industriehallen belegt. „Der Abriss der Hallen läuft bereits“, sagt Maurice Schirmer, Geschäftsführer der eigens für das Projekt gegründeten Funkenbergquartier-Entwicklungsgesellschaft, einer SEG-Tochtergesellschaft. Früher waren die Hallen Heimat der Müller GmbH Herne Pumpen-Maschinen-Stahlbau, in der Stadt besser ­bekannt als Pumpen-Müller. Das Unternehmen ist seit 2005 Geschichte, das Areal wurde unter anderem von Logistikern und kleinen Reparaturwerkstätten zwischengenutzt.
„Wir kalkulieren mit acht bis zehn Jahren bis zur Fertigstellung der neuen Gebäude”
Zwei Hallen konnten bereits verkauft werden. Sie werden zerlegt und an ihren neuen Einsatzorten in Polen und im Rheinland wieder aufgebaut. Den Rest knabbern die Baumaschinen ab nächstem Jahr weg, 2026 sollen dann erste Erschließungsarbeiten auf dem Gelände beginnen. „Wir kalkulieren mit acht bis zehn Jahren bis zur Fertigstellung der neuen Gebäude”, sagt Schirmer beim Rundgang über das Gelände.
In den Hallen dominiert schon gähnende Leere. Licht fällt durch orangefarbene Oberlichter ins Innere; so stellt man sich die einsamen Hinterlassenschaften der Industrialisierung vor. Einige Bereiche sind schon heute nicht mehr begehbar. „Zu gefährlich”, sagt Projektleiter Issinger. Die Dachkonstruktion sei nicht mehr intakt, es könnten Teile herabstürzen.
Mit dem Abbruch der Hallen allein ist es nicht getan. Auch der Boden muss in Teilen saniert werden. „Wir haben hier vor Ort zwar keine so großen Belastungen wie an ehemaligen Zechenstandorten, trotzdem werden wir sehr genau prüfen, was sich hier im Boden befindet”, sagt FEG-Geschäftsführer Achim Wixforth. Ohne Fördermittel ist eine solche Industriefläche nicht zu sanieren, vor allem nicht für Kommunen mit wenig Geld im Stadtsäckel. Die Mittel für das FunkenbergQuartier sollen auch aus dem 5-StandorteProgramm fließen, mit dem das Land Nordrhein-Westfalen die fünf besonders von der Beendigung der Kohleverstromung betroffenen Steinkohlekraftwerksstandorte unterstützt.
Bis die Bagger auf dem Gelände rollen, müssen auch noch die Kreuzkröten umziehen. Die unter Naturschutz stehenden Amphibien genießen zurzeit auf der Industriebrache, die seit ein paar Jahren ihr Zuhause ist, ein ruhiges Dasein. Im Frühjahr 2024 wurde auf dem Areal ein Habitat für die Tiere hergerichtet. „Es ist dem natürlichen Lebensraum der Kröten nachempfunden“, sagt Projektleiter Issinger. An diesem tristen Nachmittag im November lässt sich allerdings keine Kröte blicken. Vielleicht sind sie schon umgezogen?
Mehr Infos zum Projekt: www.funkenbergquartier-herne.de