Der Verlust industrieller Wertschöpfung findet bereits statt
Erklärung von BDA, BDI, DIHK und ZDH zum Kanzler-Treffen in München: Eine "Perspektive für die Unternehmen jenseits des reinen Krisenmodus" haben die Präsidenten der vier größten deutschen Wirtschaftsverbände beim "Münchener Spitzengespräch" mit Bundeskanzler Olaf Scholz am 10. März gefordert – und die aus Sicht der Unternehmen dringendsten Handlungsfelder aufgeführt.
Hier die gemeinsame Erklärung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) sowie des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) im Wortlaut:
"Die Welt ist im Umbruch – geopolitisch, aber auch wirtschaftlich. Die Folgen des russischen Überfalls auf die Ukraine haben nicht nur schwere humanitäre Folgen, sondern auch tiefgreifende Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Hohe Energiepreise, drohende Engpässe in der Energieversorgung und Lieferkettenstörungen stellen für die Betriebe und Unternehmen in dieser international verflochtenen deutschen Wirtschaft eine große Herausforderung dar. Die neuen Belastungen reduzieren die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands weiter. Der Verlust industrieller Wertschöpfung ist keine theoretische Gefahr mehr. Er findet bereits statt.
Die Politik hat mit ihrem Krisenmanagement eine Reihe der direkten Krisenfolgen abgemildert. Viele der Maßnahmen sind zwar geeignet zur Überbrückung, eine Dauerlösung sind sie nicht. Es braucht eine Perspektive für die Unternehmen jenseits des reinen Krisenmodus. Wir müssen zweigleisig fahren: Unterstützung in der Krise sowie Weichenstellungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und wieder mehr Investitionen an unseren Standorten.
Die deutsche Wirtschaft steht zur Sozialen Marktwirtschaft. Sie wird weiterhin ihren Anteil tragen, damit wir gemeinsam die vielfältigen Herausforderungen meistern können. Die Betriebe brauchen dafür eine Perspektive, die Mut macht. Sie brauchen einen Rahmen, der Investitionen in Deutschland fördert und mehr Dynamik in die Wirtschaft bringt. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sind folgende Handlungsfelder jetzt besonders dringend:
Die deutsche Wirtschaft steht zur Sozialen Marktwirtschaft. Sie wird weiterhin ihren Anteil tragen, damit wir gemeinsam die vielfältigen Herausforderungen meistern können. Die Betriebe brauchen dafür eine Perspektive, die Mut macht. Sie brauchen einen Rahmen, der Investitionen in Deutschland fördert und mehr Dynamik in die Wirtschaft bringt. Aus Sicht der deutschen Wirtschaft sind folgende Handlungsfelder jetzt besonders dringend:
Wettbewerbsfähigkeit und Energieversorgung sichern
2023 ist ein Jahr wichtiger Entscheidungen für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Zentral ist eine Energie- und Wirtschaftspolitik, mit der Rahmenbedingungen strukturell verbessert werden. Denn mit den erheblichen Kostenbelastungen, beispielsweise durch Energiepreise und ausufernde Bürokratie, gerät Deutschland immer mehr ins Hintertreffen. Die Bundesregierung sollte daher auf kleinteilige Vorgaben wie beim Effizienzgesetz verzichten und schnell pragmatisch reagieren, zum Beispiel mit steuerlichen Anreizen für die Erreichung der Transformationsziele.
So sollte die Steuerbelastung der Kapitalgesellschaften von derzeit rund 30 Prozent so schnell wie möglich auf ein international wettbewerbsfähiges Niveau von 25 Prozent reduziert und für die Personenunternehmen die Thesaurierungsrücklage bei der Einkommensteuer mittelstandsfreundlich fortentwickelt werden, um finanzielle Spielräume für die Transformationsherausforderungen zu schaffen. Es gilt darüber hinaus, insgesamt eine vertrauensbasierte Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik für den Zukunftsort Deutschland zu gestalten.
Mehr Tempo bei Planungs- und Genehmigungsverfahren
Energiewende, Digitalisierung und der demografische Wandel erfordern eine Neuausrichtung der Wirtschaft: In kürzester Zeit müssen die Unternehmen Anlagen ersetzen oder modernisieren und zum Teil ganze Infrastrukturen und Logistikketten neu aufbauen. Vom neuen Deutschland-Tempo spüren die Unternehmen bislang zu wenig. Der schnelle Aufbau der LNG-Terminals ist bislang eine – wenn auch wichtige – Ausnahme. Alltag sind komplizierte Vorgaben und Verfahren, die für die Breite der Wirtschaft relevanten Themen wie Wohnungsbau, Gewerbe- und Industriebauten sowie Energie-, Breitband- und Verkehrsinfrastruktur bleiben auf der Strecke. Wo Prozesse Jahre oder gar Jahrzehnte brauchen, reicht die angestrebte Halbierung der Verfahren nicht aus.
Ziel muss eine Verkürzung auf wenige Monate sein. Das kann durch Digitalisierung und Standardisierung, gerade auch im Naturschutz oder bei Typenzulassungen, sowie durch das Parallelisieren von Verfahrensschritten gelingen. Um wirklich erfolgreich zu sein, sollte die Politik die Genehmigungsbedingungen für alle Wirtschaftsbereiche auf nationaler und auf EU-Ebene grundsätzlich überarbeiten. Bei Ersatz maroder Infrastrukturen sollten Kapazitätsreserven geschaffen werden. Der 1-zu-1-Neubau wird zu oft den aktuellen und erst recht den zukünftigen Anforderungen nicht gerecht.
Ziel muss eine Verkürzung auf wenige Monate sein. Das kann durch Digitalisierung und Standardisierung, gerade auch im Naturschutz oder bei Typenzulassungen, sowie durch das Parallelisieren von Verfahrensschritten gelingen. Um wirklich erfolgreich zu sein, sollte die Politik die Genehmigungsbedingungen für alle Wirtschaftsbereiche auf nationaler und auf EU-Ebene grundsätzlich überarbeiten. Bei Ersatz maroder Infrastrukturen sollten Kapazitätsreserven geschaffen werden. Der 1-zu-1-Neubau wird zu oft den aktuellen und erst recht den zukünftigen Anforderungen nicht gerecht.
Anpassungsfähigkeit im Wandel
Die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft an die großen Herausforderungen ist keine Selbstverständlichkeit, sondern fordert von beiden Seiten – Unternehmen und Belegschaften – Flexibilität und Veränderungsbereitschaft. Hierfür brauchen wir den richtigen Rahmen. Zugleich werden Wirtschaft, Arbeitswelt und Lebensentwürfe der Menschen heterogener. One-size-fits-all-Lösungen funktionieren nicht mehr. Das gilt zum Beispiel für die Gesetzgebung zur Arbeitszeit. Neue Regulierungen zur Arbeitszeiterfassung und zum mobilen Arbeiten wirken wie aus der Zeit gefallen. Gewünscht ist ein Mehr an Flexibilität und nicht an Kontrolle etwa durch gesetzliche Aufzeichnungspflichten.
Die Politik sollte den Mut haben, die Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu ermöglichen. Dafür sind die Umstellung von der Tages- auf eine Wochenhöchstarbeitszeit sowie die Modernisierung der Ruhezeitregelungen dringend nötig. Wir brauchen eine Steuer- und Abgabenbremse, die mehr Netto vom Brutto lässt. Nicht zuletzt benötigen wir eine umfassende Sozialversicherungsreform – vor allem bei Rente und Gesundheit. Diese sollte von sachlichen Erwägungen getragen werden und den demografischen Veränderungen Rechnung tragen.
Fach- und Arbeitskräfte sichern und Berufsbildungsoffensive starten
Deutschland ist auf Fach- und Arbeitskräfte angewiesen. Zuallererst muss deshalb das inländische Erwerbspersonenpotenzial aktiviert werden – etwa durch eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und eine stärkere Einbindung Älterer in die Erwerbstätigkeit. Darüber hinaus brauchen wir eine verbesserte arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung ausländischer Arbeits- und Fachkräfte. Die von der Bundesregierung verabschiedeten Eckpunkte für die Fachkräfteeinwanderung aus Drittstaaten gehen hierbei in die richtige Richtung. Gleichzeitig müssen alle beteiligten Behörden ihre Arbeitsprozesse deutlich beschleunigen, digitalisieren und vereinfachen, damit die Neuregelungen in der Praxis erfolgreich sein können.
Die Berufliche Bildung bleibt zentral bei der Fachkräftesicherung. Zur Sicherung gleichwertiger Bildungswege gehören weitere Verbesserungen beim Aufstiegs-Bafög sowie eine frühzeitige Berufsorientierung, insbesondere an Gymnasien, sowie eine Ausweitung der beruflichen Begabtenförderung. Die Exzellenzinitiative Berufliche Bildung der Bundesregierung ist ein erster wichtiger Schritt. Es bedarf aber einer umfassenderen Bildungswende, denn Ausbildungsplätze können zunehmend nicht besetzt werden und Lernrückstände bei Schulabsolventen nehmen zu."
(Quelle: DIHK)