IHK Berlin

90 Prozent der Azubis sind zufrieden mit Ausbildungsberuf und -betrieb. Trotzdem Anstieg bei unbesetzten Ausbildungsplätzen

90 Prozent der Berliner Auszubildenden sind zufrieden mit ihrer Ausbildung, 80 Prozent würden ihren Ausbildungsbetrieb anderen Jugendlichen weiterempfehlen. So die Berliner Ergebnisse aus der aktuellen Azubi-Umfrage der ostdeutschen Industrie- und Handelskammern. Trotz dieser guten Noten für die Ausbildung seitens der Jugendlichen konnten ausbildende Unternehmen 48 Prozent der angebotenen Plätze nicht besetzen (2023: 43 Prozent der Plätze blieben unbesetzt). Auch die Zahl der Unternehmen, bei denen keine einzige Bewerbung einging, ist von 28 Prozent im Jahr 2023 auf mittlerweile 32 Prozent gestiegen, so die Bilanz der jährlichen IHK-Ausbildungsumfrage. Angesichts dieser Entwicklung forderte IHK-Vizepräsident Stefan Spieker heute, sämtliche Instrumente der Berufsorientierung massiv zu stärken. Besonders das neu eingeführte 11. Pflichtschuljahr müsse für die umfassende Berufsorientierung der Jugendlichen genutzt werden.
Die Auswertung der Aus- und Weiterbildungsumfrage hat gezeigt, dass sich die Besetzungsschwierigkeiten gegenüber den Vorjahren noch einmal verschärft haben. Bei knapp 70 Prozent der befragten Unternehmen lagen keine geeigneten Bewerbungen vor. Selbst ein bereits unterschriebener Vertrag bedeutet dabei nicht immer Planungssicherheit für die Unternehmen: So gaben 18 Prozent der Unternehmen, die aktuell nicht ausbilden an, dass die Jugendlichen den Vertrag vor Ausbildungsbeginn wieder gelöst haben. In weiteren 17 Prozent der Fälle sind die Jugendlichen zum Ausbildungsstart nicht erschienen.
Stefan Spieker, Vizepräsident der IHK Berlin: „Die hohen Zufriedenheitswerte bei den Auszubildenden beweisen: Das Modell Ausbildung ist gut und offenbar machen auch die Ausbildungsunternehmen ihre Sache gut – sofern es ihnen gelingt, Jugendliche für die freien Plätze zu finden. Diese Herausforderung wird von Jahr zu Jahr größer. Zusätzliche Sorgen bereitet jedoch, dass eine Reihe von Jugendlichen ihre Ausbildung gar nicht erst antritt. Das zeigt einmal mehr, dass die politische Debatte um laut Statistik unversorgte Jugendliche völlig irreführend ist. Es ist das Matching, das besser funktionieren muss. Es ist absolut notwendig, dass Jugendliche schon in der Schulzeit viel mehr Praxiserfahrungen sammeln können. Zur guten Berufsorientierung gehört auch, die duale Ausbildung und die vielseitigen Aufstiegsmöglichkeiten nach der Ausbildung als gleichwertige Alternative zum Studium in Gymnasien vorzustellen. Das jetzt eingeführte 11. Pflichtschuljahr ist ein weiterer wichtiger Baustein, um Jugendliche, die nach der 10. Klasse noch nicht wissen, in welche Richtung sie sich entwickeln wollen, Orientierung zu bieten. Bei der Umsetzung kommt es jetzt allerdings darauf an, dieses zusätzliche Jahr praxisnah auszugestalten. Die Wirtschaft steht als Partner gerne bereit, denn der Azubi von heute ist die Fachkraft von morgen.“
Anita Joesten-Krause, Personalverantwortliche (HR) bei der KST Kraftwerks- und Spezialteile GmbH und Ausbilderin für die/den Industriekauffrau/-mann
„Für KST sind hoch qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Dreh- und Angelpunkt. KST stellt anspruchsvolle Bauteile in Einzelstückfertigung her, z.B. Komponenten für große Turbinen. Mit der dualen Ausbildung sichern wir unseren Fachkräftebedarf und wir bilden voll für unseren eigenen Bedarf aus, so wurden immer nahezu alle Auszubildenden auch übernommen. Vor allem im gewerblich-technischen Bereich wird es aber seit Jahren immer schwieriger, Auszubildende zu gewinnen. Das hat aus unserer Sicht auch damit zu tun, dass immer mehr Jugendliche das Abitur machen und dann das Studium näher scheint als eine Ausbildung. Gleichzeitig stellen wir fest, dass das Bildungsniveau schlechter geworden ist. Wir stehen also vor dem doppelten Problem, Jugendliche überhaupt für eine Ausbildung zu gewinnen und, wenn wir sie gefunden haben, gibt es erhebliche Wissenslücken. Dreisatz oder die Grundlagen der Trigonometrie können immer weniger der Bewerber:innen. Wir versuchen gemeinsam mit unserem Ausbildungspartner, dem ABB Training Center, die schulischen Defizite aufzuholen. Aber diese Aufgabe scheint von Jahr zu Jahr größer zu werden. Deshalb ist unser Anliegen an die Politik: Angemessene schulische Leistungen und eine gut gefächerte Berufsorientierung müssen die Leitlinien der Schulpolitik sein - oder besser: wieder werden.“
Um die Ausbildung attraktiver zu machen, hat die Berliner Wirtschaft deshalb drei Handlungsempfehlungen an den Senat:
  • Die Einführung eines 11. Pflichtschuljahrs ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Berliner Wirtschaft begrüßt, dass Schülerinnen und Schüler ohne Anschlussperspektive hierdurch eine Perspektive erhalten und „nicht verloren“ gehen. Damit auch die Gruppe, der bis jetzt unversorgten Bewerber das 11. Pflichtschuljahrs erfolgreich beendet, muss die Betreuung durch eine Bildungsbegleitung weiterhin gewährleistet bleiben und darf auch durch die Haushaltseinsparungen nicht wegfallen.
  • Die Steuerung beruflicher Bildung muss in einem Landesinstitut für berufliche Bildung gebündelt werden. Um die berufliche Bildung schlagkräftig zu machen, bedarf es eines Landesinstituts, um die Steuerung, Beratung und Unterstützung der berufsbildenden Schulen sowie die Weiterentwicklung der beruflichen Bildung und die Schulaufsicht zu bündeln. Der im Koalitionsvertrag genannte Prüfauftrag muss schnell bearbeitet und umgesetzt werden.
  • Berlin braucht bezahlbaren Wohnraum für Auszubildende. Ohne Wohnraum für Auszubildende müssen Berliner Unternehmen auf einen Teil von potenziellen Azubis und später auf dringend benötigten Fachkräften verzichten. Das Land Berlin muss dies als Leuchtturmprojekt verfolgen. Auch die Implementierung eines Azubiwerks nach Hamburger Vorbild unter der Beteiligung der Berliner Wirtschaft ist zu prüfen.
  • Berlin braucht keine Ausbildungsumlage. Dass Berlin und Bremen als die beiden Bundesländer mit den schlechtesten Ergebnissen in der Schulqualität den Weg einer Ausbildungsumlage einschlagen (möchten), gibt vielen Unternehmen das Gefühl, dass sie die „Dinge reparieren“ sollen, welche das Land Berlin nicht umgesetzt bekommt. Stattdessen brauchen wir Berufsorientierung mit Praxisanteilen, damit Jugendliche eine Vorstellung von Ausbildungsberufen bekommen und sich nach ihren Interessen bei den Ausbildungsbetrieben bewerben können.