IHK Berlin
IHK zu Berliner Koalitionsvertrag: Wichtige Punkte für eine funktionierende und nachhaltige Stadt zwar aufgenommen, aber zu wenig Mut bei den Themen Bildung, Digitalisierung und Verwaltung
Die IHK Berlin sieht im Koalitionsvertrag der künftigen Landesregierung eine Reihe von richtigen Ansätzen, um in der kommenden Legislaturperiode Berlin zukunftssicher aufzustellen. Dazu gehört vor allem das angekündigte Bündnis für Wohnungsbau. Positiv zu bewerten ist auch, dass Klimaschutz zur Querschnittsaufgabe wird. Kritisch sieht die Kammer dagegen u.a. die Entscheidung, das Thema Digitalisierung nicht zur Chefinnensache zu machen, die Vereinbarungen zum Umgang mit dem Enteignungsvolksbegehren sowie die geplante Einführung eines ÖPNV-Zwangstickets für Touristen. Auch die Überlegungen zur Ausbildungsplatzabgabe lehnt die Berliner Wirtschaft entschieden ab.
Daniel-Jan Girl, Präsident der IHK Berlin:
„Es ist gut, dass Berlin einer neuen Regierung jetzt einen Schritt näher ist. Die Berliner Wirtschaft will mutig in die nächsten fünf Jahre starten mit einem Senat, der Veränderungen nicht scheut, um Berlin als die internationalste Metropole Deutschlands weiterzuentwickeln. Unsere Stadt hat es verdient, dass sich der drängenden Probleme endlich angenommen wird. Es darf ab jetzt nichts mehr aufgeschoben werden. Die großen Themen Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit können sich gewinnbringend ergänzen, wenn alle Akteure dieser Stadt zusammenarbeiten. Der Koalitionsvertrag setzt hierzu richtige Akzente beispielsweise mit dem Runden Tisch Wohnungsbau. Dass die Koalition den Klimaschutz zur Querschnittsaufgabe macht, ist wichtig. Überfällig für eine funktionierende Stadt ist auch, dass die Koalition die Doppelzuständigkeit von Bezirks- und Fachverwaltungen etwa beim Verkehr oder großen Neubauvorhaben beenden will. Diese Entschlossenheit hätte Berlin auch an anderer Stelle gutgetan: Dass Digitalisierung nicht zur Chefinnensache wird und es beim Thema Verwaltungsmodernisierung an mehr konkreten kurz- bis mittelfristigen Maßnahmen fehlt, ist eine verpasste Chance. Auch die notwendige Revolution für eine nachhaltige Verbesserung der Schulqualität und der Stärkung der beruflichen Bildung im Konkreten ist ausgeblieben. Ob der Koalitionsvertrag das Fundament für eine besser funktionierende, attraktive und nachhaltige Stadt in fünf Jahren sein kann, hängt davon ab, ob es gelingt, weitsichtig zu planen und ob die Probleme von heute auch wirklich gelöst werden. Die Berliner Wirtschaft steht dabei als vierter Koalitionspartner immer bereit. Wir sind gespannt.“
Stadtentwicklung, Bauen, Mieten
Die Neubauziele von 200.000 neuen Wohnungen bis 2030 sind bereits mit dem Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 anvisiert worden – allerdings erschwerten bislang stockende Planungen und hohe Auflagen die Zielerreichung. Gut ist daher, dass der Wohnungsbau jetzt zum Schwerpunkt der neuen Koalition werden soll. Das geplante Bündnis für Wohnungsneubau ist ein positives Signal, weil er endlich auch die privaten Immobilienunternehmen mit ins Boot holt. Die von der Koalition jetzt angekündigte Vereinfachung, Beschleunigung und Digitalisierung der Planungs- und Genehmigungsverfahren war lange überfällig. Positiv zu bewerten ist auch, dass neben den bestehenden Neubauprojekten auch neue Flächen ausgelotet und benannt wurden. Dass die Randbebauung des Flughafens Tempelhof für diese Legislaturperiode ausgeschlossen wird, kann die Erreichung der langfristigen Neubauziele jedoch gefährden. Beim Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungsbauunternehmen hat sich die Koalition Zeit verschafft. Eine echte Entscheidung steht aus. Das geplante Expertengremium muss zwingend rechtliche und fachliche Expertise integrieren und darf nicht ideologisch aufgeladene Forderungen nach dem maximalen Markteingriff zum Leitmotiv machen. Zudem zeigen die geplante Verschärfung des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes, das Festhalten am Berliner Modell des Vorkaufsrechts und die Forderung nach einem Mietenmoratorium, dass auch die neue Koalition vor riskanten Eingriffen in den Wohnungsmarkt nicht zurückschreckt.
Verwaltung
Die funktionierende Stadt Berlin steht und fällt mit der Qualität und Serviceorientierung seiner öffentlichen Verwaltung. Mit der Ankündigung, insbesondere die Klärung der politischen Zuständigkeiten stärker in den Blick zu nehmen, hat der Senat zudem gezeigt, dass tiefsitzende strukturelle Probleme erkannt wurden. Auch hinsichtlich der Digitalisierung der Verwaltung, einem der wichtigsten Themen der nächsten Jahre, legt der Senat erfreulicherweise eine Reihe guter Ansätze vor. Entscheidend wird nun sein, wie effektiv die Planungen umgesetzt und wie eng die Wirtschaft an der Digitalisierung unternehmensrelevanter Verwaltungsleistungen beteiligt und damit eine echte Kundenorientierung erreicht wird. Der Einsatz von Zielvereinbarungen zwischen Senat und Bezirken, der zahlreiche wirksame Praxisprojekte befördern kann, wird erfreulicherweise in diversen Themenfeldern avisiert, allerdings bleiben unternehmensnahe Anwendungsbereiche weitgehend außen vor. Leider bleibt der Koalitionsvertrag insgesamt überzeugende kurz- bis mittelfristige Maßnahmen schuldig, die schnelle und effektive Abhilfe bei den drängendsten Problemen schaffen.
Digitalisierung
Digitalisierung zum Schwerpunkt der Legislatur zu machen, ist sehr zu begrüßen. Mit der Etablierung eines Chief Digital Officers (CDO) in Verantwortung für die Digital- und die Smart City Strategie sowie die Digitalisierung der Verwaltung/Informations- und Kommunikationstechnologie-Steuerung (IKT) vollzieht die neue Koalition endlich den notwendigen Schritt zu einer strategischen Digitalisierungspolitik aus einer Hand. Für die erfolgreiche Tätigkeit des CDO wird neben der genannten Personal- und Budgetausstattung allerdings auch die Frage des ressortübergreifenden Durchgriffsrechts entscheidend sein. Ob die Anbindung der Digitalisierung bei der Innenverwaltung tatsächlich zielführend ist, sehen wir angesichts der bisherigen Erfahrungen skeptisch. Die Fortschrittsmessung in einem Berlin Dash-Board begrüßt die IHK, wenngleich die Umsetzung mutiger ausfallen könnte. Eine Stabstelle für Digitalisierung in jeder Fachverwaltung ist zu begrüßen, diese muss nun digitalaffin besetzt werden. Aus Sicht der Wirtschaft geht die Koalition auch mit der Priorisierung des Glasfaserausbaus über standardisierte Genehmigungsverfahren sowie eine Stärkung des Breitbandkompetenzteams in die richtige Richtung. Die Fortführung der Digitalprämie für kleine und mittlere Unternehmen ist eine gute Botschaft an die regionale Wirtschaft. Insgesamt bleiben aber die Koalitionäre im Themenfeld Digitalisierung im Hinblick auf die Ziele und vor allem ihre Umsetzung zu unkonkret und unverbindlich. Insgesamt muss Ziel der Legislatur sein, Umsetzungserfolge zu erreichen, statt neue Strategien auf dem Papier zu skizzieren.
Bildung
Bildung ist der zentrale Zukunftsmotor unserer Stadt, der den Fachkräftenachwuchs am Standort sichert und die Wirtschaft am Laufen hält. Ohne qualifizierte Lehrkräfte und eine moderne Schulausstattung ist Bildungsvermittlung allerdings nicht denkbar. Hier fehlt es der IHK Berlin an einer kohärenten Gesamtstrategie. Insbesondere bei der Leistungssteigerung in den Kernfächern, der Stärkung der Berufsorientierung und Digitalisierung der Schulen hat sich die Berliner Wirtschaft von dem neuen Koalitionsvertrag mehr konkrete Gestaltungsfreude erhofft. Diese Leerstellen müssen von der zukünftigen Ressortleitung für eine Revolution in der Bildung genutzt werden. Bis 2035 wird es Berlin mehrheitlich an beruflich qualifizierten Fachkräften fehlen. Diesen Mangel durch eine zweckgebundene Ausbildungsumlage decken zu wollen, ist der falsche Ansatz. Dass der Senat mit der Brandenburger Landesregierung eine gemeinsame Fachkräftestrategie entwickeln will, ist aus Sicht der Wirtschaft zu begrüßen. Die angesprochene gemeinsame Fachkräftestudie darf dabei jedoch nur der Anfang bleiben. Ziel muss ein metropolweiter Strategierahmen zur Fachkräftesicherung sein. Zudem wurde die Chance vertan, die Steuerung der beruflichen Bildung unter einem Dach eines Landesinstituts zu. Für eine gemeinsame Ausbildungsoffensive durch Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Sozialpartner steht die Berliner Wirtschaft weiterhin bereit. Eine Ausbildungsgarantie für Jugendliche ist nur zusammen mit einer Vermittlungsgarantie für angebotene Ausbildungsplätze für Betriebe sinnvoll. Die Jugendberufsagentur über eine Zielvereinbarung an ihren Vermittlungsergebnissen zu messen ist sinnvoll, sie aber hin zu einer erfolgreichen Vermittlungsagentur weiter zu entwickeln, die alle Jugendlichen im Land Berlin erreicht, fehlt im Vertrag.
Mobilität
Der Fokus auf den Ausbau des ÖPNV-Angebots und der Schienennetze ist absolut richtig und die Neubaustrecken sind gut gewählt. Autoverkehr eindämmen und zugleich Mobilität erhalten kann nur, wer Alternativen schafft. Wenn auch in fünf Jahren kaum ein Projekt fertig wird, muss doch endlich mit Hochdruck daran gearbeitet werden. Auch die Nutzung höherer Parkgebühren für mehr ÖPNV stärkt die Nachhaltigkeit. Ein Zwangsticket für Touristen ist dagegen schädlich für den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Tourismusstandort. Angesicht der Menge der Ziele bei begrenzten Kapazitäten ist insgesamt die Gefahr des Verzettelns riesengroß. Zuallererst müssen die richtigen Ziele zur Sicherung des für die Stadt lebensnotwendigen Wirtschaftsverkehrs umgesetzt werden. Ohne Sofortmaßnahmen, wie Pop-up-Lieferzonen, und eine dauerhaft klare Bevorrechtigung des Wirtschaftsverkehrs im Parkraum wird das Stadtzentrum schon bald kaum noch belieferbar sein. Fatal auswirken kann sich zudem der Plan, die Landegebühren des BER bis auf Eigenwirtschaftlichkeit anzuheben, weil dadurch die Region bei der dringend benötigten Anbindung an interkontinentale Strecken Standortnachteile erhält und Umrüstungen auf klimaschonendere Antriebe damit nochmals unattraktiver werden. Ein klimaneutraler Airport BER kann nur entstehen, wenn der Flughafen nicht mit Wettbewerbsnachteilen operieren muss.
Energie, Klima-, Umwelt
Mit der Verankerung des Klimaschutzes als Querschnittsthema für die gesamte Regierung gehen die Koalitionspartner einen Schritt in die richtige Richtung. Der geplante vierteljährlich tagende Senatsausschuss greift bei der Einsetzung einer Klima-Governance zu kurz. Als wichtigste Generationenaufgabe und gesamtgesellschaftliches Transformationsprojekt muss die Steuerung und Koordination Chefinnensache und damit in der Senatskanzlei angesiedelt sein. Insbesondere mit Blick auf den vorgezogenen Kohleausstieg wird es aber auch auf die strukturellen Voraussetzungen für deutlich beschleunigte und innovationsförderliche Planungs- und Genehmigungsverfahren ankommen, um die Stadt im wahrsten Sinne des Wortes nicht im Kalten stehen zu lassen. Mit Sorge sehen wir die Fixierung auf staatliche Marktakteure als Heilsbringer. Bei den anstehenden Herausforderungen sollte die Koalition neben staatlichen Akteuren auch auf die Innovations- und Leistungsfähigkeit der Privatwirtschaft setzen. Als wesentlichen Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität greift die Koalition richtigerweise die energetische Sanierung des Gebäudebestandes auf, aber auch bei der Flächenentsiegelung und der Begrünung von Dächern und Fassaden bleibt die Koalition konkrete Antworten auf die Frage der praxisorientierten Umsetzung schuldig.
Wirtschaft
Dass die Koalition die Wirtschaft als Partner erkennt und einbinden will, ist eine gute Nachricht. Ebenso zukunftsweisend ist das Bekenntnis zur Entwicklung der Metropolregion Berlin-Brandenburg. Die ökonomischen Herausforderungen der Transformation in den kommenden Jahren hat die Koalition als Auftrag erkannt – nicht zuletzt hinsichtlich der Herausforderungen für die Industrie. Für den Erfolg der Transformation wird es entscheidend sein, dass die Unternehmen das notwendig hohe Tempo der Anpassungen mitgehen können. Wo dies nicht möglich ist, müssen durch Förderung oder ähnliche Instrumente Hilfen geboten werden. Gleichzeitig bleibt die Stützung der von der Pandemie betroffenen Branchen wichtig. Damit die Programme jedoch auch ihre positive Wirkung entfalten können, müssen sie bürokratiearm und niedrigschwellig ausgestaltet werden. Hierzu findet sich zu unserem Bedauern kein Ansatz im Koalitionsvertrag. Um Berlins wirtschaftliche Erfolgsstory fortzusetzen, sind die geplanten Instrumente zur Förderung von Gründerinnen sowie zur Stärkung migrantischer Gründungen ein wichtiger Schritt. Allerdings darf darüber keine Wettbewerbsverzerrung gegenüber anderen Gründern entstehen. Kritisch bewerten wir die Idee zur Grundsteuerreform. Aufkommensneutral ist hier nicht automatisch gleichbedeutend mit Belastungsneutral. Fraglich ist die gewünschte Lenkungswirkung der Grundsteuer C, die bereits in den 60er Jahren scheiterte und zu mehr Bürokratie und Rechtsunsicherheiten führt.