IHK Berlin
Mittelstands-Check der IHK: 12 Vorschläge für eine bessere Mittelstandspolitik im nächsten Jahr
Das Kompetenzteam Mittelstand der IHK Berlin hat seine jährliche Bewertung der Berliner Wirtschaftspolitik vorgelegt und verbindet seine Analyse mit zwölf konkreten Empfehlungen für eine höhere Orientierung auf kleine und mittlere Unternehmen in der Stadt. Den drängendsten Handlungsbedarf sehen die im Kompetenzteam engagierten Unternehmerinnen und Unternehmer bei den Themenfeldern Standortpolitik, Verwaltung, Innovation und Bildung. Das Kompetenzteam Mittelstand ist ein ehrenamtliches Gremium, in dem sich Unternehmerinnen und Unternehmern seit 2002 für die Interessen und Bedarfe des Berliner Mittelstands einsetzen. Beim Treffen mit den wirtschaftspolitischen Sprechern der Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhauses hat das Mittelstandskompetenzteam die zwölf Empfehlungen vorgestellt und die Politiker ermuntert, gemeinsam mit der Wirtschaft die Umsetzung anzugehen.
Zu den zentralen Forderungen beim Thema Verwaltung gehört die Steuerung der Verwaltungsmodernisierung aus der Senatskanzlei. Zudem müsse bei der Entwicklung von kundenorientierten Verwaltungsangeboten eine Fokusgruppe aus der Wirtschaft einbezogen werden. Beim Thema Innovationen fordert das Kompetenzteam Mittelstand, bei öffentlichen Vergaben nicht nur nach dem reinen Anschaffungspreis zu entscheiden. Vielmehr müssten auch z.B. Lebensdauer und Wartungskosten („Total-Cost-of-Ownership“ – Kriterien) in die Entscheidung einbezogen werden. Zudem empfehlen die Unternehmerinnen und Unternehmer, eine Behörde zum Experimentierfeld für die Beschaffung innovativer Technologien auszubauen.
Sebastian Stietzel, Vorsitzender des Kompetenzteams Mittelstand und Vizepräsident der IHK Berlin:
Bei der Berliner Wirtschaft sprechen wir zu 98 % von Unternehmen, die unter 50 Mitarbeiter beschäftigen. Sie sind es, die das Gesicht des Wirtschaftsstandortes prägen. Leider ist es aus Sicht des Mittelstands dem politischen Berlin nicht gelungen, wesentlichen Zielstellungen für die Weiterentwicklung der Stadt entscheidend näher zu kommen. Stattdessen haben viele mittelständische Unternehmer in der vergangenen Legislaturperiode eine Distanzhaltung von Politik und Verwaltung gegenüber der Unternehmerschaft gespürt. Aber nur in Partnerschaft mit der Wirtschaft kann Berlin vorankommen, sei es bei der überfälligen Modernisierung der Verwaltung, bei der Implementierung von neuen technologischen Lösungen im Stadtbild oder einer qualitativ hochwertigen Bildungspolitik im Hinblick auf die Fachkräftesituation im Berliner Mittelstand. Die Berliner Wirtschaft steht als 4. Koalitionspartner zur Verfügung!
Im Folgenden finden Sie Statements von Wirtschaftsvertretern zu den einzelnen Themenfeldern und Forderungen.
Die Empfehlungen des Kompetenzteams Mittelstand finden Sie kompakt zusammen gestellt hier: www.ihk-berlin.de/mittelstandscheck2021
Thema Standortpolitik
Georg Strecker, Wintergarten Varieté Berlin:
Nicht nur, aber insbesondere als Unternehmer schaue ich mit Sorge auf den Wirtschaftsstandort Berlin. In den letzten Jahren ist nicht viel zusammengelaufen – eher im Gegenteil: Berlin geht perfektioniert den Problemlösungen aus dem Weg und liefert damit ein Bild, das einer Hauptstadt nicht würdig ist. Ein Masterplan, der die Stadt wieder international in die richtige Position rückt, ist überfällig. Wir Kulturunternehmer tragen mit unseren Angeboten gerne dazu bei. Unterstützen kann uns die neue Landesregierung, indem sie die Zuständigkeit für die privaten Kulturbetriebe endlich eindeutig benennt und uns damit einen Ansprechpartner auf diesem Weg an die Seite stellt.
Thema Verwaltung
Christian Rücker, UNITAS AG:
Die Verwaltung wäre im wahrsten Sinne des Wortes gut beraten, wenn sie den Prozess der eigenen Digitalisierung mit dem Kunden Wirtschaft gemeinsam aus der Nutzerperspektive angeht. So kann das Risiko, am Ende am Ziel vorbei gearbeitet zu haben, auf nahezu null reduziert werden. Vor der Digitalisierung müssen die Abläufe der Fachverfahren erstmal den heutigen Anforderungen an Service, Tempo und Verbindlichkeit angepasst werden. So gelingt es vielleicht auch, dass auftretende Fehler während der Bearbeitung intern rechtzeitig auffallen - und behoben werden -, ohne dass die Servicequalität dem Kunden gegenüber leidet – etwa durch unnötige zeitliche Verzögerungen oder gar fehlerhafte Bescheide.
Todor Daskalov, MINHOFF GmbH:
Digitalisierung heißt nicht, veraltete analoge Prozesse einfach mit digitalen Mitteln fortzuführen. Die Verwaltung sollte sich in erster Linie als Partner der Bildungseinrichtungen und auch der Wirtschaft verstehen. Die Prozesse können und müssen gemeinsam erarbeitet und gelebt werden. Hier kann die Verwaltung vom Erfahrungsschatz der Wirtschaft aus zahlreichen Digitalisierungsprojekten enorm profitieren. Wir alle, die Lehrer, die Verwaltung und die Wirtschaft haben das gleiche große Ziel, unseren Kindern ein zeitgemäßes Lernen zu ermöglichen. Da sollten man sich nicht weiter im Klein-Klein von Ressort- und Zuständigkeitsdiskussionen verlieren.
Thema Innovation
Sandeep Jolly, Card Assist CA GmbH:
Mit einem jährlichen Investitionsvolumen zwischen 3 – 5 Mrd. Euro trägt das Land einerseits Verantwortung für die Verwendung von Steuermitteln, verfügt aber gleichzeitig über einen starken Hebel für die Gestaltung Berlins als modernen, funktionierenden und nachhaltigen Standort. Die Beschaffungs- und Vergabepolitik des Landes muss die Tür für innovative Lösungen städtischer Bedarfe öffnen, indem sie Wirtschaftlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit zur zwingenden Entscheidungsgrundlage beim Einkauf macht. Nur so kann der digitale Innovationsstau zum Beispiel in den landeseigenen Berliner Krankenhäusern – technische Lösungen für eine moderne Telematikinfrastruktur und sichere Kommunikationsstrukturen liegen in den Schubladen der IT-Dienstleister – abgebaut werden.
Sonja Jost, DexLeChem GmbH:
Das ungehinderte Zusammenspiel von innovativen Unternehmen und ergänzender Kompetenz aus dem Wissenschaftsbereich ist unentbehrlich, um aus Berlin tatsächlich eine nachhaltige Stadt mit überregionaler Vorbildfunktion zu machen. Der Faktor Zeit ist dabei nicht auf unserer Seite. Wir brauchen mehr Tempo, um Forschung und industrielle Anwendung lösungsorientiert zusammenzubringen. Das Land Berlin kann seine Verantwortung wahrnehmen, indem es die Hochschulverträge ab 2023 mit einem von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft gemeinsam entwickelten Anreizsystem für mehr Transfer aus den Hochschulen in den Mittelstand ausstattet. Die Freiheiten des Arbeitnehmererfindergesetzes sollten für wissenschaftliche Ausgründungen voll ausgeschöpft und Erfindungen entsprechend freigestellt werden, falls die Unternehmen langfristig in Berlin ansässig bleiben. Auf diese Weise würde man die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und Wirtschaft mit Sitz in Berlin nachhaltig sichern helfen.
Thema Bildung
Katharina Kurz, BRLO GmbH:
Der Fachkräftemangel ist deutlich spürbar und hat sich insbesondere in der Gastronomie durch die Coronapandemie enorm verschärft. Die Situation ist teilweise dramatisch und viele Restaurants können aufgrund von Personalmangel in Service und Küche nicht öffnen: Aus unserer Sicht ist die duale Berufsausbildung eine enorm wichtige Maßnahme, um dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken und die Lage in der Gastronomie zu verbessern. Doch auch schon vor der Pandemie sah es in unseren Ausbildungsberufen nicht viel besser aus: Oft sind Bewerber*innen nicht ausreichend qualifiziert, um in die Berufsausbildung zu starten. Von der neuen Landesregierung erwarten wir, dass sie gemeinsam mit der Wirtschaft eine Ausbildungsoffensive initiiert, die die Ausbildungsfähigkeit sowie eine zeitgemäße intensive Berufsorientierung der Jugendlichen gemeinsam mit der Wirtschaft in den Fokus nimmt.