IHK Berlin

IHK-Fachkräftemonitor: Trotz Corona steuert Berlin auf dramatischen Fachkräftemangel zu

Die Corona-Krise verringert den Fachkräfteengpass nur vorübergehend. Ohne die Pandemie und ihre Auswirkungen würde die prognostizierte „Lücke“ zwischen Fachkräfteangebot und -nachfrage bei 138.000 liegen, durch die Krise lag sie hingegen bei 55.000. Im Gesundheitswesen zeigt der Vergleich mit der Vor-Corona-Prognose, dass 2021 sogar zusätzlich 2.000 Fachkräfte fehlen werden. Mit dem Renteneintritt der sogenannten Babyboomer-Jahrgänge ab Mitte der 2020er Jahre wird sich die Lage in allen Branchen dramatisch verschärfen. So werden für das Jahr 2035 allein in Berlin 377.000 fehlende Fachkräfte prognostiziert. Das ist das Ergebnis des aktuellen Fachkräftemonitors, den die IHK Berlin gemeinsam mit dem Forschungsinstitut WifOR erarbeitet hat. Der seit 2012 jährlich aktualisierte Fachkräftemonitor ist eine interaktive Webanwendung, die einen Blick auf die Entwicklung des Berliner Arbeitsmarktes in Bezug auf Fachkräfteangebot, -nachfrage, Branchen, Berufsgruppen und Qualifikationen für das Land Berlin ermöglicht.

Beatrice Kramm, Präsidentin der IHK Berlin:
„Die aktuelle Krise darf den Blick in die Zukunft nicht verstellen. Unsere Berechnungen bescheinigen einen gravierenden Fachkräftemangel, der schon jetzt zu den größten Herausforderungen für die Berliner Wirtschaft gehört. Politik und Verwaltung müssen deshalb agieren und klug vorbauen – im wahren Sinn des Wortes. Berlin befindet sich hier in einem immer stärker werdenden, globalen Wettbewerb um potenzielle Fachkräfte und ihre Familien. Umso wichtiger wird ein attraktives und bezahlbares Wohn- und Arbeitsumfeld. Dies muss eine der zentralen Aufgaben der künftigen Landesregierung sein. Besonders groß fällt der Bedarf bei den beruflich Qualifizierten aus, deshalb ist es notwendig, dass die Vermittlung in Ausbildung und die Anerkennung beruflicher Qualifikationen verbessert werden. Es braucht aber auch eine Weiterbildungsoffensive. Denn die Arbeit der Zukunft wird geprägt sein von Digitalisierung und Automatisierung. Anforderungen und Berufsbilder werden sich dementsprechend ändern. Zudem müssen Wissenschaft und Wirtschaft enger verzahnt werden, damit neue Technologien auch in der Breite eingesetzt werden können. Berlin ist ein starker Innovationsstandort – diese Innovationen müssen in praktische Nutzbarkeit für die Betriebe übersetzt werden. Auch das kann den Fachkräftemangel reduzieren.“

Gravierende Verschärfung bei beruflich Qualifizierten

Vor allem bei beruflich Qualifizierten wird sich die Fachkräfteproblematik gravierend verschärfen. Dies zeigt sich besonders stark in den absoluten Zahlen: Zwischen 2027 und 2033 verdoppelt sich der Engpass auf 264.000, im Jahr 2035 werden es nach jetzigem Stand der Prognose sogar 314.000 fehlenden Fachkräfte sein. Besonders hohe berufliche Qualifikationen (z. B. Techniker/in, Meister/in) werden darüber hinaus noch stärker gefragt sein. Zudem werden in 2035 laut Prognose 63.000 Akademiker und Akademikerinnen fehlen.
Die Verschärfung des Fachkräftemangels geht maßgeblich darauf zurück, dass das Angebotspotenzial an Fachkräften in Berlin in der nächsten Dekade deutlich sinken wird. 2035 werden dem Arbeitsmarkt nach den vorliegenden Berechnungen 423.000 weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen als heute. Die unternehmensseitige Nachfrage wird bis 2035 zwar ebenfalls abnehmen, jedoch nur um rund 100.000 Fachkräfte.

Corona-Krise verringert Engpass nur vorübergehend

Auch wenn aktuell die Corona-Krise die Aussichten vor allem in den besonders betroffenen Branchen eingetrübt hat – mittelfristig werden konjunkturelle Erholungseffekte greifen, die unter anderem durch eine wieder erhöhte Personalnachfrage dazu führen, dass sich die Fachkräftelücke nahezu überall öffnen wird. Aktuell macht sich die Verringerung des Engpasses vor allem im Gastgewerbe, Handel und der Industrie bemerkbar. Bis 2022 ist hier von einer geringeren Fachkräftelücke auszugehen als bisher angenommen.
Im Vergleich gestiegen ist der Fachkräfteengpass bei den öffentlichen Dienstleistern und im Gesundheits- und Sozialwesen. Zusammen in beiden Branchen fehlen dort aktuell 42.000 Fachkräfte.
Neben beruflich qualifiziertem Personal für Büro- und Erziehungsberufe sowie Tätigkeiten mit akademischer Ausbildung im Bereich der Unternehmensführung, wird es in Zukunft für Unternehmen noch schwieriger werden Personal im MINT-Bereich zu finden. Hier ist der relative Engpass an Fachkräften besonders hoch. Beruflich Qualifizierte mit technischer Ausrichtung spielen eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, akute Herausforderungen wie den Strukturwandel, Digitalisierung oder Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz anzugehen.
Der höchste absolute Engpass – d. h. die Lücke zwischen unternehmensseitiger Nachfrage und Fachkräfteangebot auf dem Arbeitsmarkt – wird im Jahr 2035 nach unseren Berechnungen in den folgenden zehn Berufsgruppen bestehen (alle Ergebnisse finden Sie unter www.fkm-berlin.de)
Berufsgruppen – TOP 10 absolut, in 2035
absoluter Engpass
(relativer Engpass)
Büro- und Sekretariatsberufe, mittlere Qualifikation
z. B. Kauffrau/-mann Bürokommunikation
42.700
37,5
Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie, mittlere Qualifikation
z. B. Erziehungspfleger/in, Sozialassistent/in
31.800
45,0
Unternehmensführung, akademische Qualifikation
z. B. Unternehmensberater/in, Volkswirt/in, MBA, Betriebswirt (Hochschule)
30.300
42,8
Berufe in der Unternehmensorganisation und im Personalwesen, mittlere Qualifikation
z. B. Fachkraft Personalwirtschaft
23.400
38,9
Verkaufsberufe, mittlere Qualifikation
z. B. Kaufmann/-frau im Einzelhandel
16.400
20,5
Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufe, mittlere Qualifikation
z. B. Verkehrsüberwacher/in, Servicekraft Schutz z. Sicherheit
15.500
44,9
Berufe in Recht und Verwaltung, mittlere Qualifikation
z. B. Rechtsanwaltsfachangestellte/r, Sozialversicherungsfachangestellte/r
14.400
34,2
Technische Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe, hohe Qualifikation
z. B. Fertigungstechniker/in, Industriemeister/in
11.630
59,6
Medizinische Gesundheitsberufe, mittlere Qualifikation
z. B. medizinisch-techn. Assistent/in
10.600
15,1
Berufe in der Unternehmensorganisation und im Personalwesen, hohe Qualifikation
z. B. Personaler/in, Teamleiter/in
10.200
38,1

Im Verhältnis zur Nachfrage wird der Engpass in diesen zehn Berufsgruppen voraussichtlich besonders hoch sein:
Berufsgruppen - TOP 10 relativ
relativer Engpass
absoluter Engpass
Technische Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufe, hohe Qualifikation
z. B. Fertigungstechniker/in, Industriemeister/in
59,6
11.630
Rohstoffgewinnung und -aufbereitung, Glas- und Keramikherstellung und -verarbeitung, hohe Qualifikation
z. B. Glastechniker/in, Techniker/in Baustofftechnologie, Techniker/in Feinoptik
58,0
1.770
Bauplanungs-, Architektur- und Vermessungsberufe, mittlere Qualifikation
z. B. bautechn. Assistent/in, Vermessungstechniker/in
57,8
3.850
Maschinenbau- und Betriebstechnik, hohe Qualifikation
z. B. Maschinenbaumeister/in, Aufzugtechniker/in, leitende/r Monteur/in
48,1
2.330
Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie, mittel
z. B. Erziehungspfleger/in, Sozialassistent/in
45,0
31.800
Schutz-, Sicherheits- und Überwachungsberufe, mittlere Qualifikation
z. B. Verkehrsüberwacher/in, Servicekraft Schutz z. Sicherheit
44,9
15.500
Lehrende und ausbildende Berufe, hohe Qualifikation
z. B. Fachlehrer/in, Ausbilder/in
43,9
4.960
Bauplanungs-, Architektur- und Vermessungsberufe, hohe Qualifikation
z. B. Baumeister/in, Bautechniker/in, Baufachwirt/in, Katastertechniker/in
43,5
2.820
Sprach-, Literatur-, Geistes-, Gesellschaftswissenschaftler, akad. Qualifikation
z. B. Computerlinguist/in, Politologe/Politologin, Ökonom/in
42,9
9.300
Erziehung, soziale und hauswirtschaftliche Berufe, Theologie, hohe Qualifikation
z. B. Kitaleiter/in, Sonderpädagoge/Sonderpädagogin (Fachschule)
42,8
6.120