IHK Berlin

Berliner Wirtschaft im Krisenmodus – Optimismus stark ausgebremst

Die Corona-Krise hat die Berliner Wirtschaft weiter fest im Griff. Das ergab die traditionelle Konjunkturumfrage im September von Handwerkskammer Berlin und IHK Berlin. Der Geschäftsklimaindikator der Berliner Wirtschaft notiert mit 106 Punkten wieder über der Expansionsmarke von 100 Zählern, nachdem er zu Beginn der Corona-Pandemie auf 65 Punkte abgestürzt war, den schlechtesten je gemessenen Wert. Die aktuelle konjunkturelle Situation in den einzelnen Branchen ist jedoch vollkommen heterogen. Hinzu kommt, dass die Befragung der Unternehmen zu einem Zeitpunkt stattfand, als die Infektionszahlen noch weit vom heutigen Stand entfernt waren und ein erneuter Teil-Lockdown nicht zur Debatte stand. Von einem gesamtwirtschaftlich soliden Wachstumspfad aus der Krise heraus kann also noch keine Rede sein.
Im Herbst leidet die Berliner Wirtschaft noch immer erheblich unter dem coronabedingten Konjunktureinbruch. Aber immerhin laufen die Geschäfte der meisten Unternehmen wieder, wenn auch in vielen Fällen weit weniger dynamisch als vor der Krise. In besonders von Anti-Corona-Maßnahmen eingeschränkten Sektoren allerdings ist Lage weiterhin angespannt.
Gleichzeitig befindet sich die Berliner Wirtschaft in einer mühsam erarbeiteten Erholungsphase, deren Verlauf und Dauer noch nicht abzusehen sind. Vor dem Hintergrund der aktuell geplanten Pandemie-Maßnahmen droht eine Verschärfung der Lage. Gastgewerbe, Tourismus, Veranstaltungswirtschaft und Handel werden diese zuerst zu spüren bekommen. Viele Unternehmen werden erneut ihre Arbeitsprozesse an die Risikolage anpassen und umfangreiche Auflagen erfüllen müssen. Die Berliner Wirtschaft bleibt im Krisenmodus.
Jürgen Wittke, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Berlin: „Die Konjunktur im Handwerk lässt nach. Die Aussichten sind weniger optimistisch als in den vergangenen Jahren. Die Geschäfte der meisten Handwerksbetriebe laufen noch gut, aber die abgefragten Erwartungen unserer Betriebe sind durch Corona eingetrübt wie seit vielen Jahren nicht mehr. Nur noch 17 Prozent der Handwerksbetriebe gehen von einer Verbesserung der Wirtschaftslage aus, 27 Prozent blicken pessimistisch in die Zukunft – so viele wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr. Dennoch ist der Baubereich im Handwerk weiterhin erfolgreich und bleibt einer der Konjunkturmotoren dieser Stadt. Das Handwerk ist also trotz aller Schwierigkeiten tagtäglich weiterhin für die Berliner da und hält die Stadt am Laufen.“
Henrik Vagt, Geschäftsführer Wirtschaft und Politik der IHK Berlin: „Mehr als jedes sechste Unternehmen hält eine Insolvenz zumindest für wahrscheinlich. Deutlicher kann man die aktuell schwierige Lage kaum ausdrücken. Zwar hat dieser Senat sich in den vergangenen sechs Monaten so sehr mit dem Wohl der Wirtschaft beschäftigt wie nie – und ausdrücklich ist festzuhalten, dass er dabei überwiegend gute Arbeit gemacht hat, auch wenn die Wirtschaft wiederholt Prozesse anstoßen oder zur Eile mahnen musste, doch mit dem Wiederaufflammen der Pandemie ist auch die Wirtschaftskrise auf dem Weg zu einem zweiten Höhepunkt und noch lange nicht überwunden. Daher braucht es bei den Hilfsmaßnahmen für krisengeschädigte Unternehmen schnellstens Nachbesserungen. Wir brauchen unbürokratische Hilfsprogramme, mit denen in den besonders betroffenen Branchen betriebliche Fixkosten finanziert werden können – für den Mittelstand und für Kleinstunternehmen und Soloselbständige, die ansonsten in der Grundsicherung landen. Ich befürchte sonst stehen wir einer gewaltigen Zahl Insolvenzen gegenüber.“

Branchenspezifische Ergebnisse

Industrie
Berliner Industrieunternehmen schöpfen wieder Hoffnung: die optimistischen Einschätzungen überwiegen, der Salto stieg von -58 auf +24 Punkte. Auch bei der Beurteilung der aktuellen Geschäftslage stieg der Indikator von -23 auf +4 Punkte. Damit liegt die Branche allerdings immer noch weit hinter der Situation der vergangenen Jahre. Düster sehen die Pläne zur Beschäftigungsentwicklung aus: 17 Prozent der Unternehmen wollen die Zahl der Beschäftigten erhöhen, 28 Prozent müssen die Zahl der Mitarbeiter reduzieren. Auch das Investitionsgeschehen in der Industrie ist schwächer ausgeprägt: mit 61 Prozent der Unternehmen liegt der Anteil investierender Unternehmen zwar höher als im Frühjahr, aber dennoch deutlich hinter den Werten der vergangenen Jahre. Die Entwicklung der Investitionsvolumina ist ebenso verhalten.
Handwerk
Im Spätsommer bewerteten insgesamt 37 Prozent der Berliner Handwerksbetriebe ihre aktuellen Geschäftsergebnisse als gut, 18 Prozent urteilten mit schlecht. Bei den Geschäftserwartungen ist die Besorgnis über die Auswirkungen der Corona-Krise deutlich spürbar: nur noch 17 Prozent gehen von einer Verbesserung der Lage aus, 27 Prozent sehen pessimistisch in die Zukunft. Der Geschäftsklimaindex im Berliner Handwerk sank um 27 Zähler auf 103 Punkte. In allen Handwerksgruppen kam es zu einem drastischen Stimmungsabfall, lediglich drei Bereiche übertreffen die 100-Punkte-Marke: Bauhaupt-, Ausbau- und Gesundheitsgewerbe.
Bauindustrie
Die Bauindustrie ist von der Corona-Krise weniger stark betroffen als andere Branchen. Die aktuelle Lagebeurteilung ist überwiegend positiv. Dennoch liegt hier der Saldo von 32 Punkten deutlich unter den Ergebnissen der vergangenen Jahre. Bei den Geschäftserwartungen zeigt sich steigender Pessimismus: Hier liegt der Saldo bei -16 Punkten. Zwar wollen 78 Prozent der Betriebe ihre Beschäftigten halten, dennoch liegt der Saldo zur Entwicklung der Beschäftigung mit 7 Punkten im Minus. Insbesondere vor dem Hintergrund schwieriger Fachkräfteakquise ist das besorgniserregend, da der Wiederaufbau verlorener Kapazitäten nicht einfach sein wird.
Handel
Die wirtschaftlichen Einschränkungen haben sich sehr unterschiedlich auf die Berliner Händler ausgewirkt. Lebensmittel-Einzelhandel und Online-Handel konnten weiter ihren Geschäften nachgehen. Doch insbesondere jene, die auf den Berlin-Tourismus oder auf Pendler angewiesen sind und ihre Geschäftsräume überwiegend in der Innenstadt haben, mussten Einbußen hinnehmen – ebenso wie der Großhandel für Gastronomie und Hotellerie. Die aktuelle Lage wird im Saldo mit +20 Punkten bewertet, das ist ein solider Wert. Allerdings bewerten kleinere Unternehmen die aktuelle Lage häufig kritischer als Große. Die Erwartungen liegen mit einem Saldo von 5 Punkten knapp im Positiv-Bereich, nach den -66 Punkten vom Frühjahr ist dies eine deutlich optimistischere Auffassung.
Dienstleistungsgewerbe
Die Dienstleistungs-Unternehmen haben den ersten Corona-Schock aus dem Frühsommer teilweise verarbeitet. Der Saldo bei der Bewertung der aktuellen Geschäftslage stieg von -17 auf +3 Punkte. Allerdings gibt es hier deutliche Unterschiede in den einzelnen Sektoren. Bei den personenbezogenen Dienstleistungen laufen die Geschäfte weiterhin schlecht (Saldo -59 Punkte), deutlich besser schätzen unternehmensbezogene Dienstleister ihre aktuelle Lage ein. Vergleichsweise gut entwickelten sich die Geschäfte der IT-Dienstleister und der Immobilienwirtschaft. Der Erwartungsindikator im Dienstleistungssektor stieg auf +7 Punkte (Frühsommer: -51), demnach rechnet nur eine Minderheit der Unternehmen mit einer weiteren Verschlechterung der Lage. Die Unterschiede in den einzelnen Sektoren spiegeln sich auch bei den Personalplanungen wider: 65 Prozent der personenbezogenen Dienstleister planen einen Stellenabbau, während 40 Prozent der IT-Unternehmen Personal einstellen wollen.
Gastgewerbe
Das Gastgewerbe bekommt die Folgen der wirtschaftlichen Einschränkungen dauerhaft und langanhaltend zu spüren. Die Bewertung der aktuellen Geschäftslage ist sehr schlecht: der Saldo aus positiven und negativen Einschätzungen liegt bei -79 Punkten. Dagegen sind die Erwartungen wieder optimistischer: der Saldo stieg von -66 auf +20 Punkte. Der Befragungszeitraum endete Anfang Oktober – Einschränkungen jüngeren Datums mögen die Aussichten wieder getrübt haben, sind aber in die Befragung nicht eingeflossen. Hinsichtlich der Beschäftigungspläne rechnen 58 Prozent der Betriebe damit, Personal abbauen zu müssen. Die Branche plant, ihre Investitionen deutlich zurückzufahren.
Corona-Sonderbefragung
Die Corona-Krise hat eine Schneise in die Berliner Wirtschaft geschlagen. Allerdings wirkt diese Krise äußerst unterschiedlich auf die verschiedenen Branchen. So gibt es neben einer Vielzahl von Verlierern auch einige wenige Gewinner. Nach ihrer Umsatzentwicklung für das Jahr 2020 gefragt, gehen 39 Prozent der Unternehmen von keinen Auswirkungen oder sogar Umsatzsteigerungen aus. Dagegen rechnen 56 Prozent der Unternehmen mit Umsatzverlusten, 16 Prozent sogar mit einem Umsatzrückgang von mehr als 50 Prozent. Eine große Unbekannte bleiben die Auswirkungen von Insolvenzen auf das weitere Konjunkturgeschehen. Laut eigener Einschätzung gehen zumindest vier Prozent der Befragten davon aus, dass eine Insolvenz aufgrund der Krise sehr wahrscheinlich ist. Weitere 13 Prozent halten diese immerhin noch für wahrscheinlich. Hier ist die Betroffenheit unter den verschiedenen Branchen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Auch die Unternehmensgröße spielt eine Rolle. Größere Unternehmen sehen sich tendenziell weniger oft von Insolvenz bedroht als kleinere Unternehmen. Im Gastgewerbe hält mehr als jedes vierte Unternehmen es für wahrscheinlich in die Insolvenz gehen zu müssen und acht Prozent sogar für sehr wahrscheinlich. Eine Rückkehr zu einer normalen Geschäftstätigkeit erwarten die Unternehmen überwiegend nicht mehr in diesem Jahr. 18 Prozent der Befragten rechnen selbst im kommenden Jahr nicht mit einer normalen Geschäftstätigkeit. Zu groß sind die Risiken, die die Unternehmen für ihre Geschäftstätigkeit sehen. Stark in den Vordergrund ist der Inlandsabsatz gerückt, der lange Zeit eine geringe Rolle gespielt hat. Der Fachkräftemangel dagegen, der den Unternehmen noch vor der Krise massiv zu schaffen gemacht hat, wird heute weit weniger oft genannt. Dies ist in Anbetracht der negativen Personalpläne nicht überraschend.
Den vollständigen Konjunkturbericht finden Sie bei uns auf www.ihk-berlin.de/konjunktur.
Eine gemeinsame Pressemitteilung der Handwerkskammer Berlin und der Industrie- und Handelskammer Berlin.