17. November 2016

Koalitionsvertrag – Richtige Themen, offene Umsetzung

Der von SPD, Linken und Grünen vorgestellte Koalitionsvertrag fokussiert sich auf die sozialen Aspekte der wachsenden Stadt. Zugleich betont das Dokument aus Sicht der IHK Berlin aber auch entscheidende Themen für die Gestaltung des Wirtschaftsstandortes Berlin. Jetzt kommt es darauf an, aus der Aneinanderreihung richtiger Maßnahmen ein übergreifendes Leitbild und eine Gesamtstrategie für die Stadt zu entwickeln. Hierfür müssen auch die Verwaltungsstrukturen angepasst werden.

Wirtschaft und Energie
Die IHK begrüßt, dass die Koalitionäre die Entwicklung von Industrie und Digitalisierung in den Vordergrund ihrer Wirtschaftspolitik stellen, welche aber im Koalitionsvertrag insgesamt eher eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Positiv sieht die IHK die Fortführung des Steuerungskreises Industriepolitik beim Regierenden Bürgermeister und seine Unterstützung durch Einrichtung einer Geschäftsstelle. Im Rahmen der Clusterpolitik hätte sich die IHK zunächst eine Bestandsaufnahme und Evaluierung der Cluster gewünscht. Insbesondere durch die stärkere Verzahnung von Cluster- und Industriepolitik sowie die clusterübergreifender Kooperationen kann es jedoch gelingen, die Wachstumsbranchen der Hauptstadtregion weiter zu stärken.

In der Energiepolitik geht die Koalition mit der Einrichtung eines „Steuerungskreises Energiewende“ einen wichtigen Schritt, um die Umsetzung der Energiewende besser zu koordinieren. Auch mit der geplanten konsequenten Umsetzung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms wird eine wichtige Forderung der Wirtschaft aufgegriffen. Problematisch ist die Ankündigung, das eigene Engagement in der Energiewirtschaft auszuweiten. Insbesondere beim Stadtwerk wird es darauf ankommen, die neue Stärke dieses öffentlichen Akteurs auf dem Energiemarkt für Projekte zu nutzen, die im Wettbewerb zurzeit nicht von anderen erfüllt werden können.

Verwaltung
Die Koalition sieht, dass Berlin eine leistungsfähige Verwaltung braucht und „verdient“. Mit der Zuständigkeit für das Personalmanagement bei der Senatsverwaltung für Finanzen und der Entwicklung eines langfristigen Personalbedarfskonzepts bekommt die Verwaltung den Stellenwert, der ihr zusteht. Das Vorantreiben der Digitalisierung der Verwaltung und das Bekenntnis zur Umsetzung des E-Government-Gesetzes zeigen, dass die Koalition auf dem richtigen Weg ist. Hier darf aber nicht gezögert werden: Eine Überprüfung der Terminsetzungen im E-Government-Gesetz darf nicht zu einem Nachlassen eigener Anstrengungen führen. Die Absicht, das Verhältnis zwischen Senat und Bezirken neu zu ordnen und Doppelzuständigkeiten aufzuheben, werden ausdrücklich begrüßt – auch wenn weitreichende strukturelle Änderungen nicht geplant sind.

Bildung
Positiv sieht die IHK das Bekenntnis des neuen Senats zur beruflichen Bildung. Dazu gehören die Stärkung der Oberstufenzentren als Partner in der dualen Ausbildung und die aufsuchende Beratung im Rahmen der Jugendberufsagentur. Zu Recht wird bei der Berufsorientierung in den Schulen ein Schwerpunkt gesetzt. Zusammen mit der geplanten Imagekampagne sind dies die richtigen Schritte, um die Attraktivität der dualen Ausbildung bei den Jugendlichen zu steigern. Dagegen ist die geplante Ausbildungsplatzabgabe, die zunächst nur für Pflegeberufe erhoben werden soll und perspektivisch auch auf andere Ausbildungsberufe erweitert werden kann, ein unnötiger bürokratischer Kraftakt für Wirtschaft und Verwaltung. Die Berliner Unternehmen stellen bereits Ausbildungsplätze auf Rekordniveau zur Verfügung, doch gleichzeitig können sie immer weniger dieser Lehrstellen besetzen. Statt einer vermeintlichen Strafsteuer sollte sich der neue Senat darauf fokussieren, die Qualität der Schulbildung und damit die Ausbildungsreife der Schulabgänger zu verbessern.

Verkehr und Infrastruktur
Die IHK begrüßt die Verabredung, die gesetzlichen Vorgaben zu den Tagesrandzeiten am Flughafen BER nicht zu verändern. Damit wahrt der neue Senat eine wichtige Voraussetzung, Berlin für Langstreckenverbindungen attraktiv zu halten. Zudem sollen die anstehenden Kapazitätserweiterungen erfreulicherweise gemeinsam mit den weiteren Gesellschaftern angegangen werden. Enttäuschend ist allerdings für die IHK die unzureichende Berücksichtigung der besseren Erschließung von Gewerbegebieten und der stark wachsenden Pendlerströme vom und ins Berliner Umland. Der Plan, ein integriertes Wirtschaftsverkehrskonzept zu erarbeiten, ist zwar grundsätzlich begrüßenswert – jedoch darf sich dieses nicht auf Citylogistik mit Lastenfahrrädern beschränken. Die stärkere Fokussierung auf den Fahrradverkehr wird nur gelingen, wenn sie mit strategischer Weitsicht und Entschlossenheit umgesetzt wird. Ein undifferenziertes Zurückdrängen des Autoverkehrs sieht die IHK Berlin kritisch.

Wohnungsbau
Die 6.000 geplanten Neubauwohnungen der städtischen Gesellschaften werden bei weitem nicht ausreichen, das Berliner Wohnungsproblem zu lösen. Daher muss es privaten Unternehmern möglich sein, Wohnungen wirtschaftlich, schnell und mit praktikablen gesetzlichen Vorgaben bauen zu können. Angesichts des geplanten höheren Anteils von Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindung muss es möglich sein, Baukosten gegenzurechnen, die durch weitere verteuernde Auflagen entstehen. Regelungen für den Wohnungs- und Gewerbebau müssen im Ergebnis erleichtert und das Baunebenrecht wirtschaftsfreundlich gestaltet werden. Das lässt der Koalitionsvertrag nicht erkennen.

Finanzen
Mit dem Verzicht auf die in den Koalitionsverhandlungen diskutierte Erhöhung der Gewerbesteuer hat die Koalition ein deutliches Signal an die Berliner Wirtschaft und ansiedlungswillige Unternehmen gesetzt: Berlin soll ein prosperierender Wirtschaftsstandort bleiben und nicht durch unnötige Steuererhöhungen belastet werden. Folgerichtig soll auch der Wohnungsneubau nicht durch höhere Grund- und Grunderwerbsteuer gebremst werden. Die angekündigte, von der IHK seit Jahren geforderte Steigerung der Investitionsquote findet ebenfalls den Beifall der Wirtschaft. Der Preis für das neue Investitionsprogramm sind eine künftig geringere Tilgung von Landesschulden, eine stärkere Verschuldung der Landesunternehmen und damit zusätzliche Zinsrisiken. Für die Koalition ist dieser angekündigte Weg eine große Herausforderung, muss sie doch wegen der Haftung des Landes für die Schulden der Landesunternehmen diese zielgerichtet steuern, zugleich ihnen aber die Freiheit belassen, sich entsprechend ihrer Rechtsformen - also tatsächlich wie Unternehmen – zu verhalten.

Gesamtbewertung
Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der IHK Berlin, erklärte zum Koalitionsvertrag: „Der neue Senat hat die wichtigen Themen der kommenden Legislaturperiode durchaus erkannt. Nun müssen daraus strategische Leitplanken entwickelt werden, die bei der Umsetzung der Maßnahmen einen roten Faden definieren. Vorsicht bei kleinteiligen Einzelmaßnahmen, die zudem dazu neigen, bürokratische Strukturen nach sich zu ziehen – entschlossenes wachstumsorientiertes Handeln ist das Gebot einer wachsenden Metropole. Die IHK steht hierfür zur konstruktiven Zusammenarbeit bereit.“

Eine Pressemitteilung der IHK Berlin vom 17. November 2016