Politische Position

Bürokratie abbauen, Wirtschaft stärken!

Die bürokratischen Belastungen für Unternehmen haben ein Rekordniveau erreicht. Jahr für Jahr erhöhen neue Gesetze und Verordnungen Kosten und Zeitaufwand bei der Erfüllung. Da eine effektive Kompensation durch den laufenden Abbau älterer Regeln ausbleibt, nimmt die Regulierungsdichte weiter zu – mit sehr ernsten wirtschaftlichen Folgen. Für Berliner Unternehmen hat sich die Bürokratie zu einem hohen Unternehmensrisiko entwickelt und 65 Prozent geben in IHK-Befragungen an, aufgrund regulatorischer Belastungen weniger zu investieren. Politisch wird das Problem nur unzureichend bearbeitet. Zwar geht der Senat mit der Verwaltungsreform wichtige Schritte, u. a. in der Neuordnung der Zuständigkeiten zwischen Land und Bezirken, doch systematische Ansätze zum konkreten Bürokratieabbau fehlen bislang. Die Politik muss diese Lücke schließen.

Best Practices in Bund und Ländern prüfen

Die Bundesregierung sendet mit dem Vierten Bürokratieentlastungsgesetz ein wichtiges Signal. Von den enthaltenen Vereinfachungen, z. B. in den Bereichen Melde- und Aufbewahrungspflichten oder Schriftformerfordernissen, können Unternehmen unterschiedlichster Branchen und Größen profitieren. Zu einer grundsätzlichen Trendumkehr bei den bürokratischen Belastungen bleibt es ein sehr weiter Weg, doch die eingeschlagene Richtung stimmt. In Nordrhein-Westfalen werden seit 2018 die sogenannten Entfesselungspakete verabschiedet – Gesetzespakete, die explizit auf die Vereinfachung, Verschlankung oder Abschaffung bürokratischer Hemmnisse abzielen und auch an Bund und EU gerichtete Vorschläge einschließen. Die aktuellen Pakete sehen u.a. Abbau und Vereinfachungen in den Bereichen Vergabe, Statistikpflichten und Zuwendungsrecht vor und greifen dabei auch verstärkt auf Digitalisierungsmaßnahmen zurück. Alle Herausforderungen sind auch in NRW lange nicht bewältigt aber die Politik hat den Bürokratieabbau als Daueraufgabe erkannt und von der Metaebene auf die konkrete To-Do-Liste gezogen.

Bürokratieabbau auf der landespolitischen Agenda verstärken

Berlin braucht systematische und zielgerichtete Ansätze für den Abbau bürokratischer Hürden. Andernfalls wird auch die laufende Verwaltungsreform ihre Wirksamkeit nicht entfalten können, da die avisierten Effizienzgewinne der Reformvorhaben durch die Belastung der stetig wachsenden Regulierungsdichte wieder aufgezehrt werden. Zahlreiche mögliche Handlungsfelder bieten Verschlankungspotenziale. Von Berichts- und Aufbewahrungsfristen über Schriftformerfordernisse hin zu Maßnahmen zur Förderung der Digitalisierung – beträchtlicher branchenübergreifender Handlungsspielraum wird seit Jahren immer deutlicher. In der IHK-Konjunkturumfrage vom Januar 2024 identifizierten 65 Prozent der Unternehmen die Effizienz der Behörden als wesentliches Investitionshemmnis. Das ist gegenüber 2017 eine Steigerung von 19 Prozent und zeigt deutlich, dass Politik und Verwaltung den Bürokratieabbau als zentrale Daueraufgabe erkennen und bearbeiten müssen.

Verschiedene Handlungsstränge verfolgen

Untergesetzliche Regelungen zeitlich begrenzen

Der Regelungsbestand muss zunächst vollständig erfasst werden, um die Basis für eine systematische Prüfung auf Erfordernis, Aktualität und Zweckmäßigkeit zu schaffen. Nur Regelungen, die den aktuellen Erfordernissen entsprechen, bieten Rechtssicherheit, effiziente Prozesse und Problemlösungen. Deshalb sollten alle bestehenden und zukünftigen untergesetzlichen Regelungen nach dem Vorbild anderer Bundesländer mit einer festen Laufzeit versehen werden. Nach Ablauf sollten ausnahmslos eine Überprüfung und ggf. der Neuerlass oder die Konsolidierung mit geeigneten Bestandsregeln erfolgen –eine bloße Fortführung auslaufender Regelungen jedoch ausgeschlossen sein. Um den Aufwand der Prüfungen gering zu halten, sollten neu gefasste Regelungen verbindliche Ressourcen-, Zeit- und Zielvorgaben enthalten, die später als einheitliche Bewertungsgrundlagen dienen können.

Potenziale des Geschäftsprozessmanagements nutzen

Im Zuge der Verwaltungsdigitalisierung wurden auf Landes- und Bezirksebene sog. Geschäftsprozessmanagements gebildet. Sie haben die Aufgabe, alle zu digitalisierenden Geschäftsprozesse im Hinblick auf Effizienzpotenziale zu prüfen. In diesem Rahmen sollten auch die jeweils relevanten Verwaltungsvorschriften mit dem Ziel der Aktualisierung und Verschlankung einbezogen werden. In Anbetracht des beträchtlichen Umfangs dieser Aufgabe bedarf es eines priorisierten und sukzessiven Vorgehens – zum Beispiel im Kontext mit ohnehin geplanten neuen Gesetzgebungs- oder Evaluationsverfahren. Ziel muss eine schrittweise, aber deutliche Reduktion von Mehrfacharbeiten, Bearbeitungszeiten und Kosten innerhalb der Verwaltung sein, die sich in einer höheren Leistungsfähigkeit gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen ausdrückt. Die dafür zu schaffenden Ressourcen müssen der Aufgabe angemessen sein und idealerweise dauerhaft in den Tätigkeitsprofilen des Geschäftsprozessmanagements verankert werden.

Gesetzgebungsverfahren gezielt für den Bürokratieabbau einsetzen

Gesetzgebungsverfahren oder Gesetzesänderungen bieten effektive Ansatzpunkte, um fachpolitische Vorhaben umzusetzen und gleichzeitig unnötige Bürokratie zu vermeiden bzw. gezielt abzubauen. Im Gesetzgebungsprozess ist ein Praxischeck zu verankern. Dieser sollte eine verbindliche Bürokratiefolgenabschätzung beinhalten und die konsequente Anwendung der One-in-Two-out-Regel berücksichtigen. Konkrete Anwendungsfälle sind z.B. die im Koalitionsvertrag verankerten Vorhaben zum Schneller-Bauen-Gesetz, zum Verwaltungsverfahrensgesetz oder zum Ausschreibungs- und Vergabegesetz. Die Arbeit an diesen und weiteren Rechtsgrundlagen muss als systematischer Hebel zur Identifizierung und Abschaffung bürokratischer Hürden genutzt werden. Zudem sind das sog. Gold-Plating oder ähnliche Phänomene zu vermeiden, bei denen Bundes- oder EU-Vorgaben regulatorisch übererfüllt werden oder Berliner Landesgesetze die Regelungsdichte und den Erfüllungsaufwand vergleichbarer Gesetze in anderen Bundesländern übertreffen.

Einrichtung eines Landesnormenkontrollrates prüfen

Seit 2006 wird die Bundesregierung vom Nationalen Normenkontrollrat (NKR) beraten. Das gesetzlich verankerte unabhängige Gremium besteht aus ehrenamtlichen Mitgliedern mit Fachexpertise aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. In Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen hat das Modell Nachahmer auf der Landesebene gefunden. Die Normenkontrollräte erhalten Gesetzesentwürfe spätestens während der Ressortabstimmung und prüfen diese mit dem Fokus auf den bürokratischen Erfüllungsaufwand. Die Ergebnisse werden in Stellungnahmen zusammengefasst und den jeweiligen Kabinettsvorlagen beratend beigefügt. Die Räte evaluieren zudem Gesetze und Regelungen systematisch nach drei bis fünf Jahren und stellen so Transparenz über deren Wirksamkeit und Kosten her. Auch für Berlin ist eine unabhängige institutionalisierte Unterstützung bei der Bürokratievermeidung und allgemein der besseren Rechtssetzung wünschenswert. Der Senat sollte die Erfahrungen mit den Normenkontrollräten auf Bundes- und Länderebene ergebnisoffen prüfen und ggf. im Sinne einer Best-Practice-Lösung auch für Berlin eine Einrichtung ins Auge fassen. Ziel muss es sein, einen echten Mehrwert zu schaffen für weniger Bürokratie, praxisnahe und umsetzungsfreundliche Gesetze sowie eine digitale Verwaltung. Um den Mehrwert praxisnah zu ermitteln, könnte ein Berliner NKR zunächst eine zeitlich begrenzte Pilotphase durchlaufen, auf deren Grundlage über eine dauerhafte Verankerung entschieden wird.

Der Dringlichkeit Rechnung tragen

Die IHK Berlin erwartet von der Berliner Politik, dass sie den begrüßenswerten Prozess der Verwaltungsmodernisierung in Berlin um zielgerichtete Maßnahmen des Bürokratieabbaus ergänzt und sich dabei an Erfahrungen und Best Practices des Bundes und anderer Bundesländer orientiert. Angesichts der hohen Belastung durch Bürokratie für die Wirtschaft, der notwendigen Beschleunigung von Investitionsvorhaben sowie der wachsenden Fachkräftelücke in der Verwaltung müssen zügig alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um hausgemachte Hürden aus dem Weg zu räumen.