Politische Positionen

Wirtschaftlich wie sozial nachhaltig: Perspektiven für Geflüchtete verbessern

Alle Berlinerinnen und Berliner müssen die gleiche Chance erhalten, über Arbeit und Ausbildung ihren Teil zur Gesellschaft beizutragen. Das ist nicht nur sozial nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich relevant. Von der Berliner Wirtschaft wird zudem erwartet, dass sie insbesondere auch geflüchteten Menschen gute Einstiegschancen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ermöglicht. Demografisch bedingt werden den Berliner Unternehmen jedoch bis zum Jahr 2035 voraussichtlich ca. 435.000 Personen weniger zur Verfügung stehen. Dazu verlassen jedes Jahr rund zehn Prozent der Neuzugewanderten die Bundesrepublik. Integrationsarbeit selbst und die Rahmenbedingungen für Betriebe müssen daher überarbeitet werden.

Arbeits- und Ausbildungsmarkt profitiert von Internationalisierung

Berlins Beschäftigungswachstum der letzten Jahre wäre ohne das Zutun vieler Neuzugewanderter unmöglich gewesen. Zwischen 2012 und 2021 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne deutschen Pass von 96.000 auf 272.000 gewachsen. Es muss unterschieden werden zwischen EU-Zuwanderung und der Zuwanderung aus Drittstaaten, die als Erwerbszuwanderung infolge eines Asylverfahrens oder des Familiennachzuges stattfinden kann. Zum Stichtag 31.12.2021 hatten 248.900 Personen in Berlin einen befristeten Aufenthaltstitel, darunter 42.795 Personen zum Zwecke der Erwerbstätigkeit, 12.680 Personen eine Aufenthaltsgestattung und 13.215 Personen eine Duldung.

Ausländische Bevölkerung Berlins nach Aufenthaltsstatus
in Prozent
2022-09-28-Grafik-Integration-Ausländische-Bevölkerung-Berlins
Quelle: Statistisches Bundesamt
Bei den Personen, die über das Asylverfahren oder den Familiennachzug nach Berlin kommen, besteht Verbesserungsbedarf, um eine schnelle Integration zu gewährleisten und mit dem Eintritt in den Arbeitsmarkt ein selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeit von Transferleistungen zu ermöglichen.

Arbeitsverbote und unklare Bleibeperspektiven müssen der Vergangenheit angehören

Viele der Personen, die nach Berlin gekommen sind, deren Asylantrag aber abgelehnt wurde und die nun schon länger hier arbeiten, haben nach wie vor keine gesicherte Bleibeperspektive. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Beschäftigungsduldung nach wie vor befristet ist und ohnehin erst nach 12 Monaten Duldung, 12 Monaten gesichertem Lebensunterhalt sowie 18 Monaten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung beantragt werden kann. Die Beschäftigungsduldung, die der Geduldete dann erhalten kann, gilt erneut „nur“ für 30 Monate. Hier bedarf es einer schnelleren, langfristigen Bleibeperspektive. Auch für Menschen mit ungeklärter Identität muss ein Antrag auf Beschäftigungsduldung möglich werden, denn für viele Menschen ist es schwierig, ihre Identität zu klären. Bei ausbleibender Kooperation der Behörden in den Heimatländern ist zu prüfen, ob eine Lösung über eine Identitätsklärung durch Versicherung an Eides statt infrage kommt. Wenn die Identität demnach nicht geklärt werden kann, wer-den Betroffene sanktioniert, so etwa mit Arbeitsverboten. Dies zeigt: Ein freier Zugang zum Arbeitsmarkt ist nicht für alle Menschen gegeben, die nach Deutschland kommen. Bislang dürfen Asylsuchende bspw. in den ersten neun Monaten während der Unterbringung in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht arbeiten. Hier brauchen wir schnellere Übergänge und die Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Denn je länger Menschen nicht erwerbstätig sind, desto schwieriger wird es, sie wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Für Integrationsmöglichkeiten muss Planungssicherheit geschaffen werden

Ein Blick auf den IHK-Fachkräftemonitor belegt, dass die Wirtschaft stark auf Zuwanderung angewiesen ist. In den nächsten Jahrzehnten werden deutlich weniger junge Menschen in den Arbeitsmarkt einmünden als ältere Beschäftigte ausscheiden.
Fachkräfteengpass vervierfacht sich
Quelle: IHK-Fachkräftemonitor
2023-07-18-Grafik-Integration-Hürden-Fachkräftemangel
Der dynamische Beschäftigungsaufbau in der Gruppe der Geflüchteten zeigt das weiterhin hohe Beschäftigungspotenzial dort. Mittlerweile haben rund 24.000 Menschen aus Asylherkunftsländern eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Berlin aufgenommen. Mit einem Plus von über 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr ist die Beschäftigung in der Gruppe damit im Vergleich zu allen anderen Nationalitäten zuletzt am stärksten gewachsen. Betriebe berichten von der hohen Motivation und langfristigen Mitarbeiterbindung ihrer Beschäftigten mit Fluchthintergrund. In vielen Teilen der Wirtschaft – gerade bei KMU – bestehen jedoch nach wie vor Unsicherheiten bei der Beschäftigung von Geflüchteten. Mit einer Einstellung entstehen in Betrieben zudem Kosten, die sich erst mit der Zeit amortisieren. Für erfolgreiche Integrationen muss also Planungssicherheit geschaffen werden. Ein befristeter Aufenthalt sowie lange Asylverfahren verringern die Chancen beträchtlich, dass Unternehmen Geflüchtete einstellen. Und das trotz des hohen Bedarfs an Arbeitskräften. Das neue Chancenaufenthaltsgesetz geht in die richtige Richtung, darüber hinaus erwartet die IHK, dass von der Abschiebung von Auszubildenden bereits in der Vorduldungszeit abgesehen wird.
62 Prozent der Unternehmen sehen beim Schaffen verlässlicher Bleibeperspektiven für Geflüchtete großen Handlungsbedarf.
Deshalb braucht es kurze Asylverfahren und rasche Klärungen des Aufenthaltsstatus. Zu überlegen ist, ob ein Schutz vor Abschiebung ab dem Zeitpunkt bestehen könnte, ab dem eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen wurde, mit der der eigene Lebensunterhalt bestritten werden kann. Zudem muss es darum gehen, Geflüchtete ihrer Qualifikation entsprechend einzusetzen. Viele Neuzugewanderte arbeiten unter dem Qualifikationsniveau ihres vorherigen Jobs im Heimatland. Hierfür braucht es bei gleichbleibender Qualität zügige und unkomplizierte Anerkennungsverfahren für berufliche Abschlüsse und Qualifikationen. So besteht nach wie vor eine zersplitterte Landschaft von Anerkennungsstellen und teils langen Verfahrensdauern müssen verkürzt und bestehende Kostenrisiken gesenkt werden. Die Umsetzung der rechtlichen Rahmenbedingungen in den Behörden gehört auf den Prüfstand: Englisch sollte flächendeckend als zweite Amtssprache zur Abwicklung aller Formalitäten gegeben sein, effiziente digitale Prozesse und Kommunikation zwischen allen beteiligten Behörden und Jobcentern zum Mindeststandard gehören.

Wo sehen Sie Handlungsbedarf, wenn es darum geht, Hürden bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten abzubauen?
in Prozent
2022-09-28-Grafik-Integration-Hürden-Arbeitsmarktintegration
Quelle: IHK Berlin, Nachhaltigkeitsumfrage 2022

Erfolgsreiche Integrationsprojekte brauchen eine verlässliche Finanzierung. Den volkswirtschaftlichen Nutzen hat das DIW bereits 2017 nachgewiesen. Demnach liefern Investitionen in Integrationsarbeit hohe Renditen bei vergleichsweisen geringen Kosten.

Sprachförderung braucht maximale Priorität

Seit Jahren zeigt sich, wenn die Integration im Betrieb funktionieren soll, ist die deutsche Sprache der wichtigste Erfolgsfaktor. Aus diesem Grund muss das Angebot an (Berufs-)Sprachkursen in Berlin verbessert werden. Es bedarf eines passgenauen Mixes aus Präsenz- und Digitalkursen – wenn jedoch digitaler Unterricht stattfindet, dann nur bei Sicherstellung der technischen Infrastruktur. Zugang zu Sprachkursen müssen alle Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltstitel erhalten. Wer Deutsch lernen will, muss gefördert und nicht davon abgehalten werden. Gleichzeitig sind auch Ausbildungsbetriebe in der Pflicht, ihre Auszubildenden mit Sprachdefizit für den Sprachunterricht freizustellen.

Ukraine-Krise zeigt, wie es anders gehen kann und verdeutlicht den Handlungsbedarf

Der aktuelle Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine zeigt, dass es auch einen anderen, offeneren Weg gibt in der Integrationspolitik: Eine breite gesellschaftliche Willkommenskultur, schlankere und effizientere Prozesse in Behörden und vor allem Klarheiten von Anfang an über die Bleibedauer, Arbeitsaufnahme und die Zugänge bei der Anerkennung von Qualifikationen. Nun muss es darum gehen, geflüchteten Menschen, die bereits in Berlin leben, dieselben Chancen und Möglichkeiten einzuräumen, sich am Arbeits- und Ausbildungsleben zu beteiligen. Das Senken bestehender Hürden bei der Arbeitsmarktintegration ist wirtschaftlich sowie sozial nachhaltig.

Handlungsempfehlungen im Überblick:

  • Schaffen dauerhafter Bleibeperspektiven, speziell für Geduldete
  • Flächendeckendes Angebot an (Berufs-)Sprachkursen etablieren, auch mit Kinderbetreuung
  • Gruppe der geflüchteten Frauen durch passgenaue Förderung stärker in den Blick nehmen
  • Kompetenzerfassung und Berufswegeplanung so früh wie möglich nach dem Ankommen durchführen
  • Zügige und unkomplizierte Anerkennungsverfahren für berufliche Abschlüsse und Qualifikationen etablieren
  • Möglichkeiten alternativer Vermittlung von Berufsinhalten, z.B. on-the-Job, prüfen.