Politische Positionen
Lebenslanges Lernen: Fünf Empfehlungen für krisengerechte Fort- und Weiterbildung in KMU
Die Forderungen im Überblick
- Flächendeckend für unternehmensnahe Information und Beratung zu Fort- und Weiterbildungsangeboten und Förderung „aus einer Hand“ sorgen
- Zuschuss des Landes Berlin zum Kurzarbeitergeld zur Qualifizierung muss Förderlücken bei Kosten und Aufwand für KMU abdecken und gleichermaßen Anreize für Beschäftigte bieten
- Flexible und krisengerechte Zugänge zu Fort- und Weiterbildung kreieren, z. B. mit einem Testprojekt zur Absenkung der 120 Mindeststunden nach AZAV und der Einbindung moderner, digitaler Qualifizierungsformen
- Bearbeitungszeit in Agenturen für Arbeit beschleunigen und Antragsverfahren vereinfachen.
- Einführung eines kohärenten Berliner Weiterbildungsgesetzes, mit dem mittelfristig eine Strategie und Governance etabliert wird
Fort- und Weiterbildungsbeteiligung ist krisengeschwächt
Nur ein Drittel der Berliner Unternehmen nutzt aktuell Weiterbildungsangebote (33,3 Prozent), rund 14 Prozent planen dies zeitnah zu tun. und ein Drittel nutzt aktuell gar keine Weiterbildungsangebote (32,7 Prozent). Das ist das Ergebnis der Herbst-Konjunkturumfrage der IHK Berlin. Erfahrungen früherer Wirtschaftskrisen zeigen, dass Weiterbildungsaktivitäten von Unternehmen in Krisenzeiten eher abnehmen. Hatten im IAB-Betriebspanel (2019) noch 57 Prozent der Berliner Betriebe Weiterbildungsbeteiligung signalisiert - womit die Hauptstadt zwei Prozent über dem Bundesdurchschnitt lag - so zeigen erste Umfragen jetzt, dass die Corona-Krise bisher keinen (digitalen) Weiterbildungsschub ausgelöst hat. Während Kurzarbeit ist das Bild noch düsterer: Zwei Drittel der Berliner Unternehmen nutzten keine Weiterbildung. Rund 30 Prozent fehlen die finanziellen Ressourcen, ebenfalls fehlen zum Teil passende Angebote oder die Informationen. Gerade etwas mehr als acht Prozent wollen aber betriebliche Weiterbildungen während Kurzarbeit angehen.
Deshalb ist jetzt wichtig und richtig, dass die Politik die passenden Rahmenbedingungen und Anreize für Fort- und Weiterbildung während der Kurzarbeit setzt, sodass dieser Zeitraum bestmöglich zur Qualifizierung genutzt werden kann.
Mehr Information, Beratung und flexiblere (Förder-)Angebote machen fit
In der Betriebspraxis wird Fort- und Weiterbildung mittlerweile sehr breit definiert: Die Bedarfe gehen von Micro-Learnings über Teamevents, Coachings und Inhouse-Schulungen durch Kollegen bis hin zu formalen Weiterbildungen und Abschlüssen höherer Berufsbildung. Dabei fehlt es selbst weiterbildungsaffinen Unternehmen oft an Orientierung in der Vielzahl an Möglichkeiten. Sie vermissen - möglichst aus einer Hand - Informationen bzw. Beratung für Angebote und Förderungen (auch für E-Learning), mehr Flexibilität, z. B. beim Umfang von Maßnahmen, aber auch Qualifizierungsberatung für passgenaue Personalentwicklung.
Strukturwandel beschleunigt sich
Laut Bitkom haben drei Viertel der Unternehmen mit 100 oder mehr Mitarbeitern aufgrund der Erfahrungen in der Corona-Krise ihre Investitionen in digitale Geräte, Technologien und Anwendungen erhöht. Berliner Betriebe planen dazu ihre Arbeitsweise nachhaltig zu digitalisieren bzw. digitales Arbeiten beizubehalten: Eine aktuelle IHK-Umfrage zeigt, dass über 70 Prozent der teilnehmenden Betriebe in Berlin Homeoffice oder hybride Arbeitsweisen in Zukunft stärker forcieren. Durch diesen „Corona-Effekt“ beschleunigt sich ein Strukturwandel, der schon seit Jahren als Arbeiten 4.0 läuft und mit steigenden Anforderungen an Beschäftigte einhergeht. So sind auch erfahrene Weiterbildungsnutzer noch offener und experimentierfreudiger für digitale Weiterbildungsinstrumente geworden, wie eine aktuelle DIHK-Umfrage aufzeigt.
Diese Kompetenzen und Qualifikationen sind gefragt
In der zunehmend digitalisierten Arbeitswelt gewinnen sowohl IT-Kenntnisse als auch Soft Skills immer mehr an Bedeutung. Es kann sich daher lohnen, statt auf die fachliche Eignung auf die vorhandenen Kompetenzen potenzieller Beschäftigter zu schauen und fehlendes Fachwissen durch gezielte Weiterbildungen aufzubauen. So wird es künftig nicht ausreichen, digitale Technologien zu verstehen und Formen virtueller Zusammenarbeit zu beherrschen. Wichtig werden vor allem auch das Bewusstsein für Datenschutz und IT-Sicherheit sowie das Reflexionsvermögen über digitale Inhalte und Quellen. Nicht zuletzt gewinnen auch ganz grundsätzliche Kompetenzen wie Lernfähigkeit, selbstständiges und strukturiertes Arbeiten, Kommunikations- und Teamfähigkeit an Bedeutung.
Politik und Verwaltung müssen jetzt betriebsnahe Weichen stellen
In der aktuellen Situation, und um den Zeitraum der Kurzarbeit bestmöglich zu nutzen, ist zentral, dass Unternehmen und ihre Beschäftigten schnell und unbürokratisch zum notwendigen Fort- und Weiterbildungsangebot kommen. Deshalb empfiehlt die Berliner Wirtschaft:
- Beratung und Information müssen unternehmensnah und branchenspezifisch stadtweit ausgeweitet und kommuniziert werden. Ein gezieltes Aufzeigen von Best Practices wäre hier u. a. zielführend.
- Das Land Berlin sollte durch einen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld oder andere finanzielle Anreize so unterstützen, dass zu Qualifizierung motiviert wird. Beispielsweise könnten die Reduzierung von Lehrgangskosten, die aktuell z. B. Unternehmen zwischen zehn und 100 Mitarbeitern zur Hälfte tragen müssen, oder die Aufstockung des Kurzarbeitergeldes für Beschäftigte gute Anreize sein.
- Lernen muss auch in „Häppchen“ funktionieren können. Deshalb muss es zukünftig möglich sein, vom 120h-Mindestumfang nach AZAV abzuweichen, um Fort- und Weiterbildung für Betriebe aller Größen und unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Betriebs zugänglich zu machen. Hier sollte das Land Berlin mit einem Testprojekt, das geringere Mindeststunden bei betrieblicher Weiterbildung aufweist, Flexibilität zeigen und bestehende Förderlücken der Bundesförderung schließen.
- Der Verwaltungsprozess darf nicht von Weiterbildungsaktivitäten abhalten. Deshalb müssen die Arbeitsagenturen die Bearbeitungszeit von Förderanträgen beschleunigen und Prüfstellen trotz Corona-Einschränkungen Prüfungen abnehmen.
- Mittelfristig braucht auch das Land Berlin eine Strategie, Rahmenplanung und einheitliche Governance für den Weiterbildungssektor. Hierzu sollte die Hauptstadt dem Vorbild Brandenburgs folgen und mit einem Weiterbildungsgesetz eine strategische Ausrichtung und feste Zuständigkeiten regeln.