Interview

Jan Eder und Antje Meyer im Gespräch

Die Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichts ist oft der erste Schritt einer langen Reise – wo die für die IHK Berlin und ihre Mitglieder hingehen könnte und welche Herausforderungen damit verbunden sind, besprechen unser Hauptgeschäftsführer Jan Eder und die Vorsitzende des Netzwerks Unternehmensverantwortung Antje Meyer. Frau Meyer prägt das Thema Nachhaltigkeit in der IHK Berlin seit nun fast 15 Jahren und ist jahrelang ehrenamtliche CSR-Sprecherin der Kammer gewesen. Hauptberuflich ist die Unternehmerin Inhaberin der Kommunikationsagentur orangeblue relations gmbh und Co-Founder der sustainable natives eG, einer disziplinenübergreifenden Plattform für nachhaltige Transformation.

Dies ist der erste Nachhaltigkeitsbericht der IHK Berlin. Warum braucht es einen Nachhaltigkeitsbericht?

Jan Eder: Wir wollen das Thema Nachhaltigkeit grundsätzlich und strukturiert angehen und genau diese Struktur gibt uns der Nachhaltigkeitsbericht. Der Charme dieser Art des Berichtes liegt vor allem darin, dass wir einfach dort anfangen können, wo wir stehen und uns in den nächsten Jahren daran entlang entwickeln können.

Sie begleiten das Thema Nachhaltigkeit bzw. CSR in der IHK Berlin schon sehr lange, Frau Meyer. Wie nehmen Sie die Entwicklung in der IHK Berlin, aber auch ganz allgemein wahr?

Antje Meyer: Ich freue mich, dass die IHK jetzt eine eigenständige Strategie entwickelt! Nachhaltigkeit ist ja längst vom „Nice to have“ zum „Must have“ geworden. Da ist es konsequent, dass die Kammer sich nun selbst ins Visier nimmt. Als ich vor rund 15 Jahren das Amt der ehrenamtlichen CSR-Sprecherin übernommen hatte, sind wir mit einer Reihe unterschiedlicher Formate zur Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit für die Berliner Wirtschaft gestartet. Die Anerkennung von Nachhaltigkeit als wichtigem Erfolgsfaktor ging mir zeitweilig viel zu langsam. In den letzten fünf Jahren ist aber endlich Bewegung entstanden und es gibt immer mehr Unternehmen, die das Thema Nachhaltigkeit jetzt grundlegend angehen.

Was ist heute anders als noch vor ein paar Jahren? Wieso geht die IHK Berlin dieses Thema nun mit so viel Elan an?

Jan Eder: In einem Prozess, den wir 2018 begonnen haben, haben wir eine neue Gesamtstrategie für die IHK Berlin entwickelt. Wir haben uns bei der Strategieentwicklung von der Frage leiten lassen, was wichtige Themen für die Unternehmerinnen und Unternehmer der Stadt sind und welche Rolle wir dabei spielen wollen. Beim Thema Nachhaltigkeit erschien uns das möglich und relevant, weil viele Unternehmen genau wie wir bei dem Thema noch nicht systematisch vorgehen. Wir können und wollen sie dabei unterstützen und sind gleichzeitig ebenso auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit wie unsere Mitglieder. Außerdem sehen wir beim Thema Nachhaltigkeit viele Chancen für die Berliner Wirtschaft, die unsere Stadt nicht an sich vorbeiziehen lassen sollte.
Antje Meyer: Elan ist megawichtig! Dadurch, dass immer mehr Neugier und Offenheit für nachhaltige Themen entstanden sind, gibt es von allen Seiten mehr Wertschätzung und Freude an der Veränderungsarbeit. Die Einführung von Nachhaltigkeit in einem Unter-nehmen ist immer ein Veränderungsprozess! Da müssen alle Mitarbeitenden mitgenommen werden – und zumeist brennen auch viele darauf, sich einzubringen, da sie in ihren privaten Umfeldern schon längst bewusst nachhaltige Entscheidungen treffen. Und wenn das Team dann erfährt, dass Nachhaltigkeit mit Ehrlichkeit und System eingeführt wird und nicht als Greenwashing aufgesetzt ist, dann entsteht Vertrauen in die neue Unternehmensentwicklung.

Wie wirkt sich das Thema Nachhaltigkeit auf die Arbeit der Kammer konkret aus?

Jan Eder: Nun, zunächst mussten wir den weiten Begriff Nachhaltigkeit in eine Form bringen, mit der wir arbeiten können. Damit sind wir noch nicht ganz fertig. Gleichzeitig muss sich unser Leistungsangebot dieser Definition anpassen. Konkret prüfen wir unsere Angebote nach Nachhaltigkeitsaspekten und ihrem Wirkungsgrad und entwickeln sie dann gezielt weiter. Den Bedarf der Mitglieder haben wir dabei immer im Blick. Außerdem stellen wir natürlich auch uns als Haus auf den Prüfstand, was den Ressourcenverbrauch und unsere Rolle als Arbeitgeber betrifft.

Was wird heutzutage von Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit erwartet? Schlägt sich das auch ausreichend in den politischen Rahmenbedingungen nieder?

Antje Meyer: Die Politik hängt mit ihrer Rahmengesetzgebung wie so häufig hinterher. Viele Unternehmen sind längst weiter in ihren Bemühungen z. B. bei ihren Zielen zur Klimaneutralität, bei Mobilitätskonzepten, ökofairen Lieferketten oder bei modernen Personalkonzepten. Als Vorreiter gehen diese Unternehmen ein hohes Wettbewerbsrisiko ein und erwarten zu Recht von der Politik endlich Planungssicherheit, indem angemessene Regelwerke und Standards entstehen, die Nachhaltigkeit nicht abstrafen, sondern fördern. Für den Umbau auf klimaneutrale Produktion benötigen wir z. B. deutlich mehr Engagement beim Ausbau der erneuerbaren Energien, sonst lässt sich ein nachhaltiger Prozessumbau für energieintensive Branchen nicht organisieren. Aber auch der Einsatz von nachhaltigen Materialien, Prozessabläufen oder fairen Arbeitsbedingungen ist zumeist teurer und wird bei Ausschreibungsprozessen – vor allem den öffentlichen – nicht ausreichend bewertet.

Was bietet die IHK Berlin ihren Mitgliedsunternehmen an, um das Thema Nachhaltigkeit zu integrieren?

Jan Eder: Wir werden ganz allgemein einen Schwerpunkt darauf legen, Unternehmerinnen und Unternehmer zu diesem Thema miteinander zu vernetzen, sie voneinander lernen zu lassen und ihnen die Möglichkeit geben, sich gegenseitig zu unterstützen. Mit all unseren Services rund um das Thema duale Ausbildung und lebenslanges Lernen bieten wir bereits traditionell Angebote mit starkem Nachhaltigkeitsbezug. Auch zum Thema Energie und Umwelt können sich die Unternehmen an die Kammer wenden. Aus unserem Innovation Office ist ein webbasiertes Angebot zur Information, zur Standortbestimmung für erste Maßnahmen und zur Vernetzung hervorgegangen, das auf unserer Website jederzeit zugänglich ist. Hier können Unternehmen konkret erfahren, wie sie loslegen können. Das ist aktuell die häufigste und dringendste Frage in der breiten Masse der Unternehmerschaft. Aber ehrlich gesagt ist noch viel Luft nach oben und ich freue mich, dass die Kolleginnen und Kollegen so motiviert sind, hier gezielt nachzuarbeiten und auch neue Produkte zu entwickeln.

Welche Auswirkungen hat die Coronapandemie unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit?

Antje Meyer: Corona hat uns gezeigt, wie verwundbar unsere Systeme sind. Was passiert, wenn wir von heute auf morgen Abläufe, die wir bisher für sicher gehalten haben, global und am jeweiligen Arbeitsplatz unterbrechen müssen? Die Pandemie hat klar offengelegt, was nachhaltiges Wirtschaften im besten Sinne bedeutet: Wir müssen unsere Welt so gestalten, dass wir auch morgen noch gemeinsam produktiv sein können, dass wir Teilhabe für alle ermöglichen und die Umwelt dafür schützen und bewahren. Viele Unternehmen sind jetzt offen, neue Perspektiven einzunehmen und alte Paradigmen zu verlassen. Ich führe seit der Pandemie sehr viel mehr Beratungsgespräche darüber, wie wir diese Risikoperspektive einnehmen und nachhaltiges Wirtschaften implementieren können, was alles dazu gehört und wie alles mit allem zusammenhängt. Schließlich geht es darum, dass wir zukünftig erfolgreich und resilient sind.

Welchen Herausforderungen muss sich die IHK in Zukunft stellen?

Jan Eder: Mir fällt da spontan zu uns ein: beim Thema authentisch bleiben, denn schließlich sind wir eine Wirtschaftsvertretung. Außerdem sind wir als Organisation eben eher ein Tanker mit unseren Strukturen und Prozessen und den vielen Stakeholdern. Insofern hoffe ich, dass wir schnell genug sein können, um der Entwicklung zum Thema Nachhaltigkeit nicht irgendwann hinterherzulaufen.

Und welche Herausforderungen kommen auf die Unternehmen zu?

Antje Meyer: Authentizität ist ein hohes Gut! Die Herausforderungen werden auf jeden Fall nicht kleiner und da gilt es, vorbereitet und aufmerksam zu sein. Die vergangenen Monate haben uns wieder gezeigt, dass die Zukunft letztlich nicht planbar ist. Aber sie ist gestalt-bar. Wir können heute entscheiden, wie wir morgen leben und arbeiten wollen, wir kennen die Stellschrauben, sehen die Risiken und Chancen. Es ist genug Wissen da, wir müssen alle gemeinsam, authentisch und mutig diese Gestaltungsaufgabe angehen.