BW 02/2022 - AGENDA
Zukunft der Prachtmeile
Grundlegende Umbauten, Kfz-freie Zonen – es tut sich eine Menge in Mitte: Doch müssen Lösungen her, die auch die Unternehmen berücksichtigen
Unter’n Linden, unter’n Linden – geh’n spazier’n die Mägdelein“, hatte Walter Kollo in seiner Erfolgsoperette „Wie einst im Mai“ schon 1913 gedichtet. Da war der Boulevard schon jahrhundertelang der „Laufsteg“ Berlins, und auch heute ist er die erste Adresse der Hauptstadt.
Raum für Räder – und hoffentlich auch für den Wirtschaftsfluss: So könnte Unter den Linden in naher Zukunft aussehen
© SENUMVK/EVE IMAGES, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG
Das Flaniervergnügen war allerdings in den letzten Jahrzehnten stark eingeschränkt durch eine Vielzahl von Baumaßnahmen und genauso auch der Straßenverkehr. Erst wurden die U55 und der Pariser Platz neu gebaut, dann schränkte der Weiterbau der U5 die Linden stark ein. Parallel wurden u. a. Staatsoper und Staatsbibliothek restauriert, die Kommandantur und das Humboldt Forum errichtet, und aktuell entsteht ein wippendes Freiheits- und Einheitsdenkmal.
Nun sind die großen Baustellen endlich abgeschlossen, und die Prachtstraße kann für die Zukunft umgestaltet werden. Das geschieht in zwei Stufen. Zunächst lässt die Senatsverkehrsverwaltung die beiden Richtungsfahrbahnen neu aufteilen, ohne die Bordsteine zu versetzen. Statt zwei Kfz-Fahrstreifen und einer breiten Busspur soll es künftig pro Richtung nur noch eine Kfz-Spur geben und eine schmalere Busspur. Dafür wird ein eigener 3,25 m breiter Radfahrstreifen markiert. An den Bordstein passt dann noch ein 2,50 m breiter Multifunktionsstreifen. Darauf werden sich Lieferzonen abwechseln mit Abstellplätzen für Fahrräder, E-Scooter, Carsharing, Taxi- und Bushaltestellen. Nur parken kann man dann dort nicht mehr. Im Sommer 2022 soll alles fertig sein – erst mal.
Denn in der zweiten Stufe möchte der Senat den motorisierten Individualverkehr komplett aus dem historischen Straßenraum verbannen, spätestens ab 2028. Zudem wird die Mittelinsel ökologisch aufgewertet mit hochwertigen Einfassungen der Baumbeete, Staudenpflanzungen und Bewässerung, wie vor dem Adlon bereits pilotiert. Damit soll die Aufenthaltsqualität im Umfeld der Kultureinrichtungen weiter gesteigert werden, Handel und Gastronomie unterstützt und der Boulevard zu einem noch attraktiveren Ort werden. Eine öffentliche Debatte soll den Prozess der Neugestaltung begleiten, deren erste Ergebnisse schon im Beteiligungsportal mein.berlin.de zu finden sind.
Dabei bleibt zu hoffen, dass der Beteiligungsprozess anders läuft als bei der Flaniermeile Friedrichstraße, die trotz Autofreiheit aus der Flaneurperspektive ein eher tristes Bild abgibt. Hier hatte das Vorgehen von Bezirk und Land für viel Unmut bei Gewerbetreibenden gesorgt. Auf den Plan, das Kfz-Verbot endgültig zu machen und räumlich auszuweiten, hat nun der Wirtschaftskreis Mitte mit Sorge reagiert. Gemeinsam mit dem neuen Interessenverbund Gendarmenmarkt/Friedrichstraße fordern die Gewerbetreibenden ein vernünftiges Verkehrs- und Tourismuskonzept, das die Auswirkungen auf die ansässige Wirtschaft berücksichtigt. Und das muss man auch von jeder Verkehrsplanung erwarten können, gerade im hochsensiblen historischen Zentrum.
Erreichbarkeit für Gäste, Kunden und Mitarbeiter gehört zur Attraktivität jedes Standorts, wie auch reibungsloser Liefer- und Entsorgungsverkehr, Stadtrundfahrten, Taxis und Bustouristen. Die Aufgabe muss sein, alle Anforderungen ortsgenau zu ermitteln, zu priorisieren und dann in Verkehrsregeln und Raumgestaltung umzusetzen. Das bisherige Pilotprojekt zeigt, dass dabei Gebiete statt einzelner Straßenabschnitte zu bedenken sind, sonst werden Probleme nur verlagert statt gelöst.
Ein Ergebnis, das auch schon vor zwanzig Jahren die versuchsweise Sperrung des Hackeschen Marktes für den Kfz-Verkehr erbracht hatte. Hier sind mit stündlich bis zu 7.500 mehr als doppelt so viele Fußgänger unterwegs wie in der Friedrichstraße, und das auf sehr schmalen Gehwegen. Deshalb hält es das Bezirksamt Mitte auch hier für denkbar, eine weitere Verkehrsberuhigung zu planen.
So wie die IHK Berlin schon an der letzten Umgestaltung des Verkehrsraums im gesamten Scheunenviertel erfolgreich mitgearbeitet hatte, wird sie sich auch in kommende Verkehrsplanungen einbringen. Es gilt Lösungen zu erarbeiten, die die notwendigen Anforderungen der betroffenen Unternehmen berücksichtigen.
Verkehrsplanung
Der „Stadtentwicklungsplan Mobilität und Verkehr 2030“ (StEP MoVe) stuft die City- Magistralen zurück. Aus bisher übergeordneten Verbindungen (blau und rot), wie Leipziger Straße und Torstraße, sollen schon bis 2025 „Besondere örtliche Verbindungen“ (rosa) werden, das verdeutlicht die Karte. |
Dr. Lutz Kaden