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Einst war Berlin einer der größten Industriestandorte. Diese Zeiten sind längst vorbei, meint man. Aber dem ist nicht so: Vielversprechende Hardtech-Start-ups kommen wieder aus Laboren, Garagen und Werkstätten. Bei der Berlin.Industrial.Group. (B.I.G.) hat man das frühzeitig erkannt. Am Standort Marzahn forschen, entwickeln und produzieren die Firmen der mittelständischen Gruppe passgenaue Hightech-Lösungen, etwa in der Medizin- und Energietechnik, dem Werkzeug- und Maschinenbau oder der Automobilindustrie.
Kleine weiße Roboter
Ambitionierte Berliner Hardtech-Start-ups entwickeln auf dem B.I.G.-Campus in Marzahn innovative Produkte für die Welt von morgen.
Die Gründer von RooWalk, Maria Enge und Benjamin Pardowitz, mit einem Roboter, der das Gehen unterstützt.
© Amin Akhtar
Einst war Berlin einer der größten Industriestandorte. Diese Zeiten sind längst vorbei, meint man. Aber dem ist nicht so: Vielversprechende Hardtech-Start-ups kommen wieder aus Laboren, Garagen und Werkstätten. Bei der Berlin.Industrial.Group. (B.I.G.) hat man das frühzeitig erkannt. Am Standort Marzahn forschen, entwickeln und produzieren die Firmen der mittelständischen Gruppe passgenaue Hightech-Lösungen, etwa in der Medizin- und Energietechnik, dem Werkzeug- und Maschinenbau oder der Automobilindustrie.
Seit 2023 entsteht am B.I.G.-Campus gemeinsam mit MotionLab.Berlin ein Hub für Hardtech-Start-ups, wobei MotionLab.Berlin Zugang zu Maschinen und Büroflächen bietet. Hier finden Gründungen, die aus der ersten Phase herausgewachsen sind, maßgeschneiderte Unterstützung – von Beratung über Prototyping-as-a-Service bis hin zu Manufacturing-as-a-Service und eine potenzielle Förderung durch den hauseigenen Industrial Tech Accelerator. Damit will die B.I.G. ein Umfeld fördern, das nicht nur Innovation und Kreativität unterstützt, sondern Start-ups auch erlaubt, ihre Entwicklungszyklen zu beschleunigen und erfolgreich zu skalieren.
Das Start-up Lite&Fog etwa entwickelt Anlagen für die dreidimensionale Landwirtschaft und lässt Pflanzen in die Vertikale wachsen. Betritt man die Werkhalle, fällt der Blickt zuerst auf von weißem Licht durchflutete, gläserne Schränke. Leise surrend drehen sich darin hohe, schlanke, von sattgrünen und dicht wuchernden Pflanzen bedeckte Säulen. „Es gibt Gegenden, da muss man sich seinen Acker selbst bauen“, erklärt Martin Peter, der Unternehmensgründer. Das können urbane Räume sein, aber auch für Landwirtschaft ungeeignete Regionen wie die Golfstaaten. Erdacht in Israel, gegründet 2019 in Berlin, seit 2021 in den Räumen der B.I.G., entwickelte Lite&Fog eine Technologie, die Pflanzen durch feinen, nährstofftragenden Nebel versorgt und auf textilem Untergrund gedeihen lässt. Jahrelang forschte das Team an der richtigen Dosierung von Nebel und Licht, an Nährstoffen und Belüftung. Ursprünglich allein auf agrarische Nutzung ausgerichtet, offenbarte die Technologie bald ihr Potenzial zum hochreinen Anbau seltener Pharmaziepflanzen. „Mit unseren Pflanzsystemen werden die wertvollsten Pflanzen der Welt gezüchtet“, erläutert Peter. Deutlich größer als die pharmazeutischen Farming-Anlagen fallen die agrarischen aus. Bis zu neun Meter hoch könnten die Pflanzsysteme errichtet werden. Mit flächenknappen Staaten wie Singapur ist das Team bereits im Austausch über Pilotnutzungen.
Lite&Fog-Gründer Martin Peter entwickelt mit seinem Start-up-Team Anlagen für die dreidimensionale Landwirtschaft.
© Christian Nestler
Förderung zu bürokratielastig
Wichtigster aktueller Testpartner ist Katar. Für klassischen Feldbau fehlt dem Land alles – für Lite&Fog stehen die Chancen gut, einen Pilotkunden und künftigen Ankerinvestor gefunden zu haben. Ein solcher sei hierzulande kaum zu finden, weiß Peter: „In Deutschland bekommst du Geld, wenn du es nicht mehr brauchst.“ Investoren verlangten fertige Produkte und feste Kunden – eine denkbar unpassende Mentalität, will man Hardware-Start-ups groß machen. Peter betont aber auch, dass sein Unternehmen in Berlin durchaus passende Förderung erhalten habe. Wenn auch bürokratielastig. Nun, da das Anlagenbau-Start-up wachsen will und erheblich mehr Wagniskapital benötigt, werde es aber kompliziert. „Wir fördern hier Gründungen, schieben sie an – aber wenn sie skalieren, sind eher Investoren aus dem Ausland zur Stelle“, berichtet er. Dass dies Unternehmen zu Abwanderung zwinge, sei durchaus möglich.
Auch Julio Pastranas Start-up Escarda Technologies liefert Hardtech für den Agrarsektor.„Biologische Landwirtschaft benötigt nachhaltige Werkzeuge, damit sie wirtschaftlich und sauber produzieren kann“, so sein Credo. Seit sechs Jahren entwickelt der promovierte Robotiktechniker den chemiefreien Anti-Unkraut-Laser mithilfe der B.I.G. in Marzahn. Der Laserspezialist stellt Gerätschaft, Labore und Know-how zur Verfügung, hält auch eine Minderheitsbeteiligung.
„Die größte Herausforderung“, sagt Pastrana, „war es, eine KI zu entwickeln und darauf zu trainieren, Unkraut und Nutzpflanzen in jeder Wachstumsphase voneinander unterscheiden zu können.“ Diese Herausforderung ist gemeistert, auch dank Kooperationen mit Landwirten etwa in Nordrhein-Westfalen und Bayern. Bis zu 1.800 Schüsse pro Minute kann das System zielgenau feuern und damit Unkrautpflanzen zerstören. Wichtigster Tester und erster Kunde ist Morning Star Tomatoes, einer der weltgrößten Tomatenverarbeiter. Die Kalifornier testeten den Laser auf Großfeldern und zeigten sich beeindruckt. Für ihre Strategie ausschließlich biologischen Anbaus ist es ein Gamechanger. Chemische Unkrautbekämpfung sei ein Auslaufmodell, zeigt sich Julio Pastrana überzeugt. Alles sei bereit für den Roll-out im Herbst. Auf die Frage nach der Größe des Absatzmarktes antwortet Pastrana sicher: „The sky is the limit.“ – Der Himmel ist die Grenze.
Als die B.I.G. im Jahr 2000 gegründet wurde, war sie mit ihrem industriellen Profil in Berlin ein Exot. Heute erwirtschaftet die Unternehmensgruppe mit weltweit gut 360 Beschäftigten mehr als 58 Mio. Euro. Und setzt sich für die Revitalisierung des Berliner Industriestandortes ein, indem sie Hardtech-Gründungen mit Know-how, Geräten und Flächen unterstützt.
Julio Pastrana entwickelte eine Technologie zur Unkrautentfernung mithilfe von KI, Laser und Robotik.
Davon profitiert auch das innovative Start-up RooWalk Mobility GmbH, gegründet von Benjamin Pardowitz und Maria Enge. „Der Name setzt sich zusammen aus Kangaroo und Walk“, erklärt die Elektro-Ingenieurin Enge – und der kleine weiße Roboter, der sanft auf zwei Rädern in die Werkstatt rollt und perfekt ausbalanciert zum Stehen kommt, erinnert in seiner Form tatsächlich an das Beuteltier. „Kängurus nutzen ihren Schwanz, um die Balance zu halten und Energie zu sparen. Und RooWalk ermöglicht dasselbe für Kinder mit Gehbehinderungen.“ Für diese, erklärt Pardowitz, gebe es bisher nur primitive Gehhilfen und Rollatoren, die weit hinter dem Stand möglicher technischer Lösungen liegen. „Wir wollen Kindern eine freiere, selbstständige Mobilität ermöglichen“, ergänzt der Maschinenbau-Ingenieur Pardowitz, der zuvor lange Zeit in der Luftfahrtindustrie arbeitete.
Engagiertes Personal benötigt
RooWalk unterstützt die Kinder so viel wie nötig und so wenig wie möglich, sodass sie ihr eigenes Körpergewicht selbstständig tragen können. Er reagiert auf Richtungsänderungen, passt sich dem Untergrund an, hilft beim Überwinden von Kanten und Schwellen. Je früher damit begonnen wird, desto größer der Effekt – für die betroffenen Kinder ein gewaltiger Gewinn an Lebensqualität. „Die Zertifizierung als Medizinprodukt ist gerade unsere Top-Priorität“, erklärt Enge.
Die Vision, ein lebensverbesserndes Produkt nach dem Stand der Technik zu entwickeln, hat sie und Pardowitz zur Gründung motiviert. Die deutsche Risikoaversion bekommen allerdings auch sie zu spüren. Investorinnen und Investoren, so erklären sie, erwarten frühzeitig Daten über die Zahlungsbereitschaft der Kunden, um die langwierige Entwicklungs- und Zertifizierungsphase zu finanzieren. Krankenkassen jedoch seien erst bereit, über die Höhe der Erstattung zu sprechen, wenn die Zertifizierung abgeschlossen sei. In der B.I.G. hätten sie allerdings einen verlässlichen Partner, zudem längerfristige Förderung durch IBB und BMBF.
RooWalk wird also weitergehen. Was das Start-up laut Enge am dringendsten benötigt: „Engagiertes Personal – für Hardware Proto- typing, Systemarchitektur, Assembly, Sensorik. Wir müssen ein super funktionierendes Team aufbauen, ohne das sind unsere Herausforderungen nicht zu schaffen!“ Der Fachkräftemangel ist auch für Industrie-Start-ups Entwicklungshemmnis Nummer eins.
von Christian Nestler