Fokus

Wir sind ein Hidden Champion

Holger Alder hat bei Photon Fertigkeiten im Laserschweißen entwickelt, die niemand so wie die Spandauer beherrscht. Geholfen hat der Technologietransfer mit Berliner Unis
Photon hat als Hightechunternehmen einen guten Namen in der Mobilitätsindustrie. Vor allem für Schienenfahrzeuge fertigt der Laser-Spezialist Bauteile, die leichter und damit nachhaltiger sind. Der Mittelständler nutzt die Forschung und Zusammenarbeit mit den Hochschulen, um seinen Vorsprung zu verteidigen und auszubauen, erklärt Technik-Vorstand Holger Alder.
Nach seinem Physik- Studium an der TU Berlin arbeitete Holger Alder für die Innovationsgesellschaft Inpro und für VW. Danach gründete er mit seinem Inpro-Team eine Lasertech-Firma, die er mit zwei Blechverarbeitungsfirmen zur Photon Gruppe fusionierte. 2001 wurde er zum CTO der Photon AG berufen.
Berliner Wirtschaft: Was ist das Besondere an Photon?
Holger Alder: Wir verfügen über sehr spezielles Know-how und hoch entwickelte Technologien im Bereich des Laserschweißens, sodass wir sehr große Dünnblech-Baugruppen von bis zu 30 Meter Länge sehr präzise verbinden können. Ich kenne weltweit kein anderes Unternehmen, das diese Fähigkeiten hat, ohne dass wir sie ihm beigebracht hätten. Wir sind ganz sicher Technologiemarktführer und ein sogenannter Hidden Champion.
Warum können andere Unternehmen sich diese Fähigkeiten nicht auch aneignen?
Das könnten sie, und das versuchen sie auch schon. Bevor sie unsere über 20 Jahre Vorsprung aufgeholt haben, müssen wir unser Know-how weiterentwickelt haben, um führend zu bleiben. Wir sind immer in einem Wettlauf um die noch besseren Prozesse und Technologien.
Haben Sie genug eigene Forschungs- und Entwicklungskapazitäten, um diesen Wettlauf zu gewinnen, oder sind Sie auf Kooperationen mit Hochschulen und Instituten angewiesen?
Mit rund 300 Mitarbeitenden sind wir viel zu klein, um die nötigen Entwicklungen allein zu stemmen. Wir haben sehr vielfältige Kooperationen zu Hochschulen. Schon unsere Gründungsgeschichte ist sehr eng mit der TU Berlin verbunden. Ich habe nach meinem dortigen Physik-Studium in der Innovationsgesellschaft Inpro GmbH gearbeitet – ein Joint Venture der TU Berlin unter anderem mit Volkswagen und Mercedes für fortgeschrittene Produktionssysteme in der Fahrzeugindustrie. Dort hatten wir in den Neunzigerjahren bereits die Idee, mithilfe der Lasertechnik Autokarosserien zu verschweißen.
Ist Photon also ein Spin-off der TU?
Nein, wir sind kein klassisches Spin-off. Zunächst haben wir für Volkswagen das Laserschweißen weiterentwickelt, bis es in der Serienfertigung eingesetzt werden konnte. Als dies gelungen war, sollte unser Entwicklungsteam aufgelöst und an anderen Stellen weiterbeschäftigt werden. Ich wollte aber nicht in einem großen Konzern aus irgendeiner Luke gucken, sondern lieber in einem flexibleren Unternehmen weiterhin eigenständig und schöpferisch tätig sein. Meine vier Mitgründer und ich haben also mit unserem Wissen ein eigenes Unternehmen gegründet – das, was heute als Start-up bezeichnet wird.
Was war Ihr Ziel?
Wir waren durch das Know-how im Laserschweißen in der Lage, Metall-Baugruppen leichter zu gestalten und zu fertigen. Das ist gerade im Bereich der Mobilität sehr wertvoll, weil das geringere Gewicht Energie spart. Wir wollten aber nicht nur für die Autoindustrie arbeiten, sondern die Technologie auch in anderen Industrien zum Einsatz bringen. Das war eine der Grundideen vor 25 Jahren. Wir waren also damals schon ökologisch motiviert.
Heute erzielen Sie 70 Prozent Ihrer Umsätze mit der Schienenfahrzeugindustrie. Wie kam es dazu?
Wir wollten unser Know-how für eine nachhaltige Mobilität nutzen. Da war es naheliegend, uns dem ökologischsten Fortbewegungsmittel zuzuwenden und es noch ökologischer zu machen. Außerdem bestehen Schienenfahrzeuge aus geometrisch sehr großen und parallel anspruchsvollen Bauteilen, bei denen sich unsere Leichtbauweise und deren hohe Präzision sehr stark auswirken. Kurz erklärt: Wir fertigen zum Beispiel Zug-Seitenwände, die mithilfe des Laserschweißens nur dort, wo es nötig ist, dickeres Material nutzen. Die gesamte sonstige Fläche besteht aus dünnerem und leichterem Material.
Können Sie die Vorteile konkreter beziffern?
Ja, wir beziffern das anhand dieses Rechenmodells: Wenn eine Kommune eine Straßenbahnflotte mit 300 neuen Zügen bestellt und der Rohbau um 20 Prozent leichter wird, dann ergibt sich daraus über eine Betriebszeit von 25 Jahren und für eine Laufleistung von 80.000 Kilometern pro Jahr und Zug eine Ersparnis der Stromkosten von über 34 Millionen Euro. Wenn der Strompreis weiter steigt, ist die Ersparnis natürlich noch höher.
Kooperieren Sie noch mit der TU?
Ja, wir haben auch heute noch sehr gute Kontakte zur TU. Aber für uns ist Berlin generell ein großartiger Standort, weil wir in der Region eine so vielfältige universitäre Landschaft haben und auch mit anderen Hochschulen erfolgreich Projekte machen können. Wir arbeiten zum Beispiel auch mit der Berliner Hochschule für Technik, der Hochschule für Technik und Wirtschaft sowie der Technischen Hochschule Wildau, der Universität Potsdam und der Brandenburgischen Universität Cottbus zusammen.
Haben Sie auch Kontakt zu nicht universitären Forschungsinstituten?
Ja, auch mit denen arbeiten wir sehr gern zusammen, gerade weil das spezifische Know-how in der Anwendung dort oft viel tiefer ist. Bei einem aktuellen Projekt arbeiten wir zum Beispiel mit dem Ferdinand-Braun-Institut in Adlershof zusammen und entwickeln einen neuen Laser samt 3D-Druck-Fertigungsprozess. Die Hochschul-Kontakte haben für uns aber eine etwas höhere Priorität, weil wir nicht nur an der eigentlichen Forschung, sondern auch an den Menschen interessiert sind, die möglicherweise später auch unsere Mitarbeitenden werden könnten.
Ist es für Sie schwierig, Nachwuchs zu finden?
Schwierig ist es, Nachwuchs für die handwerklich tätigen Berufsgruppen zu finden, also in der Schweißerei, der Schlosserei, der Feinmechanik und insbesondere in der Mechatronik. Bei unseren Personalbedarfen mit akademischer Ausbildung haben wir kein so großes Problem. Wir bieten Bachelor- oder Masterarbeiten an und denken auch über das Angebot eines dualen Studiums nach. Denn natürlich brauchen wir auch immer wieder gute junge Ingenieure und insbesondere Ingenieurinnen. Wir bieten Professorinnen und Professoren und ihren Studierenden auch kontinuierlich Exkursionen zu uns ins Unternehmen an.
Über die Unis kommen Sie auch mit Technologien in Berührung, die Sie noch gar nicht kennen.
Richtig. Große Konzerne haben eine eigene Forschung, wir aber müssen immer aktiv um diesen Input kämpfen, indem wir auf Hochschulen zugehen. Wir dürfen nie aufhören, nach diesem Input zu suchen. Als Produktionsunternehmen tun wir uns da manchmal etwas schwer. Es ist ein Kulturunterschied: Bei uns in der Produktion dürfen keine Fehler passieren, in der Hochschulforschung muss ausprobiert werden, da darf auch mal etwas schieflaufen.
Wie organisieren Sie den Kontakt zu den Hochschulen? Ist das Chefsache?
Ich bin auch ein Mitglied der Entwicklungsteams und natürlich bekommen diese durch meine Stellung den Rückenwind, den sie brauchen. Es gibt bei uns im Unternehmen drei weitere Mitarbeitende, die Forschungsprojekte mit Hochschulen koordinieren. Aber ich engagiere mich auch persönlich sehr stark dafür. Ich schätze, dass ich mindestens 20 Prozent meiner Arbeitszeit mit Technologie-Entwicklung und Technologietransfer beschäftigt bin.
Wie findet der Austausch mit den Unis statt?
Sehr oft über die Exkursionen in unserem Unternehmen, die wir Professorinnen und Professoren aus verschiedenen Fachrichtungen immer wieder anbieten. Der persönliche Kontakt zu den Universitäten ist entscheidend. Ich gehe oft direkt auf sie zu, schildere ein Problem und frage, ob sie eine Lösung haben oder kennen. Aber dazu müssen wir intern auch immer den Blick für mögliche Optimierungen haben. Wir müssen immer wieder nach dem nächsten kleinen Schritt suchen, der unsere Verfahren noch besser macht. Oft geben aber auch Kunden den Anstoß, die neue Anforderungen stellen.
Was ist bei Technologietransfer-­Projekten zu beachten, um die Erfolgsaussichten zu maximieren?
Die Projekte dürfen nicht zu abstrakt werden. Die Ziele müssen für alle greifbar bleiben, weil wir ja immer Überzeugungsarbeit leisten müssen, um alle Beteiligten zu motivieren. Wenn die einzelnen Schritte nicht nachvollziehbar sind und das Gesamtprojekt zu groß aufgesetzt wird, dann wird diese Überzeugungsarbeit zu schwierig. Man darf eine große Vision haben, aber auf dem Weg dorthin muss man kleine, nachvollziehbare Schritte gehen. Es ist auch kontraproduktiv, zu viele Stakeholder zu involvieren. Das ist bei uns ein großes Thema.
Warum?
Für ein Fahrzeug, das 25 Jahre im Betrieb sein wird, müssen wir sehr viele Leute aus unterschiedlichsten Gewerken einbeziehen. Aber dann sind auch viele dabei, die bremsen oder nicht zu überzeugen sind. Es gibt immer viele Bedenken – gerade in Deutschland. Sehr viele haben Angst, hinzufallen und sich quasi „schmutzig“ zu machen. Das ist ein Vorteil an der universitären Forschung. Da das unternehmerische Risiko fehlt, ist der Mut etwas ausgeprägter.
Welche Faktoren waren aus Ihrer Sicht ­entscheidend, um Photon zu einem Technologiemarktführer entwickeln zu können?
Es sind die Menschen, die zusammenkommen und überzeugt sind, ihre Ziele erreichen zu können. Das waren zunächst wir Gründer und auch die Geldgeber. Wir sind immer wieder in kleinen Schritten vorangegangen. Das haben wir in den 25 Jahren gelernt: Für alle Schritte muss die Überzeugung vorhanden sein, dass sie erreichbar sind. Und dann sind wir vor etwa 15 Jahren beauftragt worden, Bauteile für den ICE 4 zuzuliefern – dem größten deutschen Schienenfahrzeugprojekt der Neuzeit. Damit hatten wir sofort einen sehr hohen Bekanntheitsgrad.

von Michael Gneuss