Fokus
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Vorteilhaft Verzahnt
Berliner Unternehmen profitieren von der Forschungslandschaft der Hauptstadt – und umgekehrt. Die IHK fördert Kooperationen von Wirtschaft und Wissenschaft
Der Countdown läuft: Vom 25. bis 27. September 2024 findet die Transferale in Berlin statt. „Das Wissenschafts- und Transferfestival wird zeigen, welche vielfältigen Möglichkeiten der Wissens- und Technologietransfer bietet und wie interdisziplinär Projekte sein können“, sagt Stefanie Molthagen-Schnöring, Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Die Professorin leitet das im vergangenen Jahr gestartete Verbundprojekt „Zukunft findet Stadt – Hochschulnetzwerk für ein resilientes Berlin“, das noch bis Ende 2027 läuft und auch von der IHK Berlin unterstützt wird.
Wie Städte Herausforderungen in den Bereichen Klima und Gesundheit bewältigen können, ist das Ziel des neuen Hochschulnetzwerks. Es wird mit acht Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und dem Land Berlin im Rahmen der Initiative „Innovative Hochschule“ gefördert und richtet auch die Transferale aus, an der die IHK Berlin mit eigenen Veranstaltungen teilnimmt.
Ein Novum für die Hauptstadt: Beteiligt sind gleich fünf Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, die sich fach- und einrichtungsübergreifend mit der Wirtschaft und Zivilgesellschaft in Teilprojekten vernetzen, um innovative Lösungen für Berlins Zukunft zu erarbeiten. Neben der HTW sind das die Berliner Hochschule für Technik (BHT), die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), die Evangelische Hochschule Berlin sowie die Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin. Auch Projekte des IFAF Instituts für angewandte Forschung wird die Transferale zeigen. „Wir wollen, dass Innovationen, die in Berlin entstehen, hier auch umgesetzt werden“, sagt Stefanie Molthagen-Schnöring. Dazu solle die Forschungskompetenz gebündelt, sichtbarer gemacht und stärker für die Stadt genutzt werden.
Als eine der größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen in Europa hat Berlin exzellentes Potenzial. „Das Land Berlin verfügt mit seinen vier staatlichen Universitäten und sieben Hochschulen für Angewandte Wissenschaften über starke Innovationspartner, die in Kooperation mit der regionalen Wirtschaft ein markantes Asset für den hiesigen Innovationsstandort sein können“, betont Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin. Nicht zuletzt über die in den Hochschulverträgen geregelte Grundfinanzierung – aber auch jederzeit außerhalb – habe Berlin die Möglichkeit, transferfördernde Strukturen und Anreize zu schaffen, die konkret auf den hiesigen Mittelstand zielen, um vor Ort selbst von der Innovationskraft der Player zu profitieren und Wachstum am und für den Standort zu generieren. „Die Erfahrung zeigt: Besteht erst einmal Kontakt zwischen Unternehmen und Hochschule, dann entstehen viele fruchtbare Kooperationsformen“, so Stietzel. Diesen Erstkontakt müssten die Partner noch stärker initiieren. Unterstützende Anreize sollten nicht auf die nächsten Hochschulverträge warten müssen, sondern frühzeitig erprobt werden.
KMU-Büro als Lotse
Wie ein Lotse soll das erste KMU-Büro, das derzeit an der HTW pilotiert wird, die Orientierung erleichtern, Forschende, Studierende und Unternehmen zusammenbringen und den Wissens- und Technologietransfer unterstützen. Als konkrete Maßnahmen werden Workshops in Unternehmen, Transfer-Road-Shows, digitale Lunch-Breaks sowie Transfer-Sprechstunden in IHK-Pop-up-Büros erprobt. Bei Erfolg wird die gemeinsame Initiative von Wirtschaftsverwaltung und IHK an weiteren Hochschulen etabliert.
Erste Kontakte zwischen Wirtschaft und Wissenschaft entstehen oft auf Vernetzungsveranstaltungen, gleichzeitig gehen die Hochschulen direkt auf die Unternehmen zu. „Meist beginnt die Zusammenarbeit sehr niedrigschwellig, etwa mit einer Abschlussarbeit oder bei einem Studierendenprojekt“, erklärt HTW-Vizepräsidentin Molthagen-Schnöring. Viele Unternehmen wollten sich nicht sofort für eine Auftragsforschung oder für ein gemeinsames großes Forschungsprojekt verpflichten, weil es zu viele Ressourcen bindet. „So lernen sich aber beide Seiten kennen und können in einem zweiten Schritt die Zusammenarbeit vertiefen.“ Die größten Engpässe sieht Molthagen-Schnöring allerdings nicht in frühen Phasen der Zusammenarbeit, sondern bei der späteren Umsetzung in marktfähige Produkte.
„Das Ziel von Berlin muss es sein, in der ersten Liga der modernen, lebenswerten und ökonomisch wachsenden Metropolen international mitzuspielen“, betont Sonja Jost, Vizepräsidentin der IHK Berlin. Die Herausforderungen rund um Klima, Mobilität, Rohstoffe, Energie sowie die alternde Gesellschaft erforderten auf der einen Seite Forschungsleistungen auf Spitzenniveau. Auf der anderen Seite brauche es innovative Unternehmen, die neue Technologien in die Anwendung bringen. „Was am Ende zählt, ist der zügige und gezielte Eingang in neue Produkte, Prozesse und urbane Strukturen – als gemeinsames Ergebnis aus Wirtschaft und Wissenschaft“, so Jost.
Zahlreiche neue Initiativen sollen den Transfer verbessern und beschleunigen, darunter UNITE, der Berlin-Brandenburger Beitrag zum Leuchtturmwettbewerb Startup Factories des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Die erste Bewerbungshürde hat UNITE genommen und konkurriert nun bundesweit mit 14 weiteren Gründungs- und Innovationsinitiativen darum, im kommenden Jahr in die Liste der offiziellen Startup Factories des BMWK aufgenommen zu werden. Fünf bis zehn dieser Netzwerke sollen sich als hochschulübergreifende Ökosysteme mit internationaler Ausstrahlung und starker Einbindung in regionale und nationale Wertschöpfungsketten etablieren. Das Berlin-Brandenburger UNITE-Konsortium, an dem 30 Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie Akteure aus Wirtschaft, Verbänden und Venture-Capital-Gesellschaften beteiligt sind, hat bis Februar 2025 Zeit zu zeigen, dass das Berliner Factory-Konzept das Potenzial hat, Gründungsintensität und -erfolg von DeepTech-Gründungen deutlich zu verbessern.
Für Laura Möller, Project Director UNITE, bietet Berlin im Schulterschluss mit Brandenburg eine Wissenschaftslandschaft, die in Deutschland, ja, in Europa, einmalig ist, mit Forschung in Bereichen wie Medizin, künstlicher Intelligenz, Quantentechnologien oder Mobilität. Für Gründer und Unternehmer sei diese Ausgangssituation Gold wert. „Mit der Vielschichtigkeit der Metropolregion geht aber auch ein hoher Grad an Komplexität einher“, erläutert Möller. Dadurch würden viele Gründer und damit das ökonomische Potenzial der Metropolregion unnötig ausgebremst. „Mit UNITE wollen wir eine Anlaufstelle schaffen, um die Wissenschaft, die Wirtschaft der Region und Gründer zu Innovationsthemen zusammenzubringen und dadurch neue Gründungs- und Wachstumsmöglichkeiten zu entfesseln.“
IHK kooperiert mit Hochschulen
Um die Wissenschaft enger mit KMU zusammenzubringen, unterzeichnete die IHK Berlin mit der HWR im März 2024 eine Kooperationsvereinbarung. In gemeinsamen Projekten soll es vor allem um Fachkräftesicherung und die Steigerung der Innovationskraft des Standorts Berlin gehen. Konkret geplant sind zum Beispiel die Verknüpfung mit der IHK-Ausbildungsoffensive sowie eine enge Zusammenarbeit im Rahmen der Innovation Challenges der HWR. Für die IHK Berlin ist es nach der Vereinbarung mit der HTW sowie der Freien Universität die dritte Kooperationsvereinbarung mit einer Berliner Hochschule. Weitere werden folgen.
Wie Technologietransfer die Wirtschaft noch besser voranbringen könnte, weiß auch Henning von der Osten, Geschäftsführer der Geisler & Schambach GmbH. Die stellt mit 60 Mitarbeitenden in Berlin-Kreuzberg unter anderem Stanzteile für elektrische Baugruppen her. Kunden sind vor allem Elektro- und Automobilzulieferindustrie. Um Innovationen zu befördern, aktuell etwa einen Sensor für die Kraftmesstechnik für Fräsmaschinen, kooperiert der Mittelständler regelmäßig mit Partnern aus der Wissenschaft. Beim Transfer sieht von der Osten aber noch erhebliches Potenzial: „In Berlin haben wir den Wettbewerbsnachteil, dass die mittelständischen Industrieunternehmen verglichen mit anderen deutschen Regionen klein sind. Zu klein, um viel Zeit in Innovationen und Technologietransfer zu stecken.“ Der Vorteil des Standorts sei wiederum, dass Berlin die Industrie in ihrer Breite sehr gut abdecke. Würden Firmen kooperieren, könnten sie gemeinsam das Know-how der Wissenschaft nutzen. „Dazu bräuchte man aber zumindest anfangs eine treibende Kraft“, sagt von der Osten, „etwa die Wirtschaftsförderung Berlin Partner, um solche Kooperationen anzustoßen.“
von Eli Hamacher