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Frischer Wind in alten Höfen

Es gibt sie noch, die Entwicklungsprojekte, die Hoffnung auf eine nachhaltige Zukunft der gewerblichen Wirtschaft machen. Nachdem jahrelang die Flächen für Produktion, Logistik und Dienstleistungen verkleinert, umgewidmet oder aus der Stadt verdrängt wurden, zeichnet sich eine Rückkehr der klassischen Gewerbezweige in Berlin ab. Die Treiber dahinter sind die dynamische Entwicklung der Stadt, neue Ansiedlungen und Innovationen sowie die nachhaltige Transformation der Wirtschaft, die viele Unternehmen zunehmend als Chance begreifen.

Herausforderung Denkmalschutz

„Production first!“, lautet auch das Motto des Berliner Projektentwicklers Aventos, der auf fast 90.000 Quadratmetern ein Gewerbeareal am traditionsreichen Industriestandort in der Nonnendammallee transformiert. Nicht nur die Historie des Grundstücks, das 2021 von Osram an das junge Unternehmen rund um Geschäftsführer Dr. Karim Rochdi veräußert und teilweise wieder angemietet wurde, sprach für einen Erhalt als Produktionsstandort. Die Gründer glauben an die Zukunftsfähigkeit von Industrie, zumal das innenstadtnahe Areal über eine hervorragende Anbindung verfügt, die mit der Wiederinbetriebnahme der „Siemensbahn“ noch besser wird. Für die historischen Bestandsgebäude aus den späten 1920er-Jahren haben Rochdi und Projektleiter Viktor Schulte im Rahmen eines internationalen Architekturwettbewerbs Pläne für eine zeitgemäße Neunutzung entwickeln lassen, und dank bestehendem Baurecht könnten die Arbeiten am „Luxwerk“ bereits Mitte dieses Jahres beginnen.
„Je älter und architektonisch ansprechender die Bestandsimmobilien, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Objekt denkmalgeschützt ist“, erläutert Rochdi. „Dann gilt es, in einem transparenten Dialog mit den zuständigen Stellen eine Zukunft für die Immobilien zu finden, welche sowohl den Ansprüchen des Denkmalschutzes als auch der wirtschaftlichen Tragfähigkeit gerecht wird. Das ist ohne Frage möglich, benötigt aber Zeit und ernsthaftes Engagement seitens des Entwicklers“, so Rochdi. Neu gebaut werden 61.000 Quadratmeter Nutzfläche, die allen ESG-Kriterien entsprechen. Einen Blickfang planen die Investoren an der Kreuzung Otternbuchtstraße mit einem 65 Meter großen Hochhaus, gebaut in Holzhybridbauweise.
Nicht weniger ambitioniert geht die GSG an der Zossener Straße, mitten im Kreuzberger Kiez, ans Werk. Auch dort wird ein historisches Gewerbeareal, die Seifen-Höfe, modernisiert und durch einen Holzhybrid-Neubau ergänzt. Hier sind die Zielgruppe tendenziell Start-ups und Dienstleister, so der operative Geschäftsführer der GSG, ­Sebastian Blecke. Dachbegrünung und eine Photovoltaikanlage sind beim größten Berliner Gewerbeentwickler mittlerweile Standard und von den Mieterinnen und Mietern auch gezielt nachgefragt, beim „Framez“ (so der Name des Neubaus) kommt ein innovatives, energiesparendes Kühlsystem hinzu. „Beim Thema Nachhaltigkeit können wir hier besonders punkten, weil wir wenig Boden versiegeln. Wir arbeiten im Bestand und stocken ein Gebäude auf. Wir merken inzwischen, dass ESG-Themen bei Mietanfragen eine Rolle spielen, und wir verwenden sehr viel Kraft, Geld und Energie darauf, dass wir nachhaltig gute Produkte schaffen“, so Blecke.
Wie stark der ESG-Aspekt bei gewerblichen Berliner Bauprojekten in den Fokus rückt, zeigt auch das Projekt „Edge Friedrichspark“, das derzeit in Friedrichshain gegenüber dem Berghain entsteht: Verwendet wird hier die neuartige Zementsorte CEM X des Berliner Herstellers ­Spenner, der um die 60 Projekt CO2 gegenüber einem herkömmlichen Zement einspart. Dieser wird mit der KI-Technologie des Berliner Start-ups Alcemy qualitativ ausgesteuert.

Neue Materialien und Produktionsweisen

Hoang Nguyen, der das Unternehmen Alcemy auch auf der Start-up-Stage des Stadtentwicklungskongresses der IHK Berlin im Juni präsentierte, zeigt sich stolz: „Die Entwicklung und der Einsatz dieses Zements und Betons zeigt eines eindrücklich: Innovationskraft entsteht, wenn Start-up und etabliertes Industrieunternehmen zusammenarbeiten. Wir sind sehr stolz, dass wir gemeinsam mit Spenner im Zementwerk Berlin die erste europaweite baurechtliche Zulassung für diesen neuen Zement erhalten haben.“
Entwicklungen im Bestand und Innovationen bei Materialien und Produktionsweisen – das sind zwei zentrale Felder, auf denen die Immobilienbranche in Nachhaltigkeit investiert. Und das auch ganz konkret, denn letztens hat Alcemy bei seinen Investoren zehn Millionen Euro eingesammelt.

von Dr. Mateusz Hartwich und Tobias Rühmann