Fokus

Wir sind in jeder Hinsicht eine Lern-Firma

Die Babbel GmbH wurde 2007 gegründet. Seitdem ist das Unternehmen auf 1.000 Mitarbeitende angewachsen. Doch an den Unternehmenswerten hat sich über die Zeit nicht viel verändert, meinen Aufsichtsratschef Markus Witte und Geschäftsführer Arne Schepker.

Berliner Wirtschaft: Babbel ist jetzt 17 Jahre alt. Gab es mal eine Phase, in der Sie darüber nach- gedacht haben, ob Sie noch ein Start-up sind?
Markus Witte: Nein, das hat für uns nie eine Rolle gespielt. Das ist für mich eine sehr deutsche Fragestellung, weil wir in Deutschland die Idee von der Tech-Company nicht kennen. Ich habe außerdem auch nach 17 Jahren noch das Gefühl, dass für Babbel der größte Teil der Unternehmensentwicklung noch vor uns liegt. Deshalb fühle ich mich hier im Unternehmen auch heute noch wie in einem Start-up.
Arne Schepker: Wir beschäftigen uns permanent damit, wie Millionen Nutzende über unsere Plattform am besten Sprachen lernen können. Da haben wir keine Zeit, über unseren Status nachzudenken. Aber klar: Ein normales Start-up sind wir nicht mehr. Dafür sind wir mit 1.000 Mitarbeitenden und 300 Millionen Euro Umsatz zu groß. Außerdem sind wir längst international aufgestellt und haben ein funktionierendes Produkt und Geschäftsmodell.
Herr Witte, vor 17 Jahren haben Sie zu viert angefangen, heute haben Sie 1.000 Leute an Bord. Gab es nie einen Punkt, an dem Sie gedacht haben, das Unternehmen ist jetzt ein ganz anderes?
Veränderungen gab es die ganze Zeit. Aber ich kann mich nicht an den einen großen Schritt erinnern, an dem ich gedacht habe: Jetzt sind wir groß. Für mich persönlich waren die Gebäude, in die wir gezogen sind, am ehesten Meilensteine. Als wir erstmals ein ganzes Gebäude nur für uns bezogen haben, musste ich mich schon kneifen.
Herr Schepker, Sie sind acht Jahre nach der ­Gründung dazugekommen. Wie haben Sie Babbel im ersten Moment wahrgenommen?
AS: Damals hatten wir gerade 100 Mitarbeitende und einen zweistelligen Millionenumsatz. Wir hatten gerade angefangen zu internationalisieren. Ich habe von Anfang an einen starken Veränderungswillen gespürt, und dieser Geist hat sich nie verändert. Wir gehen immer wieder den nächsten Schritt, und jedes Mal muss sich die Firma ein Stück weit neu erfinden und anpassen an die neue Phase.
MW: Wir sind in jeder Hinsicht eine Lern-Firma. Das waren wir von Anfang an. Wir Gründer wollten zunächst etwas mit Musik machen, dann haben wir entdeckt, dass es keine gute Lernplattform für Sprachen im Internet gab. Aber wir wussten auch nicht, wie man das macht. Also mussten wir es lernen. Das prägt bis heute unsere Kultur. Wir kommen nicht irgendwo an und sagen: So, jetzt sind wir fertig. Es gibt für uns immer neue Horizonte.
AS: Ja, der Gedanke des Lernens ist das, was Babbel ausmacht. Diese sehr spezielle Kultur habe ich von Anfang an wahrgenommen. Ich glaube, dass wir auch deshalb immer deutlich menschlicher waren als andere junge Tech-Firmen und langfristiger gedacht haben.
Das klingt nach einer klaren Firmen­philosophie. Ist die auch aufgeschrieben worden?
AS: Wir haben in der Tat vor etwa drei Jahren unseren Unternehmenszweck, unseren Purpose, niedergeschrieben. Wir verfolgen das Ziel, durch Sprache gegenseitiges Verständnis auf der Welt zu schaffen und Menschen über Kulturen hinweg zusammenzubringen. Die Hälfte der Babbel-Teammitglieder kommt zu uns, um etwas Sinnvolles in ihrem Leben zu machen. Sie haben alle selbst schon einmal eine Fremdsprache erlernt und wissen, wie das ein Leben positiv verändern kann. Dieses Bekenntnis gibt uns die Kraft, die wir brauchen, um das hochwertigste Produkt zu haben.
Haben Sie den Purpose mit der Niederschrift neu entwickelt?
AS: Nein, er war schon da. Das gilt auch für die Unternehmensstrategie und die Unternehmenswerte, die relativ stabil über die vergangenen zehn Jahre geblieben sind. Wir haben sie nicht erfunden und auch niemandem aufgedrückt. Sie sind aus dem Team heraus entstanden.
Es wird oft von der DNA eines Unternehmens gesprochen. Was ist die Babbel-DNA?
MW: Ich würde sagen: Menschlichkeit. Wir haben uns von Anfang an als Menschen gesehen, wir wollten keine Maschine bauen, die irgendetwas abliefert. Wir arbeiten mit Menschen für Menschen, auch wenn das, was wir machen, sehr viel mit Technologie zu tun hat. Es geht beim Lernen von Sprachen um Menschen, um menschliche Verständigung. Das ist das, was uns ausmacht. Wir haben deshalb auch nie eine perfekte Organisation mit irgendwelchen crossfunktionalen Einheiten auf irgendein Papier skizziert.
Auch Babbel braucht eine Organisation.
AS: Ja, aber die sehe ich eher als einen lebendigen Organismus, der sich entwickelt und auch mal mit positiven oder negativen Überraschungen daherkommt. Er überrascht mich positiv, weil er viel schneller und besser die Unternehmensentwicklung vorangetrieben hat, als ich es mir hätte erträumen können. Aber hier und da bleiben wir auch mal hinter Vorgaben zurück – auch das ist menschlich. Vielleicht ist der frühe Erfolg von Babbel ein Schlüssel für diese Menschlichkeit. Andere Start-ups wissen nicht, ob sie die nächsten zwei Jahre überleben werden.
Hat Babbel nicht auch schwierige Phasen gehabt?
MW: Wir hatten nur Phasen, in denen es schwierig war. Aber nicht in dem Sinne, dass es existenzbedrohend war und wir kein Geld mehr hatten. Sorgen, wie wir durch das nächste halbe Jahr kommen, hatten wir nur in den allerersten Jahren – vielleicht bis 2010. Als wir das erste richtige Produkt im Markt hatten, konnten wir sehr schnell von dem leben, was wir verkauft haben. Damit war dann eine Firmenkultur möglich, in der wir uns langfristiger orientieren konnten. Wir mussten nicht wieder neue Finanzierungsrunden drehen, um zu überleben.
Haben also Finanzierungsrunden nie eine so große Rolle für Babbel gespielt?
MW: Wir haben anfangs etwa eine Million Euro von Investoren erhalten und zudem einen Kredit von der IBB bekommen. Als wir uns schon durch den Cashflow finanzieren konnten, haben wir noch einmal zwei Finanzierungsrunden gemacht, weil wir dachten, dass wir das Geld für die Expansion in die USA brauchen würden. Wir wollten über die Investoren auch ein bisschen mehr Professionalität an Bord holen. Vielleicht hätten wir das gar nicht gebraucht. Wir haben anfangs die Profitabilität unseres Abo-Modells unterschätzt.
Wie hoch ist der Anteil, den die Gründer heute noch am Unternehmen halten?
MW: Knapp die Hälfte.
Sie haben auch schon einen Börsengang erwogen.
AS: Ja, wir waren 2021 schon sehr weit damit. Drei Tage vor der Erstnotierung haben wir den Börsengang aber abgesagt. Das war im Nachhinein eine der besten Entscheidungen, die wir jemals getroffen haben – wenn man sich anschaut, wie der Markt sich seitdem entwickelt hat. Momentan ist das Börsenparkett einfach kein attraktiver Platz, aber das kann sich auch wieder ändern. Wir fahren da mehrgleisig und gucken uns alle Optionen an.
Was spricht denn für einen Börsengang?
MW: Wir könnten damit einen stabilen Status in der Eigentümer-Frage erreichen. Unsere Finanzinvestoren werden ihre Anteile irgendwann in Liquidität wandeln wollen. Es ist unsere Verantwortung gegenüber den Investoren, dafür die Grundlagen zu schaffen. Über die Börse können Anteile in einem ganz alltäglichen Prozess ver- und gekauft werden. Das ist dann für das Unternehmen kein besonderer Schritt mehr.
Sie haben von Babbel als Tech-Company gesprochen. Was macht eine Tech-Company aus?
AS: Für Babbel gesprochen: Wir sind technologieorientiert, wir haben eine hohe Veränderungsbereitschaft sowie einen großen Veränderungswillen, und wir sind wachstumsorientiert beziehungsweise steigern die Umsätze jährlich im zweistelligen Bereich – 2022 waren es sogar 31 Prozent. Wir sind international. Bei uns arbeiten Menschen aus mehr als 80 Nationen. Und wir sehen die Chancen, die wir haben. Wir haben gerade einmal ein paar Millionen User auf unserer Plattform, der globale Markt für Sprachlernplattformen hat aber ein Potenzial von 50 bis 60 Milliarden US-Dollar.

von Michael Gneuss