Fachkräfte
Der Wille zu lernen
Als Hiba Tajji im Juli 2015 auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Syrien in Deutschland ankam, wusste sie kaum etwas über das Land, dessen Staatsbürgerin sie heute ist, denn als Kriegsflüchtling konnte sie sich nicht auf ein Leben im neuen Land vorbereiten. Heute hält sie die Anerkennung als Fachinformatikerin in den Händen und ist als Assistentin der Geschäftsführung bei der Berliner IT-Beratungsagentur Step IT up Consulting angestellt.
Hiba Tajji wusste von Anfang an, dass ihre berufliche Zukunft in Deutschland von der Anerkennung ihres Abschlusses abhängt. „Ich habe hart gearbeitet und gekämpft, um diesen Beruf zu erlernen. Außerdem haben meine Eltern sich so viel Mühe gegeben, damit wir Kinder ein Diplom machen können. Warum sollte ich eine Ausbildung neu anfangen, wenn ich über diese Kenntnisse verfüge?“
Susanne Wesner, Gründerin und Geschäftsführerin Step IT up Consulting
© Alina Simmelbauer
Erst Praktikum, dann Anstellung
Tajji kam zunächst in einem kleinen Dorf in Bayern unter, wo sie 2017 die Anerkennung bei der dortigen IHK beantragte. Als Ergebnis bekam Sie einen „Bescheid über die teilweise Gleichwertigkeit“ mit der Auflage einer betrieblichen Praxisphase als Ausgleich.
Nach ihrem Umzug von Bayern nach Berlin erfuhr Tajji vom Projekt MAIA Berlin (Mit Anpassungsqualifizierung in Arbeit Berlin) des Förderprogramms IQ – Integration durch Qualifizierung, das in enger Kooperation mit der IHK Berlin praktische Anerkennungsphasen organisiert. So begegnete sie Susanne Wesner, Gründerin und Geschäftsführerin von Step IT up Consulting.
Zunächst hatte sich Wesner bereit erklärt, Tajji an einen Kunden ihrer Beratungsfirma zu vermitteln – aber schnell wurde ihr klar, dass die Informatikerin mit Erfahrung in der Buchhaltung der syrischen Niederlassung eines internationalen Konzerns perfekt zu ihrer eigenen Firma passte. Die Selbstständigkeit und Offenheit, mit der Tajji sich im anschließenden siebenmonatigen Praktikum einbrachte, zeigten ihr, dass sie hier eine Mitarbeiterin vor sich hatte, auf die sie sich absolut verlassen konnte. Besonders beeindruckt war die Geschäftsführerin von Tajjis „unglaublicher Fertigkeit in Excel und Word, gepaart mit dem Willen zu lernen.“ Zum Ende des Praktikums bot sie Tajji eine Stelle als Assistentin der Geschäftsführung an.
Neben der ausgeprägten fachlichen Kompetenz waren es auch persönliche Eigenschaften, die Tajji zu einer unverzichtbaren Mitarbeiterin werden ließen: „Ich glaube, dass Hiba schon viel erlebt hat, was kein Mensch erleben sollte, und dass sie diese Kraft, die ihr daraus erwächst, gut weitergeben kann. Sie ist für das gesamte Team der Ruhepol im Hintergrund geworden.“ Auch im Umgang mit Bürokratie sieht Wesner eine besondere Stärke: „Auch was Behörden angeht, agiert Hiba sehr akkurat. Das kann eine Stärke von Migrantinnen und Migranten sein.“
Offen für kulturelle Unterschiede
Aber es gab auch Herausforderungen. Wesner spricht offen über Anflüge von Ressentiments, die sie an sich selbst feststellte, als sie Tajji kennenlernte, die als gläubige Muslima Kopftuch trägt. Sie gibt anderen Betrieben mit: „Es lohnt sich, über seinen Schatten zu springen, was das Thema Vorurteile angeht, und sich zu trauen, Fragen zu stellen. Es gibt kulturelle Unterschiede, denen man sich öffnen muss“, erzählt die Geschäftsführerin. „Nachdem wir das Laufen auf rohen Eiern abgelegt hatten, kamen spannende und manchmal sehr rührende Geschichten zum Vorschein.“
Was Tajji antreibt und was sie auch für Wesner auszeichnet, ist, dass sie sich stetig weiterentwickeln will. Das zeigt sich auch im Zitat der Schriftstellerin George Eliot, das sie für ihre persönliche Bürotasse gewählt hat und nun die Wand des Gemeinschaftsbüros ziert: „Es ist nie zu spät, der zu werden, der du sein könntest.“
Es lohnt sich, über seinen Schatten zu springen, was das Thema Vorurteile angeht, und sich zu trauen, Fragen zu stellen.
von Hannes Leber und Júlia Veras (Involas)