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Neue Büros für besseres Klima

Kaufhäuser zu Bibliotheken, Hotels zu Wohnungen und Bürogebäude zu …? Wer sich den Trend anschaut, insbesondere in Zeiten von Homeoffice, könnte meinen, in Berlin würde künftig eine ganze Armada an Bürogebäuden leer stehen und keine Abnehmer mehr finden. Marktbeobachter erwarten jedoch für die Stadt bereits 2025 einen starken Nachfrageüberhang. Mit einer Einschränkung: Es geht um ESG-konforme Büro- ­flächen, also solche, die aktuellen Nachhaltigkeitskriterien entsprechen. Hartmut Deiwick, Geschäftsführer der Löwenstark-Gruppe, bestätigt: „Wir sind zur Veröffentlichung von Nachhaltigkeitsberichten verpflichtet. Unser Ergebnis möchten wir auch durch die Nutzung nachhaltiger Büros verbessern.“
Seit 2017 hat die Online-Marketingagentur in Berlin einen Standort. Aber dass man in Hinblick auf potenzielle Flächenvergrößerungen schnell fündig wird, denkt man nicht. Aus Nachhaltigkeitssicht sei der Berliner Büromarkt nur auf den ersten Blick grün. Auf den zweiten Blick fehlten bei vielen Objekten konkrete Daten beispielsweise zum tatsächlichen CO2-Verbrauch. Der Nachfragetrend ist dabei keineswegs neu: „Vor etwa 15 Jahren haben die ersten Unternehmen in Deutschland begonnen, zwingend nur noch Büroflächen mit Nachhaltigkeitszertifikaten anzumieten“, so Matthias Großmann, Head of Leasing bei HB Reavis. Das Unternehmen hat letztes Jahr sein erstes Berliner Projekt, „Dstrct.Berlin“ an der Landsberger Allee, vollendet. Mit behutsam integriertem Bestand bietet das Areal 50.000 Quadratmeter Büro- und 30.000 Quadratmeter Gewerbefläche.

Angebotslücke von derzeit 31 Prozent

Besonders nachgefragt sind nach wie vor Standorte in den Top-Lagen – hier fanden im ersten Halbjahr 2024 55 Prozent der Flächenumsätze statt. Das verknappt das Angebot zusätzlich. Außerhalb des Zentrums wird es bei nicht nachhaltigen Bürogebäuden zu Leerstand kommen.
Der Immobilienresearcher JLL sieht bei nachhaltigen Büroflächen für Berlin eine Angebotslücke von derzeit 31 Prozent, bis 2030 könnte sie auf 70 Prozent anwachsen. Denn auch die Fertigstellung von Projekten wird laut Projektion von Cushman & Wakefield ab 2025 deutlich geringer ausfallen – ein Rückgang um über 50 Prozent ab 2027 scheint möglich. „Bei den neuen Büroflächen, die sich aktuell in Berlin im Bau befinden, sind bereits 43 Prozent vorvermietet“, so Heiko Himme, Head of Berlin von Cushman & Wakefield.

Bereit, deutlich höhere Mieten zu zahlen

Nicht nur Großkonzerne, sondern auch der Mittelstand verlagert seine Nachfrage zunehmend auf Flächen, die strengen ESG-Kriterien entsprechen. In Berlin kommt die öffentliche Verwaltung als Mieter noch hinzu. Zum einen wegen ausgeweiteter Berichtspflichten im Zuge der EU-Taxonomie. Zum anderen, weil es die Anforderungen der Zeit, der Kunden und des Endverbrauchers sind. Daher sind die Unternehmen bereit, für zertifizierte Gebäude deutlich höhere Mieten zu zahlen: „In Berliner Gebäuden mit der höchsten Zertifizierungsstufe lag die Durchschnittsmiete zwischen 2021 und 2023 bei 40 Euro pro Monat. Bei nicht zertifizierten Gebäuden betrug dieser Wert 25,90 Euro“, betont Himme.
Der Workspace-Anbieter HB Reavis hat untersucht, welche Bedingungen eine nachhaltige Bürofläche für den Mieter erbringen muss, und verwirklicht dies im neuen Berliner Projekt „Pltfrm.Berlin“ nahe der East Side Gallery: Das Gebäude weist Netto-Null-Emissionen auf, bietet Abwasser-Wärmepumpen und als besonderen Clou sogenannte „grüne Mietverträge“: „Mit diesen arbeiten Vermieter und Mieter gemeinsam an Themen wie zum Beispiel der Auswahl von energieeffizienten Elektrogeräten“, so Großmann.
Die zunehmende Nachfrage nach nachhaltigen Büroflächen beschäftigt auch die GSG Berlin. Deren Geschäftsführer Sebastian Blecke sieht auch die Politik in der Verantwortung: „Wenn das Land Berlin und die Bezirke etwas tun wollen, damit Projektentwicklungen für neue Gewerbeflächen an Nachhaltigkeit gewinnen, könnten sie häufiger von vorhabenbezogenen Bebauungsplänen auf hybride Modelle umschwenken.“ Dadurch gäbe es mehr Freiheit, in einer späteren Phase Nachhaltigkeitsaspekte umzusetzen, „die es bei Planungsstart noch gar nicht gab“.
Cushman & Wakefield prognostiziert für den Berliner Büroflächenmarkt eine Dreiteilung: erstens nicht mehr vermietbare Flächen, zweitens Flächen, die einige ESG-Kriterien erfüllen, aber mit Leerstand zu kämpfen haben, und die Spitzenklasse in Bestlage, die knapp und hochpreisig wird. Im ersten Fall dürften sich dann neue Debatten um eventuelle Umnutzungen ergeben.

von Tobias Rühmann