Fokus
Jeder Tropfen zählt
Bis zu 75 Prozent weniger Wasser könnte die Spree in heißen und trockenen Sommermonaten in Zukunft führen, so eine Prognose des Umweltbundesamtes. Der Grund: Bisher werden täglich etwa eine Mio. Kubikmeter Grundwasser aus den Tagebauen der Lausitz abgepumpt und in die Spree geleitet.
Mit dem Rückgang der Kohleindustrie in den vergangenen Jahren und dem bevorstehenden Kohleausstieg in den 2030ern wird dieses Wasser fehlen – der Pegel der Spree wird sinken. Für Berlin kann das zum Problem werden. Denn die Hauptstadt bezieht rund 70 Prozent der 216 Mio. Kubikmeter Trinkwasser, die jedes Jahr in etwa verbraucht werden, aus Uferfiltraten von Havel und Spree. Dafür wird Wasser an den Ufern der Flüsse von unterirdischen Pumpen durch reinigende Sand- und Gesteinsschichten nach unten gesaugt, von oben strömt neues Wasser nach. Das abgesaugte Wasser wird dann im Wasserwerk zu frischem Trinkwasser aufbereitet. Führt aber gerade die Spree in Zukunft weniger Wasser, droht Knappheit. Geht Berlin also das Wasser aus?
© Berliner Wasserbetriebe/Sven Bock
„Ganz so bedrohlich ist es um die Wasserversorgung Berlins nicht bestellt“, beruhigt Prof. Dr. Irina Engelhardt. Sie leitet am Institut für Angewandte Geowissenschaften der Technischen Universität Berlin das Fachgebiet Hydrogeologie. Aber: „Die Wasserstresssituationen werden zunehmen.“ Unter Wasserstress versteht Engelhardt Zeiten, in denen aufgrund anhaltender Trockenheit den Gewässern und dem Grundwasservorrat mehr Wasser entnommen wird, als sich nachbildet – ein Problem, mit dem vor allem der Nordosten Deutschlands als eine der niederschlagsärmsten Regionen der Bundesrepublik aufgrund des Klimawandels zukünftig immer stärker konfrontiert sein wird.
Doch Berlin habe seine Wasserwirtschaft klug aufgebaut und gehe sehr nachhaltig mit der Ressource Wasser um, erklärt Engelhardt. Nicht nur werde es in der Stadt mittels Schleusen und Stauwehren eingestaut und damit im Stadtgebiet gespeichert. Wichtiger sei, dass sich Berlin im Gegensatz zu Brandenburg vor allem mit aus Uferfiltrat gewonnenem Wasser versorge – und eben nicht mit dem wertvolleren Grundwasser. Das in den sechs Klärwerken gereinigte Abwasser werde wieder in die Gewässer ausgebracht und könne auf diese Weise erneut verwendet werden. So werde jeder Tropfen Wasser im Schnitt dreimal genutzt, bevor er die Stadt verlässt, verdeutlicht die Expertin.
Insgesamt neun Wasserwerke gibt es in Berlin; sie versorgen die knapp 3,9 Millionen Einwohner mit Trinkwasser, zudem die Verwaltung und die Wirtschaft. „Einige Industrie- unternehmen haben noch eigene Brunnen und Förderkapazitäten“, erklärt Prof. Dr. Christoph Donner, der als Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe für das Wassermanagement der Hauptstadt zuständig ist. Und Donner weiß: Eine sichere Wasserversorgung ist nicht nur für die Menschen essenziell – sie ist auch ein wichtiger Standortfaktor.
Steigender Bedarf, wenig Niederschlag
„Wir arbeiten daran, auch in Zukunft die Stadt auskömmlich in Menge und Qualität versorgen zu können.“ Die beiden Flüsse Spree und Havel sind von der Wasserführung schon immer eher Rinnsale und gaukeln nur durch die Stauhaltung Größe und Menge vor. Der Klimawandel und der deshalb eigentlich sinnvolle Kohleausstieg wird durch den Wegfall der Sümpfungswässer aus der Lausitz die Spree bald noch dürftiger machen. Dazu steigt mit dem Wachstum der Hauptstadtregion auch der Wasserbedarf in dem vergleichsweise niederschlagsarmen Gebiet wieder. Das erfordert allerdings auch, das Wasser in Zukunft immer enger im Kreis zu führen, erklärt Donner. Der Kreislauf zwischen Nutzung, Reinigung und Aufbereitung wird also immer kürzer. Es kommt also vor allem darauf an, wie die Hauptstadt mit ihrem Regen- und Schmutzwasser umgeht.
Damit das in Zukunft noch besser gereinigt und einer erneuten Nutzung zugeführt werden kann, stocken die Berliner Wasserbetriebe ihre Klärwerke derzeit um weitergehende Reinigungsstufen auf. Das Klärwerk Stahnsdorf im Süden von Berlin wird sogar komplett erneuert. So sollen Schadstoffe noch besser aus dem wertvollen Nass entfernt werden.
Abwasser besser nutzen
Doch auch die Unternehmen selbst können etwas tun, um die Wasserbetriebe beim Management des regionalen Wasserkreislaufs zu unterstützen, fordert Ulf Miehe, Umweltingenieur und Gruppenleiter Wasseraufbereitung & -wiederverwendung beim Kompetenzzentrum Wasser Berlin gGmbH. „Vor allem große Unternehmen können ihre Abwässer selbst von produktionsspezifischen Verunreinigungen befreien und als Brauchwasser wiederverwenden. Außerdem könnten sie prüfen, ob sie bestimmte Abwasserströme für andere Prozesse nutzen können.“ Auch ließe sich aufbereitetes Abwasser zum Beispiel zum Spülen von Toiletten in den Verwaltungsgebäuden verwenden. Damit das funktioniert, brauche es aber eine strikte Trennung von Trinkwasser- und Brauchwasserverteilung, zum Beispiel durch den Einbau eines zweiten Leitungsnetzes.
Und auch für kleine Unternehmen und Produktionseinheiten hat der Umweltingenieur einen Lösungsvorschlag: „Wasser- und Abwassermanagement muss in Zukunft für Gewerbegebiete geplant werden.“ So ließe sich zum Beispiel das Brauchwasser eines Unternehmens vor Ort aufbereiten und für die Belange eines anderen – zum Beispiel als Kühlwasser oder zur Reinigung der Firmenflotte – nutzen. Damit dieses Wassermanagement allerdings Realität wird, bräuchte es ein zweites Rohrnetz, in dem Abwasser, das endgültig in die Kläranlage gehen soll, von solchem getrennt wird, das vor Ort weiter benutzt werden kann. „Wenn wir Wasser mehrfach benutzten, sinkt der Bedarf, dem Wasserkreislauf frisches Trinkwasser zu entnehmen. Dies hilft letztlich der ganzen Metropolregion.“
Wie wichtig es ist, dass in der Frage der Wasserversorgung alle Akteure an einem Strang ziehen, weiß auch IHK-Vizepräsident Robert Rückel: Als Vertreter der Unternehmen setzten sich die Industrie- und Handelskammern in Berlin und Brandenburg bereits durch zahlreiche Aktivitäten für ein nachhaltiges Wasserressourcenmanagement in der Region ein. Dazu gehörten der stetige Austausch innerhalb eines länderübergreifenden Arbeitskreises, politische Interessenvertretung, wie die Einreichung von Forderungspapieren oder parlamentarische Bootsfahrten, die Erhebung von Wirtschaftsdaten, Wasserkongresse sowie lösungsorientierte Angebote wie die Water Innovation Challenge. „Den Kammern ist es besonders wichtig, mit anderen zentralen Akteuren wie dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) oder den Hochschulen und Kompetenzzentren zusammenzuarbeiten, um einen größtmöglichen positiven Effekt zu erzielen“, erklärt Rückel. Dabei sei es wichtig, sowohl die Verfügbarkeit als auch die Qualität der Wasserressourcen im Blick zu behalten, Infrastrukturmaßnahmen länderübergreifende zu planen sowie ausreichend Wasserspeicher bereitzuhalten und die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in der Regionalplanung und bei Ansiedlungsprozessen zu berücksichtigen. „Außerdem brauchen wir ganzheitliche Lösungen für Extremwetterereignisse wie die Schwammstadt.“
Genau damit befasst sich Dr. Darla Nickel. Als Leiterin der Berliner Regenwasseragentur forciert sie den Umbau Berlins zur Schwammstadt, in der Regenwasser auf verschiedenste Weise sinnvoll genutzt wird. War es bis vor Kurzem noch Ziel, Regenwasser so schnell wie möglich von Straßen, Plätzen und Gebäuden abzuleiten und aus der Stadt hinauszubefördern, gilt heute, das kostbare Nass so lange wie möglich in der Stadt zu halten.
Ressource Regenwasser
„Regenwasser ist eine für die Ableitung viel zu wertvolle Ressource, nicht nur für die Grundwasserneubildung, sondern auch für die Kühlung der Stadt über Schwammstadt-Elemente wie etwa grünen Dächern und Versickerungsmulden, für die Biodiversität, aber auch für die Speicherung zur Bewässerung oder Toilettenspülung.“ Doch Regenwasser ließe sich je nach Unternehmen auch als Prozesswasser nutzen, zum Beispiel für die Kühlung von Industriestandorten oder Produktionsprozessen. Wichtig dafür: die richtige Aufbereitung. So weit aber, weiß Darla Nickel, sind Berliner Unternehmen zumeist noch nicht.
von Katharina Lehmann