Branchen
Die Magie des Einzelhandels
Kaum eine Branche hat während der Covid-19-Pandemie so sehr gelitten wie der Einzelhandel. Wiederkehrende Lockdowns, Zugangsbeschränkungen und Hygieneauflagen stellten stationäre Geschäfte vor ungeahnte Herausforderungen. Obwohl der Onlinehandel schon davor jedes Jahr große Zuwächse erlebte, wuchs sein Anteil am Gesamtumsatz des Handels zwischen den Jahren 2020 und 2022 noch dynamischer.
Gleichzeitig stehen die Berliner Einkaufsstraßen unter einem enormen Wandlungsdruck. Aber trotz allem: Mittendrin gibt es sie, die Einzelhändlerinnen und -händler, die sich im Wettbewerb erfolgreich behaupten und zeigen: Handel lebt. So wie die diplomierte Keramikdesignerin Wiebke Lehmann, die das Wagnis einging, mitten in der Corona-Zeit einen stationären Laden zu eröffnen.
© Patricia Parinejad
Marktlücke erkannt
„Durch die Lockdowns hatte ich zwar manchmal mehr Zeit, als mir lieb war, aber so konnte ich zumindest an den grundlegenden Strukturen meiner Firma arbeiten", so Lehmann. Also kümmerte sie sich um den Aufbau und die Organisation ihres CRM, die Sichtung und Musterung der interessantesten Porzellane aus Deutschland, Italien, Spanien und Skandinavien, den Aufbau einer Webseite und vieles mehr. „All das hätte ich während des normalen Tagesgeschäfts niemals bewältigen können. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich insbesondere am Anfang von meinen Rücklagen zehrte und voll ins Risiko ging“, sagt sie.
Sie gründete 2021 „Tawl“, mit dem sie die Tradition des „L’art de la table“ aufgreift und für ihre Auftraggebenden, wie Hotels und Sternerestaurants, individuelle hochwertige Festtafeln entwirft und ausstattet. Sie alle eint die Überzeugung, dass erst durch hochwertiges Geschirr, elegantes Besteck, feine Gläser und edle Tischwäsche, die harmonisch mit der Kochkunst verschmelzen, ein gutes Essen zu einem Gesamterlebnis wird.
Lehmanns Fortune ist es, diese Marktlücke erkannt zu haben und sie mit langjähriger Expertise im Porzellanbereich bedienen zu können. Dementsprechend ist sie meistens vor Ort, bei ihren Kundinnen und Kunden, tätig, weiß aber auch um die Bedeutung eines stationären Showrooms, den sie seit 2023 in der Giesebrechtstraße in Charlottenburg betreibt, als Co-Retail-Fläche. Branchenkenner erkennen darin einen Trend im Einzelhandel: flexibel genutzte Flächen, teilweise verbunden mit anderen Nutzungen wie Gastronomie, und mit Fokus auf (digitale) Produktpräsentation, statt klassischer Verkaufsflächen.
Kein stationärer Laden wird bei der Warenvielfalt und -verfügbarkeit mit dem Onlineshopping konkurrieren können. Aber was die Präsentation, das „Look & Feel“ und das „Story-telling“ angeht, kann ein physisches Geschäft seine Vorteile ausspielen.
von Simone Blömer und Michael Ray Albrecht