Fokus
© Philip Arnoldt – IHK Berlin
Platz schaffen
Weil Gewerbe- zu Wohnungsbauflächen werden, gerät Berlins Wirtschaft ins Hintertreffen. Die IHK Berlin setzt sich dafür ein, die Interessen der Unternehmen in der Planung zu berücksichtigen.
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Wo früher bei Reemtsma pro Jahr 20 Mrd. Zigaretten produziert wurden, soll nun an der Mecklenburgischen Straße im Wilmersdorfer Ortsteil Schmargendorf das Gewerbehöfe-Quartier GoWest entstehen: zwölf mehrgeschossige Gebäude mit Backstein-Fassaden. Mehr als eine Mrd. Euro investiert der Projektentwickler Die Wohnkompanie Berlin gemeinsam mit der Gustav Zech Stiftung aus Bremen. In den Höfen sollen Gewerbe, Handwerk, Manufakturen und Büros Platz finden. Damit es auch abends und an den Wochenenden lebendig bleibt, wird es zudem Cafés, Bistros und Läden sowie einen Wochenmarkt geben.
Im Zentrum des Lichtenberger Ortsteils Alt-Hohenschönhausen will die Zeitgeist Asset Management GmbH ein 27 Hektar großes marodes und kaum genutztes Gewerbegebiet an der Gärtnerstraße/Ferdinand-Schultze-Straße zu einem gemischten Stadtquartier ausbauen – mit mehrgeschossigen Hallen für produktive Gewerke und 3.500 Wohnungen. Schon seit acht Jahren erwirbt der Bauprojektentwickler Flächen in dem Gebiet, hat aber bislang dort noch nicht gebaut.
Auf dem 500 Hektar großen Areal des ehemaligen Flughafens Tegel hat das Land Berlin den Forschungs- und Industriepark Urban Tech Republic geplant. Hier sollen bis zu 1.000 Unternehmen urbane Technologien erforschen, entwickeln und produzieren, dazu kommen 5.000 Studierende der Berliner Hochschule für Technik. Auf dem Areal soll außerdem ein neues Stadtviertel entstehen: das Schumacher Quartier mit gut 5.000 Wohnungen. Mit den Planungen für Bau und Infrastruktur sowie der Flächenvermarktung und dem Standortmanagement ist die landeseigene Tegel Projekt GmbH beauftragt worden.
Gemeinsamer Appell der Wirtschaft
„Berlins Wirtschaft braucht Flächen zum Wachsen!“ Mit diesem Appell machen die lokalen Wirtschaftsverbände mit der IHK Berlin in einer gemeinsamen Erklärung darauf aufmerksam, dass seit 2015 durch die Umwandlung von Gewerbeflächen in Wohnungsbauflächen im Flächennutzungsplan ein Verlust von 170 Hektar an gewerblicher Baufläche entstanden sei. Gleichzeitig werde bis zum Ende des Jahrzehnts ein Flächenbedarf von 210 bis 240 Hektar prognostiziert. „Wir beobachten mit Sorge, dass der zunehmende Verlust an Gewerbeflächen mehr und mehr zu einem Entwicklungshemmnis für ansiedlungs- und expansionswillige Unternehmen wird“, warnt IHK- Vizepräsident Robert Rückel – erkennt aber an, dass die Politik aktiv an Lösungen arbeitet. „Wir begrüßen die derzeitige Erarbeitung des Stadtentwicklungsplans Wirtschaft 2040 parallel zum Stadtentwicklungsplan Wohnen 2040 unter breiter Beteiligung der Landes- und Bezirks-ebene sowie von Verbänden und Kammern.“ Die IHK Berlin sei in Rückkoppelung mit ihren Mitgliedsunternehmen aktiv an diesem Prozess beteiligt.
„Wir wünschen uns eine Stärkung der bezirklichen Wirtschaftsförderungen, die vor Ort zur Entwicklung neuer Gewerbeflächen beitragen und die Ansiedlung neuer Unternehmen unterstützen“, so Rückel. Zudem fordere die IHK Berlin analog zur Wohnungsbauleitstelle die Schaffung einer Gewerbebauleitstelle, um Potenzialflächen für die Wirtschaft zu identifizieren und zu erschließen. Bestehende Bebauungspläne sollten mit Blick auf den hohen Bedarf an zusätzlichen Wohn- und Gewerbeflächen zügig überprüft und angepasst werden, um Flächenkonkurrenzen zu entschärfen und eine intelligente Nutzungsmischung zur Deckung beider Bedarfe sicherzustellen. Beim Kongress „Weltmetropole.Berlin leben und gestalten“, den die IHK Berlin am 10. Juni veranstaltet, wird das Thema Gewerbeflächen eine zentrale Rolle spielen.
Wie die Politik versucht, die Bedarfe zu decken, machen die drei Bauvorhaben in Wilmersdorf, Lichtenberg und Tegel deutlich. Die Wohnkompanie Berlin, Eigentümerin der 7,4-Hektar-Fläche an der Mecklenburgischen Straße, wollte ursprünglich darauf Wohnungen bauen – das Bezirksamt beharrte allerdings auf einer gewerblichen Nutzung.
In Lichtenberg, wo der Investor Zeitgeist ein gemischtes Quartier präferiert, herrscht derzeit noch Stillstand. „Nach dem aktuellen Flächennutzungsplan ist die gesamte Fläche als Gewerbegebiet festgelegt“, erläutert Burhan Cetinkaya, Leiter der Wirtschaftsförderung im dortigen Bezirksamt. Darunter seien auch einzelne Flächen als sogenanntes EpB-Gebiet ausgewiesen – die Abkürzung EpB steht für Entwicklungskonzept für den produktionsgeprägten Bereich. Cetinkaya hofft, dass kein gemischtes Quartier zugelassen wird: „Eine dringend benötigte lärmrobuste Gewerbefläche für Betriebe, die sich nicht in andere Flächenkulissen der Stadt integrieren lassen, ginge dadurch verloren.“
In Tegel dagegen, auf dem landeseigenen Boden des ehemaligen Flughafens, ist die gemischte Nutzung schon lange beschlossen. Dort entsteht mit der Urban Tech Republic einer der elf Zukunftsorte in Berlin. Neben bereits etablierten Zukunftsorten wie Deutschlands größtem Wissenschafts- und Technologiepark in Adlershof oder dem Campus Berlin-Buch mit dem BiotechPark werden andere noch entwickelt oder sind in Planung. Siemensstadt Square etwa, wo auf dem Spandauer Siemens-Areal bis 2030 ein neuer Stadtteil errichtet wird, in dem Spitzentechnologie mit neuen Arbeits- und Lebenswelten verbunden werden soll. Oder das in Oberschöneweide vorgesehene Innovations- und Technologiezentrum Industrie 4.0.
Die Berliner Wirtschaft glänzt im Zusammenspiel von Hochtechnologie und Wissenschaft, wächst aber auch im industriellen Sektor mit produzierendem und emittierendem Gewerbe, das nur bedingt in gemischte Quartiere integriert werden kann. „Mit guten städtebaulichen Konzepten können potenzielle Nutzungskonflikte entschärft werden, zum Beispiel mit Blick auf Lärm und andere Emissionen“, sagt Christian Gaebler, Senator für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen. „Entscheidend ist dabei immer, die knappen Flächen möglichst effizient auszunutzen, etwa durch Stapelung von Nutzungen oder höhere bauliche Dichten.“
Mietflächen durch Gewerbehof-Projekte
Eine weitere Komponente aktiver Wirtschaftspolitik, so Gaebler, sei die laufende Gewerbehof-Initiative, um dem Gewerbe Mietflächen verschaffen zu können. Damit die bezahlbar bleiben, sollen auch landeseigene Grundstücke für private – zum Beispiel genossenschaftliche – Gewerbehof-Projekte bereitgestellt werden. „Schlüsselpartner sowohl für die Gewerbehof-Initiative als auch für die Aktivierung vorhandener Flächen wie im CleanTech Marzahn oder die Entwicklung gesamtstädtisch relevanter Standorte wie etwa Buchholz Nord ist die landeseigene Wista“. Buchholz Nord, insgesamt 190 Hektar groß, ist ein gewerblicher Standort mit den größten Flächenpotenzialen in Landeseigentum.
Noch bis 2013 hatte das Land Berlin viele seiner Grundstücke an die Meistbietenden verkauft, nun betreibt es eine transparente Liegenschaftspolitik. „Damit stellen wir für die Ansiedlung oder Erweiterung von Unternehmen landeseigene Gewerbegrundstücke zum Verkehrswert bereit“, sagt Dr. Severin Fischer, Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe. Liege ein überzeugendes Nutzungskonzept vor, könne seine Verwaltung die Direktvergabe eines Grundstücks im Rahmen der Wirtschaftsförderung an ein ansiedlungswilliges Unternehmen aktiv unterstützen.
Analysiert und kategorisiert werden die Liegenschaften von der landeseigenen BIM Berliner Immobilien Management GmbH, die bisher schon über 5.700 Objekte hinsichtlich ihrer künftigen Nutzung beurteilt hat: etwa nach Wohnen, Gewerbe oder Bildung. „Wir sind in diesem Prozess aktiv beteiligt und bringen uns mit Nachdruck dafür ein, dass die Bedarfe der Berliner Wirtschaft berücksichtigt werden“, so Fischer Bei der Bebauung von Gewerbeflächen spielten zum Beispiel Klimaschutzmaßnahmen eine große Rolle. Wie im Gewerbehöfe-Quartier GoWest in Schmargendorf: Das soll oberirdisch autofrei sein, weil alle Höfe über die Tiefgarage angefahren werden. Und auf den Dächern ist die größte Dachgärtnerei Deutschlands vorgesehen.
von Almut Kaspar