Fokus
Es ist ein Kampf um Prioritäten
Susann Liepe und Torsten Wiemken planen mit ihrer Firma Gewerbestandorte. Unter anderem wollen sie die Verdrängung kleiner Betriebe aus zentralen Lagen verhindern.
Susann Liepe und Torsten Wiemken haben Lokation:S im Jahr 2012 als klassisches Stadtplanungsbüro gegründet.
© Amin Akhtar
Lokation:S entwickelt unter anderem für die öffentliche Hand Wirtschaftsflächenkonzepte, Machbarkeitsstudien und Profile für Gewerbegebiete und -standorte, insbesondere in Berlin und Brandenburg. Die Gründer Susann Liepe und Torsten Wiemken müssen dabei stets sehr komplexe Interessenlagen berücksichtigen.
Berliner Wirtschaft: Für wie problematisch halten Sie die knappen Gewerbeflächen in Berlin?
Torsten Wiemken: Da muss man differenzieren. Schwierig ist die Situation für kleinere Unternehmen, Handwerksbetriebe oder auch bestimmte Dienstleister, die keine so hohen Mieten zahlen können, aber nah bei ihren Kunden sein müssen. Die werden zunehmend in die äußeren Ortsteile oder aus der Stadt herausgedrängt. Das heißt: In innerstädtischen Lagen droht die Versorgungslage mit diesen Dienstleistungen immer schlechter zu werden. Darin sehe ich das größte Problem.
Wer nutzt stattdessen diese Flächen?
Susann Liepe: Sie werden stattdessen oft als Büros genutzt, obwohl sie aufgrund der Traglasten auch für anderen Nutzungen infrage kommen. Aber in Büros kann pro Fläche mehr erwirtschaftet werden. Start-ups, die aufgrund ihres Risikokapitals höhere Mieten zahlen können und sich in innerstädtischen Lagen ansiedeln wollen, erhöhen zum Beispiel den Druck und den Handlungsbedarf.
Und als Stadtplaner suchen Sie neue Flächen, die den betroffenen Gewerbebetrieben offenstehen?
Torsten Wiemken: So einfach ist es nicht. Die kleinen Betriebe, über die wir hier reden, suchen meistens nicht einfach eine Gewerbefläche, die sie dann selbst baulich entwickeln. Sie benötigen vielmehr eine Immobilie, in die sie direkt einziehen können. Die etwas größeren Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die Flächen selbst entwickeln, haben es etwas einfacher. Für sie kommen in der Regel auch Standorte am Stadtrand infrage, und die gibt es zumindest teilweise noch. Aber vor allem, wenn baureife Gewerbeflächen sehr verkehrsgünstig gelegen sind, ist die Konkurrenz groß, und die Flächen sind häufig schnell vergeben.
Susann Liepe: Und dann gibt es noch die sogenannten Zukunftsorte, die jedoch immer eine bestimmte Branchenprägung haben. Da kommt nicht jeder Standort für jedes Unternehmen infrage. Im Rahmen der Erstellung der bezirklichen Wirtschaftsflächenkonzepte ist jedoch deutlich geworden, dass es grundsätzlich Gewerbeflächenpotenziale gibt. Die Rahmenbedingungen zur Ansiedlung von Gewerbebetrieben sind jedoch sehr unterschiedlich und oft durch Eigentumsverhältnisse und Vorstellungen der Projektentwickler, immissionsschutzrechtliche Herausforderungen, Erschließungsprobleme oder Nutzungskonflikte nur eingeschränkt erschließbar.
Torsten Wiemken: Wobei für die ganz großen Industrieproduktionsstätten und große Logistikbetriebe ein Standort innerhalb Berlins schon alleine aufgrund des Flächenbedarfs nicht mehr infrage kommt.
Die ziehen dann nach Brandenburg?
Torsten Wiemken: Da kann Brandenburg einiges aufnehmen, sodass diese Unternehmen sich immerhin in der Hauptstadtregion ansiedeln können. Tesla ist sicherlich das prominenteste Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit. Im unmittelbaren Umland von Berlin sind baureife Gewerbe- und Industrieflächen mittlerweile aber auch knapp.
Susann Liepe: Ja, aber im Speckgürtel gibt es im Gegensatz zu Berlin für Unternehmen immerhin noch die Möglichkeit, Flächen von der öffentlichen Hand zu erwerben. In Berlin können Firmen nur noch ein Erbbaurecht auf die Flächen erhalten. Wobei wir das Modell des Erbbaurechts befürworten.
Aber für viele Firmen ist es problematisch, wenn sie nicht der Eigentümer der Flächen sind.
Susann Liepe: Klar, weil ihnen die Finanzierung ihrer Investitionen schwerer fällt. Aber es ist doch auch verständlich, dass eine Stadt wie Berlin künftigen Generationen Gestaltungsspielräume in der Stadtplanung und Flächennutzung erhalten will. Der Trend, öffentliche Flächen nur noch über das Erbbaurecht zu vergeben, setzt sich übrigens in Deutschland immer mehr durch.
Sie haben darauf hingewiesen, dass an den Zukunftsstandorten Unternehmen in das jeweilige Profil passen müssen. Kann das nicht dazu führen, dass zukunftsfähige Unternehmen in Berlin keine Flächen finden, weil sie in keines der Branchenprofile passen?
Torsten Wiemken: Das ist denkbar, und deshalb brauchen wir auch Standorte, die offener sind. Dennoch sind Profile für Gewerbeparks sinnvoll, weil wir Flächen als knappe Ressource immer sehr gezielt entwickeln müssen.
Susann Liepe und Torsten Wiemken (r.) erklären im Interview mit Redakteur Michael Gneuss, wie in Berlin Gewerbeflächen gesichert werden können
© Amin Akhtar
Wie kann man dafür sorgen, dass möglichst viele Gewerbeflächen entstehen?
Susann Liepe: Es ist ein Kampf um Prioritäten. Die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten ist groß. Der Druck, der von den Themen Wohnungsbau, soziale Infrastruktur und auch Unterkünfte für Geflüchtete ausgeht, ist hoch. Aus Sicht der Wirtschaft, die Gewerbeflächen will, ist es wichtig, dem standzuhalten.
Torsten Wiemken: Es gehört zu unseren Aufgaben, die Konflikte zu diskutieren und zu moderieren, um am Ende entscheiden zu können, welche Flächen gewerblich genutzt und welche zum Wohnen verwendet werden können. Anders gesagt: Wir entschärfen die Konflikte. Übrigens: Es gibt auch noch andere Bedarfe: Freiflächen und kulturelle Nutzungen zum Beispiel. Aber der große Konflikt schwelt zwischen den Leuten, die aus der Wohnbauleitstelle kommen und deren Auftrag es ist, Wohnbauflächen zu finden, und auf der anderen Seite den Leuten, die sich um die Gewerbeflächen kümmern.
Susann Liepe: Wir lösen das oft in einem Workshop-Verfahren, in dem sich alle Seiten annähern und eine sinnvolle Nutzungsmischung finden.
Inwieweit spielen mögliche Gewerbesteuereinnahmen bei der Entwicklung eines Profils für ein Gewerbegebiet eine Rolle, oder geht es tatsächlich vorwiegend um Daseinsvorsorge?
Susann Liepe: Anders als in Hamburg oder München gibt es in Berlin keine festgelegten Vergabekriterien. Anderswo gibt es konkrete Raster: Beispielsweise wird bis zu 25 Prozent die Arbeitsplatzdichte als Kriterium herangezogen. In Berlin ist das weniger starr. Es können auch mal gestalterische oder nutzungsbezogene Aspekte eine tragende Rolle spielen. Aber natürlich spielen die Wirtschaftskraft, die potenziellen Gewerbesteuereinnahmen und die Solidität der Unternehmen in der Regel eine bedeutende Rolle.
Sie befürworten also, dass in Berlin ohne ein starres Raster die Flächennutzung geplant wird?
Susann Liepe: Nicht unbedingt. Meiner Ansicht nach könnten wir in der Stadt durchaus über einen Kriterienkatalog nachdenken, in dem generell geregelt ist, wo Berlin Schwerpunkte setzen will. Ich denke, das könnte Prozesse vereinfachen und beschleunigen. Es muss aber unbedingt auch Spielräume für eine standortbezogene Feinjustierung geben.
Wie sehen Sie die Perspektiven für die Gewerbeflächenentwicklung in Berlin? Werden bald keine Ansiedlungen im Stadtgebiet mehr möglich sein?
Torsten Wiemken: Nein, die Produktionsformen werden sich immer wieder verändern und damit wieder Flächen frei werden lassen. Auch heute sind es ja kaum Grün- oder Ackerflächen, die umgewandelt werden. Üblicherweise entstehen die neuen Gewerbegebiete dort, wo auch früher schon Gewerbebetriebe oder andere Nutzungen angesiedelt waren – die aber aufgrund des Strukturwandels ihre Flächen nicht mehr benötigten. Außerdem haben wir in Berlin auch bei den Gewerbeflächen noch Potenziale über die Verdichtung.
Gewerbebetriebe können aber nicht in Wolkenkratzern produzieren.
Torsten Wiemken: Das ist richtig, aber auf mehreren Ebenen schon. Es ist auch eine Frage der Kosten. Je teurer die Flächen werden, desto eher rechnen sich kreative Konzepte für Produktion und Logistik in höheren Etagen. Vor allem in den zentraleren und verkehrsgünstig gelegenen Lagen werden wir die Entwicklung zu verdichteten Industrieflächenkonzepten sehen, weil die Betriebe sich aufgrund des Fachkräftemangels an entlegeneren Standorten nicht so gut entwickeln können.
von Michael Gneuss