Agenda
Klare Wünsche an Europa
IHK-Unternehmensbarometer zeigt: Bürokratieabbau ist das wichtigste Thema. Insgesamt sieben Wahlprüfsteine hat die IHK zur Europawahl formuliert.
Auch Berlin knüpft an die Wahl des Europaparlaments Anfang Juni konkrete Erwartungen.
© Getty Images/Frank Herrmann
Am 9. Juni findet in Deutschland die Wahl für das Europäische Parlament statt. Mit Blick darauf richten die Berliner Unternehmen konkrete Wünsche an die EU. Das IHK-Unternehmensbarometer zur Europawahl zeigt deutlich, welche Themen aus Sicht der Wirtschaft auf EU-Ebene prioritär angegangen werden sollten: Für neun von zehn Unternehmen ist der Bürokratieabbau das wichtigste Thema. Mehr als die Hälfte der Unternehmen benennen zudem Fachkräftesicherung und die Sicherung der Energieversorgung als Prioritäten für die nächste Legislaturperiode.
Insgesamt ist Europa für die Berliner Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Laut Umfrage ziehen die Unternehmen den höchsten Nutzen aus der politischen Stabilität, dem gemeinsamen Währungsraum, einheitlichen EU-Normen und Standards (etwa Industriestandards) sowie dem Zugang zu europäischen Märkten. Das machen auch die Außenhandelszahlen deutlich. So wurden 2023 Berliner Waren im Wert von 16,7 Mrd. Euro weltweit in 207 Länder verkauft. Mit einem Anteil von 60 Prozent (9,5 Mrd. Euro) wurde dabei der größte Teil der Waren innerhalb Europas abgesetzt. Vom EU-27-Exportvolumen in Höhe von acht Mrd. Euro waren Güter im Wert von rund fünf Mrd. Euro für die 19 Länder der Eurozone bestimmt.
Angesichts der Bedeutung der Europawahl für die Berliner Wirtschaft hat die IHK Berlin ihre Positionen zur Europawahl anhand von sieben thematischen Wahlprüfsteinen geschärft und durch die Vollversammlung verabschiedet. Ein zentrales Thema ist eine bessere Rechtsetzung durch weniger Bürokratie. Die Berliner Wirtschaft setzt sich vor allem aus kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zusammen. Zwar gelten für KMU in europäischen Gesetzgebungen Ausnahmeregelungen, gleichwohl haben die Gesetze häufig mittelbar Einfluss auf die Betriebe, wenn beispielsweise über das Lieferkettengesetz größere Betriebe Nachweispflichten an kleinere Zulieferbetriebe weitergeben. Um einer solchen übermäßigen Belastung entgegenzuwirken, sollten KMU-Tests standardmäßig in europäischen Gesetzgebungsverfahren eingesetzt werden. Zudem sollte die „One in, one out“-Regel auf europäischer Ebene systematisch umgesetzt werden. Diese Regelung gilt zwar bereits, die Praxis zeigt jedoch, dass im Jahr 2022 für über 2.000 neue Rechtsakte, die verabschiedet wurden, nur 534 bestehende wieder aufgehoben wurden.
Handlungsbedarf besteht für die EU auch beim Thema Fachkräftesicherung. Schon heute fehlen in Berlin 90.000 Fachkräfte, bis 2035 könnten es mehr als 400.000 sein. Neben der Aktivierung der vorhandenen sogenannten „Stillen Reserven“ am Arbeitsmarkt bedarf es daher einer arbeitsmarktorientierten Zuwanderung aus Drittstaaten. Vor diesem Hintergrund sollte der EU-Talentpool, eine Plattform, die Unternehmen und potenzielle Fachkräfte aus Drittstaaten miteinander vernetzt, rasch umgesetzt und etwa über die Liste der Mangelberufe hinaus ausgeweitet werden. Insgesamt sollte die Politik Europa stärker als Arbeits-, Ausbildungs- und Studienort bewerben. Auch innerhalb Europas ist eine stärkere Mobilität zu begrüßen. Berliner Unternehmen profitieren von der Arbeitnehmerfreizügigkeit der EU. Jedoch gibt es hier immer noch potenzielle Rechtsunsicherheiten, beispielsweise bei Fragestellungen um die mobile Arbeit.
Ein weiterer Punkt ist die Stärkung des europäischen Energiebinnenmarktes, die zu einer Entlastung Berliner Betriebe beitragen könnte. So sahen sich im vergangenen Jahr 78 Prozent der Berliner Unternehmen mit höheren Energiepreisen konfrontiert, 83 Prozent beklagten höhere Strompreise. Eine Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energien sollte daher auf europäischer Ebene entschieden vorangebracht werden, jedoch gleichzeitig den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit im Blick behalten.
Aus Sicht der Berliner Wirtschaft ist die Wahl am 9. Juni für alle Unternehmerinnen und Unternehmer der Hauptstadtregion wegweisend. Um ihrer Stimme eine eigene Bühne zu bieten, findet am 27. Mai in der IHK Berlin eine Wahlarena mit Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien statt. Dabei geht es vor allem um die drängendsten Themen: Bürokratieabbau, Fachkräftesicherung und Energieversorgung.
von Katja Wiesner und Atina Aliyeva