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Ein Austausch wäre mal interessant

Zu Gast im Ludwig Erhard Haus: Dr. Peter Tschentscher, Hamburgs Erster Bürgermeister, hätte für die Berliner Politik einige Tipps parat.
Berlin und Hamburg liegen zwar 255 Kilometer Luftlinie und damit ein Stück weit voneinander entfernt. Doch in der Vergangenheit hat insbesondere die Berliner Politik großes Interesse geäußert, eng mit der Hansestadt kooperieren und von ihr lernen zu wollen. Immerhin bilden beide Städte den Kern einer großen Metropol-Region mit bundesweiter Ausstrahlung, aber auch ähnlichen Problemen.
Umso mehr Erstaunen löste die Äußerung von Hamburgs Erstem Bürgermeister, Dr. Peter Tschentscher, bei einem Besuch in der IHK Berlin aus, dass Hamburg mit Wien einen engeren Kontakt pflege als mit der deutschen Hauptstadt. Und dies, obwohl beide Städte dank der ICE-Verbindung nur knapp zwei Stunden Fahrtzeit auseinanderliegen. „Ein Austausch wäre mal interessant“, sagte der Politiker beim Wirtschaftspolitischen Frühstück mit rund 200 Gästen aus Wirtschaft und Politik. Mit den früheren Regierungschefs Michael Müller und Franziska Giffey habe es das gegeben. Der jetzige Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, habe ein „anderes Team“.

Erfolgreiche Einführung der E-Akte

Nichtsdestotrotz zeigte sich Tschentscher offen, sich in die Karte schauen zu lassen und Wege zum Erfolg zu verraten. So hat Hamburg – im Gegensatz zu Berlin, wo das Projekt gescheitert ist – die E-Akte in der Verwaltung eingeführt. Alle Akten seien digitalisiert und mit Stichworten verlinkt worden. Damit könne gezielt gesucht werden, etwa flächenbezogene Informationen zum Eigentümerstatus, zu möglichen Belastungen der Grundstücke mit Schadstoffen oder Munition bis hin zu umweltrelevanten Daten. Dass dieses System bezeichnenderweise den Namen „Eldorado“ trägt, quittierten die Gäste mit Gelächter, wohl in der Hoffnung, dass auch die Berliner Verwaltung irgendwann solche komplexen Daten auf Knopfdruck in ihren Systemen findet.
Auf Nachfrage von Christina Aue, Geschäftsführerin der Stern und Kreisschiffahrt GmbH, wie Hamburg solche Verwaltungsprozesse besser managt als Berlin, sagte Tschentscher: „Wir haben die Bezirke besser im Griff.“ Bei aller Autonomie der Bezirke habe der Senat in der Hansestadt klar geregelte Durchgriffsrechte.
Aber auch beim Neubau und der Verwaltung von Wohnungen hat Hamburg durchaus vorzeigbare Ergebnisse erzielt, über die sich in der Vergangenheit bereits Franziska Giffey informiert hatte. Angesichts der schwierigen Lage bei Wohnungsneubauten ist in der Hansestadt eine Senatskommission ins Leben gerufen worden, die kontinuierlich eine „Konfliktliste“ zur sofortigen Entscheidung abarbeitet. Auf diese gelangen alle stockenden Bauprojekte – sei es wegen Umweltproblemen oder ausufernder Bauvorschriften. Tschentscher mit Augenzwinkern: „Merkwürdigerweise fallen die meisten Entscheidungen jeweils eine Woche vor der Kommissionssitzung.“ Dabei gehe es aber nicht darum, alle Investorenwünsche zu erfüllen, sondern schnell eine endgültige Entscheidung zu treffen. Zudem stelle die Hansestadt für den geförderten Wohnungsbau Kredite mit einer Zinsrate von einem Prozent für eine Laufzeit von 30 Jahren zur Verfügung, um so den Wohnungsbau anzukurbeln.

Kein Mietenstopp an der Elbe

Und dann geht Hamburg trotz steigender Wohnungsmieten bei diesem Thema einen etwas anderen Weg als Berlin. „Wir haben keinen Mietenstopp“, betonte Tschentscher und begründete dies mit den sonst nicht zur Verfügung stehenden Mitteln für die Sanierung und den Unterhalt des Bestands. Ein Mietenbündnis mit den Wohnungsunternehmen – das Berlin inzwischen kopiert hat – und ein realistischer Mietpreisspiegel seien die Instrumente der Regulierung. Dabei sei eine Mietpreissteigerung von 3,3 Prozent pro Jahr eingerechnet worden. Allerdings, so räumte der Regierungschef ein, müsse angesichts der Inflation jetzt neu gerechnet werden.
Beim Thema Wirtschaftswachstum, das derzeit in Berlin stärker ausfällt als in Hamburg, wies der Regierungschef darauf hin, dass Hamburg auch stärker vom internationalen Handel abhängig sei. Bei allem Lokalpatriotismus für seine Stadt und den Überseehafen – über den 85 Prozent der Im- und Exporte Berlins abgewickelt werden – zollte Tschentscher auch der Hauptstadt Respekt. Die Wissenschafts- und Forschungslandschaft oder die Start-up-Szene würden in Hamburg genau beobachtet.
von Holger Lunau