Fokus

„Software ist für uns der Schlüssel zum Erfolg“

Jörg Astalosch ist CEO der Ingenieurgesellschaft IAV, die für die Autoindustrie tätig ist. Nachhaltige Antriebe, autonomes Fahren und KI sind für ihn aktuell die wichtigsten Themen.
Die IAV GmbH Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr wurde vor 40 Jahren in Berlin gegründet. Dem global tätigen Unternehmen ist die Transformation zum Engineering Service Provider mit Software-Kompetenz gelungen. Der seit Oktober amtierende CEO Jörg Astalosch sieht nun aber neue Herausforderungen für seine Firma.
Berliner Wirtschaft: Als Sie im vergangenen Jahr Ihren Job in Berlin antraten, erklärte Ihr Aufsichtsrat, „mit Jörg Astalosch stellen wir bei IAV die Weichen für die Mobilität der Zukunft“. Haben Sie ein spezielles Faible für Zukunft?
Jörg Astalosch: Ich glaube, Zukunft interessiert uns alle, und in einer weltweit tätigen Ingenieurgesellschaft gilt das umso mehr. Ich habe viel Freude daran, Entwicklungen zu treiben, zumal wir im Bereich der Mobilität nicht nur Evolutionen, sondern Revolutionen brauchen – gerade auch in Deutschland. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass wir im vernetzten Verkehr oder auch im Zugverkehr viel Potenzial haben. In anderen Ländern läuft das pünktlicher und strukturierter ab. Das sind Basisverbesserungen, und dann brauchen wir auch Sprung-innovationen, zum Beispiel das autonome Fahren.
Haben Sie eine Vision für den Berliner Verkehr?
Also, zunächst muss ich sagen, dass Berlin einfach eine richtig tolle und eine ganz besondere Stadt ist, für mich die einzige echte Metropole in Deutschland. Ich finde die Verkehrsinfrastruktur hier eigentlich ganz gut. In den inneren Bezirken kommt man auch gut ohne ein eigenes Auto aus. Es gibt viele Sharing-angebote – vom Scooter über das Fahrrad bis zum Auto. Und das ÖPNV-Angebot finde ich auch gut. Aber die Verkehrsformen müssen besser und einfacher vernetzt werden. Das muss für jeden verständlich und intuitiv nutzbar sein. Dafür brauchen wir noch bessere Plattformlösungen.
Was sollen die können?
Für den Geschäftsmann ohne Gepäck, der bestens mit seinem Smartphone und seinen Apps umzugehen weiß, funktioniert das auch heute schon ganz gut. Aber was ist mit der Mutter, die ein Kind in der linken und den Kinderwagen in der rechten Hand hält? Und was ist mit dem älteren Ehepaar jenseits der 80 Jahre? Springen die nach Anweisungen ihres Handys auch ganz entspannt aus der Bahn in den Bus und dann auf das Leihfahrrad? Da kann man vieles noch besser machen, durch Software-Lösungen, aber auch durch Angebote, die wir uns noch ausdenken müssen.
Und das Auto …
… wird weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Auf der einen Seite finde ich, dass Berlin so schöne alte Straßen hat, die man begehbar machen sollte. Eine Stadt darf nicht nur nach den Bedürfnissen der Autofahrer geplant werden. Aber das muss nicht heißen, dass wir alle nur noch zu Fuß gehen werden. Ich glaube, man kann den Autoverkehr mit einer fußgängergerechten Stadt in Einklang bringen. Berlin hat große Persönlichkeiten, die sich dafür engagieren und Lösungen finden können. Ich finde sowieso: Berlin braucht mehr Leuchtturmprojekte für eine zukunftsgerechte Mobilität.
Aber bei IAV steht das Auto noch im Mittelpunkt, oder denken Sie jetzt eher in Mobilitätslösungen?
Wir beschäftigen uns im Wesentlichen mit dem Auto, das ist richtig. Aber wir denken natürlich weiter und betrachten das Auto mit all seinen Möglichkeiten beim Antriebsstrang und der Option des autonomen Fahrens. Die Technologien aus dem Bau von Pkws sind natürlich auch für andere Sektoren interessant. Deshalb entwickeln wir auch für Agrarfahrzeuge oder Windkraftanlagen. Wir haben auch schon Projekte für selbstfahrende Busse oder Konzepte für Lastenfahrräder gemacht.
Wie weit blicken Sie bei IAV in die Zukunft?
Wir müssen uns an den Erwartungshaltungen unserer Kunden orientieren. Und die wollen von uns wissen, welche Technologien und Lösungen sie in fünf Jahren auf den Markt bringen können. Da diese Fahrzeuge dann mindestens sieben weitere Jahre lang verkauft werden, müssen wir uns also überlegen, was in zwölf Jahren noch sinnvoll sein wird. Man kann also sagen: Wir machen uns Gedanken, wie der Verkehr in zwölf Jahren funktionieren wird.
Worüber denken Sie dabei konkret nach?
Natürlich über naheliegende Faktoren wie Komfort, Funktion oder Kosten. Aber wir sehen auch unsere Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft und der Generation unserer Kinder. Auch deshalb haben alternative Antriebe und das autonome Fahren für uns eine hohe Bedeutung.
Worin sehen Sie die Stärke der IAV?
Gegenüber unseren Kunden bezeichnen wir uns heute als Tech Solution Provider. Dabei gibt es drei Felder, in denen wir besonders stark sind. Das erste ist der Antriebsstrang. Das sind unsere Wurzeln, damit hat das Unternehmen begonnen, als es vor 40 Jahren aus der Technischen Universität ausgegründet wurde. Heute ist es natürlich nicht nur der Benzin- und Dieselantrieb, wir beherrschen auch alle Hybride, die E-Fuels, Wasserstoff und alle batteriegetriebenen Varianten. Der zweite Schwerpunkt ist das Software Defined Vehicle.
Was heißt das?
Immer mehr Funktionen im Auto sind heute softwaregesteuert. Daraus ergeben sich in der Automobilentwicklung sehr viele Spezialfelder, in denen wir sehr gut sind. Jedenfalls bekommen wir entsprechendes Feedback von unseren Kunden. Das ist sehr positiv, denn Software ist für uns der Schlüssel zum Erfolg. Der dritte Schwerpunkt ist das Gesamtfahrzeuggeschäft. Das heißt: Wir können auch neuen oder etablierten Herstellern dabei helfen, ein ganz neues Fahrzeugkonzept zu entwickeln. Dafür braucht man eine gewisse Größe, die haben wir mit weltweit 8.000 Mitarbeitern.
Ich dachte, die Autoindustrie hat Probleme mit der Transformation zum Software-Unternehmen, auch weil nicht genug Fachkräfte zu finden sind.
IAV hat mit dieser Transformation sehr frühzeitig begonnen. Unsere Ingenieure haben sich weiterentwickelt und Software-Kompetenz erworben. Das ist wichtig, weil gleichzeitig das Geschäft mit dem Verbrennungsmotor schrumpfen wird. In Europa soll es 2035 zu Ende gehen. Wir glauben aber, dass es weltweit noch eine längere Zeit weiterleben wird. Außerdem können wir uns Konzepte auf Basis von Verbrennungsmotoren vorstellen, die zwar nicht emissionsfrei, aber insgesamt emissionsneutral sind. Das Verbrenner-Know-how werden wir auch für E-Fuel-Antriebe weiternutzen können.
Sie glauben also an eine Zukunft des Verbrennungsmotors im Automobilbau?
Es ist auch eine Frage der Kosten und des Preises. Schaffen wir es mit batterieelektrischen Fahrzeugen, die CO2-Emissionen in der Summe global deutlich zu drücken, wenn wir lauter E-Fahrzeuge auf den Markt bringen, die 50.000 Euro und mehr kosten? Kann sich der Normalverdiener das leisten? Oder gibt es Lösungen mit alternativen Kraftstoffen, die aussichtsreicher oder zumindest für bestimmte Märkte geeignet sind? So ist in Brasilien Ethanol bereits seit Jahrzehnten ein Thema. Wenn ich mit Produzenten von E-Fuels spreche, höre ich, dass es da auch sehr vielversprechende Szenarien gibt.
Was sind denn aktuell die Themen, die Ihnen die meisten Entwicklungsaufträge einbringen?
Vier Themenblöcke sind besonders wichtig: Software, das autonome Fahren, KI und alternative Antriebe. Bei den alternativen Antrieben geht es überwiegend um Hybridisierung und batterieelektrische Antriebe. Wasserstoff beherrschen wir auch, aber die Nachfrage ist noch nicht sehr groß.
Fast alle diese Themen haben sehr viel mit Software zu tun. Finden Sie wirklich genug IT-Kräfte?
Ja, 90 Prozent unseres Geschäfts ist softwarelastig. Aber wir brauchen Spezialisten, die Software in Verbindung mit unseren speziellen Themen beherrschen. Der Antriebsstrang wird heute auch durch Software gesteuert. Unsere Personalexperten achten schon lange darauf, dass wir uns die passenden Menschen dazuholen. Daher sind keine nennenswerten Engpässe entstanden. Aber es geht nicht nur um technisches Wissen.
Sondern?
Wir achten sehr stark auf die Vielfalt in der Belegschaft. Wir wollen nicht nur Leute holen, die PS-starke Sportwagen konstruieren möchten. Wir brauchen beispielsweise auch Kolleginnen und Kollegen, die sich mit der Mobilitätswende beschäftigen wollen. Eine Firma wie IAV mit weltweiten Kunden und unterschiedlichen Technologien funktioniert meiner Meinung nach nur, wenn sie ein Spektrum aus unterschiedlichen Einstellungen abbildet.
Finden Sie auch in Berlin genügend Personal?
Wir haben etwa 1.500 Mitarbeiter in Berlin, das sind aber nicht alles Ingenieure. In Berlin sitzt auch die Verwaltung. Unseren Bedarf hier können wir decken. Dabei hilft uns, dass IAV in der automobilen Welt ein Name ist. Unser Wachstum für die Zukunft sehen wir aufgrund der globalen Entwicklung aber nicht in Deutschland. Wir werden stärker in anderen Ländern wachsen, in denen Kunden sitzen und wo wir noch schneller Personal aufbauen können.
Das klingt nicht gut für den Standort Deutschland.
Wir können auf die Technik, die wir hier erzeugen, stolz sein. Aber in Bezug auf Geschwindigkeit und Kosten müssen wir aufpassen, dass wir von Wettbewerbern in Asien und den USA nicht abgehängt werden. Andere Länder bilden auch immer mehr hoch qualifizierte Ingenieure aus. Indien, Südkorea, Südeuropa oder nordafrikanische Staaten wie Marokko sind auch gute Standorte für Engineering Service Provider geworden. Ein Fehler wäre, wenn wir sagen: Wir sind seit 40 Jahren erfolgreich, und wir können nichts mehr lernen.
von Michael Gneuss