Fokus

KI-Hotspot

Forschungseinrichtungen, Netzwerke und smarte Start-ups machen Berlin zur Top-Adresse für künstliche Intelligenz. Damit der Erfolg wächst, muss das Ökosystem gestärkt werden.
Zwei Buchstaben elektrisieren die Wirtschaft. 14.670.000.000 Einträge finden sich aktuell für KI bei Google, beim englischen Counterpart AI sind es sogar noch einige mehr. Dabei verwendete der amerikanische Informatik-Pionier John McCarthy die Formulierung „Künstliche Intelligenz“ bereits 1956 auf einer Konferenz. Er beschrieb damit das Konzept von Maschinen, die in der Lage sind, Aufgaben auszuführen, die typischerweise menschliche Intelligenz erfordern. Woher rührt also der Hype? „Mit dem Tool ChatGPT hat das Thema über die Medien die breite Masse erreicht, und schnell haben die Fähigkeiten des Systems, etwa zum Steigern der Produktivität, einen Wow-Effekt ausgelöst“, erklärt Laura Möller, die seit Anfang des Jahres das Künstliche Intelligenz Entrepreneurship Zentrum (K.I.E.Z.) auf dem AI Campus in Berlin-Mitte leitet. Viele Berliner KI-Start-ups hätten Services entwickelt, die auch für den Mittelstand interessant sind. So verbessert Parloa den Kundenservice, Scoutbee optimiert Beschaffungs- und Lieferketten. Elephant generiert Aus- und Weiterbildung für gewerbliche Mitarbeiter. „Auch bei den KMU ist angekommen, dass KI großes Potenzial birgt, aber in der Umsetzung stehen viele noch am Anfang.“
Das bestätigt auch die aktuelle Digitalisierungsumfrage der IHK Berlin. Kleinere Unternehmen bis 50 Mitarbeitende setzen KI deutlich seltener ein (25 Prozent) als größere (43 Prozent). Auch bei der Planung von neuen Projekten für den KI-Einsatz sind größere Betriebe zurzeit deutlich aktiver. Knapp zwei Drittel planen bereits den (zusätzlichen) KI-Einsatz in absehbarer Zukunft in ihrem Betrieb. Unter den kleineren Unternehmen sind dies gut 35 Prozent.

Ein Drittel der KI-Start-ups in Berlin

Wie bei den innovativen Fintechs hat sich Berlin bei KI-Start-ups zu einem Hotspot entwickelt. Laut der jüngsten Studie des appliedAI Institute for Europe gab es in Deutschland im vergangenen Jahr 508 KI-Start-ups, davon sitzt rund jedes dritte in Berlin. Damit liegt die Hauptstadt vor Bayern (24,6 Prozent) und Baden-Württemberg (9,6 Prozent). Laut Berlin Partner erwirtschaften die KI-Unternehmen einen Umsatz von 500 Millionen Euro. Trotz Finanzierungsklemme in der Gründerszene erhielten die finanzierten KI-Start-ups laut Studie im Schnitt 14,8 Mio. US-Dollar, der Median lag bei 5,4 Mio. US-Dollar.
Neben den Start-ups haben sich zahlreiche weitere Player etabliert. Allein an den Berliner Universitäten und Hochschulen gibt es mehr als 65 Professuren und diverse Forschungsteams zu Themen- und Anwendungsfeldern von KI, darunter das im Juli 2022 gestartete Kompetenzzentrum BIFOLD (The Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data). Das mit Mitteln vom Bundesforschungsministerium und vom Land Berlin geförderte BIFOLD ist eins von fünf KI-Zentren in Deutschland – die übrigen sitzen in München, Dresden/­Leipzig, Dortmund und Tübingen – und entstand aus der Zusammenlegung von zwei Zentren, die sich mit Big Data und Maschinellem Lernen beschäftigt hatten. So brachte man zusammen, was zusammengehört. „Wir brauchen maschinelles Lernen, um Erkenntnisse aus den großen Datenmengen gewinnen zu können“, erklärt Jack Thoms, Managing Director am BIFOLD. Nach abgeschlossenem Aufbau des Zentrums werden sich mehr als 300 wissenschaftliche Mitarbeitende mit KI beschäftigen. Schwerpunktmäßig geht es im BIFOLD darum, wie die immer größeren und heterogenen Datenmengen effizienter genutzt werden können und Echtzeitanalysen ermöglichen. Um den Austausch mit der Wirtschaft zu fördern, wird in gemeinsamen Labs gearbeitet, etwa mit BASF.
Das vom Bundeswirtschaftsministerium und vom Land Berlin geförderte K.I.E.Z. ist das größte Modellvorhaben des Bundes zur Stärkung wissenschaftsbasierter KI-Start-ups. Gefördert werden wissenschaftsbasierte KI-Teams über den gesamten Start-up-Lifecycle: von der Proto- ­typenentwicklung über die Geschäftsmodellierung bis zur frühen Wachstumsphase. Seit der Gründung im Jahr 2021 konnten die mittlerweile zwölf Beschäftigen von K.I.E.Z. bereits mehr als 60 KI-Start-ups fördern. Allein 28 junge KI-­Firmen haben das sechsmonatige Accelerator-Programm auf dem Merantix AI Campus in Berlin-Mitte erfolgreich abgeschlossen. Unterstützt wurden die Start-ups vor allem mit KI-Know-how sowie Zugang zu ­Kapitalgebern und zu einem starken Berliner Ökosystem.
Florian Schütz, ­Geschäftsführer des Ende 2021 gegründeten ­Vereins KI Park, will KI-Innovationen in Deutschland und Europa beschleunigen. Aus Berlin knüpft KI Park gerade ein europaweites Netzwerk mit Ablegern in Nürnberg-Erlangen, im Ruhrgebiet, in Stockholm, Österreich und der Schweiz. „Ziel ist es, unterschiedliche lokale Aktivitäten in KI-Hochburgen zu fördern und ortsübergreifend mit den anderen Standorten zu vernetzen“, sagt Schütz. So sei für Berlin das Thema KI für den öffentlichen Sektor wichtig, in Bayern etwa seien es die Bereiche Kommunikationstechnologie und Recht. Geldgeber des Vereins sind die aktuell 142 Mitglieder. Unter ihnen finden sich neben großen Unternehmen wie VW, Schäffler und HP auch Mittelständler und Start-ups, dazu Forschungseinrichtungen wie DLR, Acceleratoren wie K.I.E.Z, ­Transfer- büros von Universitäten und Verbände. Im KI Park tauschen sich die Mitglieder aus, identifizieren die für sie relevanten KI-Trends und arbeiten gemeinsam an Projekten.
Trotz geballter Stärken und vieler Chancen mangelt es nicht an Herausforderungen. Für IHK-Vizepräsidentin Sonja Jost ist künstliche Intelligenz eine der wichtigsten Schlüssel- und Querschnittstechnologien unserer Zeit. Berlin verfüge auf diesem Gebiet über enormes Potenzial und starke Einzelinitiativen. „Doch aktuell wird dabei zu häufig neben- statt miteinander gearbeitet. Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgerufen, die einzelnen Initiativen stärker miteinander zu verbinden. Das hilft der Sichtbarkeit in- und außerhalb der Stadt.“ Zusätzlich könnten nur so Synergien geschaffen werden, die die Entwicklung und Anwendung von KI-Lösungen beschleunigen. “

Vielfalt der Akteure: Stärke und Schwäche

Aus Sicht von Sonja Jost ist Transfer von Wissen aus der exzellenten Berliner KI-Wissenschaft in die Anwendung für die Entwicklung der gesamten Stadt von entscheidender Bedeutung. „Egal, ob wir beispielsweise über den Bereich Mobilität reden oder die Schaffung komplett neuer Materialen: Berlin kann als Standort weltweit eine führende Rolle beim Thema KI einnehmen, wenn wir es schaffen das KI-Ökosystem zu stärken. Packen wir es an!“ Auch Jack Thoms vom BIFOLD sieht Handlungsbedarf. „Unsere Stärke als KI-Standort ist zugleich unsere Schwäche. Wegen der Vielfalt der Akteure ist es schwieriger, mit einer Stimme zu sprechen und ein klares Profil zu entwickeln.“ Neben universitären Zentren wie BIFOLD gibt es weitere Forschungsgruppen an den Unis und außeruniversitäre Einrichtungen wie das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Alt-Moabit, vier Fraunhofer-Institute, die sich wissenschaftlich mit KI beschäftigen sowie Grundlagenforschungseinrichtungen wie die Exzellenzcluster MATH+ oder das Science of Intelligence. Zu international beachteten Playern gehört die Berliner Start-up-Schmiede Merantix. Last but not least sitzt der Bundesverband Künstliche Intelligenz in Berlin.
Um die Stärken besser zu bündeln, arbeiten BIFOLD, K.I.E.Z., IHK Berlin und die Wirtschaftsförderer Berlin Partner daran, einen physischen Ort für KI-Forschung in Berlin zu entwickeln, an dem sich die Player aus der Berlin Wissenschaft und Wirtschaft, aber auch internationale Gäste austauschen und vernetzen können. Thoms: „Das würde die Sichtbarkeit unserer Leistungen im Bereich KI stärken.“
von Eli Hamacher