Branchen
Zukunftswind in Tegel
Die Urban Tech Republic – Berlin TXL bringt Wissenschaft und Wirtschaft zusammen. Um durchstarten zu können, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen.
So soll der Tech-Campus, einst Flughafen Berlin-Tegel, einmal aussehen.
© Tegel Projekt GmbH/GMP Architekten
Der amerikanische Gründergeist ist legendär. Er hat Unternehmen hervorgebracht, deren ideeller und finanzieller Wert alles übertrifft, was die deutsche Wirtschaft anzubieten hat. Kein Wunder, dass er auch hierzulande oft beschworen wird – mit wechselndem Erfolg. An einigen Orten jedoch spürt man ihn, als inspirierenden, alles durchdringenden Genius Loci. Die Urban Tech Republic – Berlin TXL ist einer davon. Hier wird auf 202 Hektar die Stadt der Zukunft gestaltet: Wissenschaft und Start-ups werden Technologien entwickeln, die den Weg dahin ebenen. Und mit denen sich Geld verdienen lässt.
Der Wunsch nach weniger Restriktionen
Die Vay Technology GmbH war der erste Mieter der Urban Tech Republic. Seit 2020 testet das Unternehmen in Tegel ausgiebig seine Telefahr-Technologie. Bei dieser wird das Vehikel durch Telefahrer bis zum Kunden ferngesteuert. Dieser setzt sich ans Steuer, und der Telefahrer übernimmt einen neuen Auftrag. Für vollständig autonomes Fahren fehlen noch die Voraussetzungen, davon waren die drei Gründer von Vay, die die amerikanische Art zu wirtschaften im Silicon Valley kennengelernt haben, überzeugt. Und entwickeln deshalb als komplementäres System seit 2018 das Telefahren.
„Es ist Vay wichtig zu zeigen, dass man so eine Gründung auch in Deutschland aufbauen und skalieren kann“, so Oliver Oczycz, Chief of Staff von Vay. Auch wenn Regulatorik und Kapitalzugang in den USA oft besser seien. Denn amerikanischer Gründergeist allein reicht nicht, dieser muss durch amerikanischen Behördengeist gespiegelt werden. „Die regulatorischen Ansprüche sind in den USA oft unternehmensfreundlicher. Wenn etwas nicht reguliert ist, dann ist es dort erlaubt. Ist etwas in Deutschland nicht reguliert, ist das erst einmal ein Problem“, so Oczycz.
Daher bringt das Unternehmen seine Telefahr-Technologie aktuell zuerst in Las Vegas auf die Straße. Bei allen Schwierigkeiten habe die Offenheit in Deutschland in Hinblick auf Technologien zuletzt aber zugenommen. Berlin und Hamburg unterstützen Vay mit Erprobungsgenehmigungen. Denn Telefahren soll Teil der zukünftigen Smart City werden. Was fehlt, ist eine Regulatorik der Technologie durch die Bundesregierung. Wenn es diese gibt, könne man loslegen, erklärt Oczycz. Daran hat auch die Urban Tech Republic ihren Anteil: Vorher sei es wahnsinnig schwierig gewesen, in Berlin eine Teststrecke zu bekommen. Tegel sei daher ein echter Glücksfall für Mobilitäts-Start-ups wie Vay.
Vay-Gründer Fabrizio Scelsi, Thomas von der Ohe und Bogdan Djukic (v. l.).
© Jan Pauls, Vay
Anspruchsvolles Vorhaben
Genau das möchte die Urban Tech Republic sein: ein Glücksfall für Wissenschaft und Wirtschaft – nicht zuletzt als Reallabor für urbane Innovationen und Start-ups, die diese vorantreiben. „Testfelder sind der USP von Berlin TXL“, stellt Frank Wolters, Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, fest. Daher tue man alles, diese planungsrechtlich abzusichern und technologieoffen zu entwickeln. „Heute benötigen wir Testflächen für Mobilität. Aber keiner weiß, für welche Technologien wir in zehn Jahren kompatible Testinfrastruktur brauchen“, so Wolters. Bis dahin wird die Berliner Hochschule für Technik im Zentrum der Republic angesiedelt sein, umgeben von weiteren wissenschaftlichen Einrichtungen, Start-ups, Begegnungs- und Communityflächen. So zumindest plant man die Zukunft.
Doch Nachnutzung und Umbau eines denkmalgeschützten Flughafens sind eine Testumgebung für die urbane Transformation. Im Rahmen dieses anspruchsvollen Vorhabens muss das Quartier smart werden: Sensoren sammeln Daten über den urbanen Raum, die wiederum Innovationen inspirieren und ermöglichen. Diese hofft man in eine Verwertungskette vor Ort – vom Hochschullabor übers Start-up bis hin zur Serienproduktion mit industriellen Partnern – zu integrieren. Die notwendigen Flächen für größere verarbeitende Betriebe sind vorhanden. Bis die ersten Start-ups hier von der Prototypen- in die Serienfertigung gehen, werden aber noch ein paar Jahre vergehen. Bis dahin findet vielleicht auch der deutsche Behördengeist seine neue Rolle – als Ermöglicher von wirtschaftlichem Erfolg.
von Christian Nestler