Branche

Spot an: Eine Nische macht Mut

Berliner Gründerinnen wollen mit ihrer adaptiven Mode den Alltag für Menschen mit Einschränkungen einfacher und schöner machen.
Wenn Sie den Begriff „adaptive Mode“ noch nie gehört haben – kein Problem, da sind Sie nicht allein. Und das ist Teil des Problems, das Unternehmen in diesem Geschäftsbereich haben. Aber starten wir mit dem Positiven: Es ist, gesellschaftlich gesehen, ein großer Fortschritt, dass es diese Nische überhaupt gibt. Denn unter adaptiver Kleidung („angepasste Kleidung“) versteht man Kleidungsstücke, die für Menschen mit körperlichen Einschränkungen oder Behinderungen entwickelt wurden, so die Beschreibung von Wombly, einem der Anbieter aus Berlin. Das Team um Gründerin Lina Falkner-Schwesinger spezialisiert sich auf Babys und Kinder, die medizinische Versorgung benötigen, sowie auf Frühgeborene.

Erleichterungen für den Alltag

„Unsere Kleidung hat spezielle Öffnungen und Vorrichtungen für Kinder mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen“, erklärt die Unternehmerin. So wird der tägliche Umgang mit Stomata und Sonden, Prothesen und Orthesen, Kathetern und Infusionen sowie mit Brüchen und Gipsverbänden erleichtert.
Sie merken schon – kein einfaches Thema. Wer tauscht sich schon gerne beim Abendessen über Sonden bei Frühgeborenen aus? Und doch besteht der gesellschaftliche Fortschritt darin, dass das Thema kein Tabu mehr ist. Mehr noch – offensichtlich gibt es genug Interesse dafür, dass sich Menschen Gedanken darüber machen, wie Kleidung für besondere Bedürfnisse entworfen werden kann, sodass sie nicht nach Funktions- oder Klinikkleidung aussieht. Dahinter steht die Vorstellung, dass Mode einen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe leisten kann.
Nicht anders ist das bei Silverline. Ulrike ­Vollmoeller und Frida Lüth gründeten ihre Modefirma in der Überzeugung, dass Kleidung für (ältere) Menschen mit Rheuma, Arthrose, Parkinson oder ALS leicht anzuziehen und dabei gleichzeitig modisch sein soll – deswegen etwa die Idee mit Magnetmanschetten. Nicht zuletzt deshalb heißt ihre Marke Iris & Fred, benannt nach zwei ­Stilikonen: Fred Astaire und Iris Apfel. Das Design übernehmen die Gründerinnen selbst. Frida Lüth betreibt nebenbei weitere kleine Brands. Die Herstellung erfolgt, ähnlich wie bei Wombly, bei vertrauenswürdigen Partnerfirmen in Europa. Die Sorgfalt hat allerdings auch ihren Preis, Herrenhemden mit Magnetknöpfen etwa kosten 129 oder 159 Euro, Damenblusen vergleichbare Beträge.

Sichtbarkeit der Nische wächst

Und da wären wir wieder beim eingangs genannten Problem – obwohl das gesellschaftliche Bewusstsein und die Sichtbarkeit für das Thema wächst, ist die Nische für adaptive Kleidung, modisch designt und nachhaltig hergestellt, doch recht klein. Insgesamt ist die Größe des Markts nicht ganz einfach zu beziffern, denn es liegen nur grobe Zahlen zur Verbreitung einzelner Krankheiten vor, aus denen sich aber nicht automatisch die Bedarfe von Betroffenen ableiten lassen. Deswegen ist es für die Unternehmerinnen so wichtig, an den Zielgruppen direkt dran zu sein – ob durch Besuche in Seniorenheimen, Gespräche mit Ärztinnen und Pflegerinnen oder durch den Austausch mit Angehörigen. Dabei seien betroffene Personen durchaus mitteilungsbedürftig, meint Frida Lüth. Dadurch erhielten sie und ihre Mitgründerin viele Impulse zur Weiterentwicklung der Produkte.
Die Innovationen der beiden Start-ups werden durchaus wahrgenommen und anerkannt. So erhielt Wombly zuletzt die Auszeichnung als „Kultur- und Kreativpilot*in Deutschland“ und nimmt am Förderprogramm „FemVisible“ teil, während Iris & Fred mit einem Gründungsbonus der Investitionsbank Berlin-Brandenburg unterstützt wurde. Ob das Konzept auch wirtschaftlich tragfähig ist, muss sich noch beweisen, denn beide Unternehmen wurden erst 2022 gegründet.
„Es ist eine besondere Herausforderung, mit begrenztem Budget ein Produkt auf den Markt zu bringen, welches die Menschen bisher noch nicht kennen – wonach sie also auch nicht aktiv suchen“, gibt Unternehmerin Lüth zu. Zudem lösten die Produkte Erklärungsbedarf aus, da sie auf den ersten Blick wie reguläre Kleidungsstücke aussehen. „Die richtigen Kommunikations- und Vertriebskanäle aufzubauen, ist daher für uns die größte Challenge“, erklärt die Mitgründerin von Iris & Fred.
von Dr. Mateusz Hartwich