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Zukunft unterm Funkturm

Internationale Projekte: Nach den Jahren der Pandemie startet Dr. Mario Tobias als neuer ­Geschäftsführer mit der Messe Berlin durch.
Die Messe Grüne Woche, die im Januar in den Messehallen unterm Funkturm stattgefunden hat, steht sinnbildlich für die Messegesellschaft: für Tradition und Transformation in ein neues Zeitalter. Denn Grün steht bei der Veranstaltung nicht mehr nur für Ernährung, Landwirtschaft und Gartenbau, sondern seit geraumer Zeit auch für Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Ganz neu in diesem Jahr war außerdem die Ausbildungshalle, um jüngere Zielgruppen für das vor fast 100 Jahren gegründete Format zu gewinnen. Ähnlich die Messe Berlin selbst: Vor gut 200 Jahren, mit der ersten Preußischen Gewerbeausstellung aus der Taufe gehoben, beheimatet sie nach wie vor etliche traditionsreiche Ausstellungen, investiert aber in die nachhaltige Ertüchtigung des Messegeländes und bietet laufend Neuerungen. Selbst der Chef ist neu. Dr. Mario Tobias hat im September 2023 die Geschäftsführung des Unternehmens mit rund 900 Mitarbeitenden übernommen.
Vor seinem Bürofenster ragt gerade ein großer gelber Kran in die Höhe. Durch eine Dachluke wird in den nächsten Tagen eine moderne, energieeffiziente Kühl- und Wärmetechnik installiert. Wenige Monate zuvor haben die Bauarbeiten für Berlins größte Photovoltaik-Dachanlage begonnen. Knapp 20.000 Module sollen bis Ende 2024 auf 20 Hallendächern installiert werden. Mit dem selbst erzeugten Strom könne man den CO2-Fußabdruck um rund 2.900 Tonnen pro Jahr verkleinern. „Damit gehen wir einen großen Schritt für unsere Energiewende unterm Funkturm“, sagt der 52-Jährige.
Nachhaltigkeit bedeutet Zukunft. Aber entscheidend für eine Messegesellschaft ist ihr Kerngeschäft – die Ausstellungen selbst. Hier will man sich laut Tobias vor allem auf die Internationalisierung konzentrieren. Das heißt: mehr Messen im Ausland präsentieren. Denn diese, sei es zum Beispiel die ITB in Shanghai, bringen Umsatz sowie neue Aussteller nach Berlin. Außerdem holt die Messe Berlin mehr internationale Ausstellungen in die Hauptstadt. Zu den Vorhaben gehört auch die Gitex Europe, die im Frühjahr 2025 auf dem Berliner Messegelände stattfinden wird. Sie ist der europäische Ableger der Weltleitmesse Gitex Global, der größten Tech- und Start-up-Veranstaltung der Welt. „Wir sind gerade dabei, für dieses Projekt eine eigene Firma zu gründen“, sagt Tobias: „Es ist ein Once-in-a-Lifetime-Projekt.“

Erstmals findet die FinTech-Messe Fibe statt

Aber auch andere neue Ausstellungen zeigen, dass die Geschäftsführung das Ziel, die schlechten Corona-Jahre mit Umsatzeinbrüchen und Mitarbeiterabbau hinter sich zu lassen und durchzustarten, erreichen könnte: Im Juni dieses Jahres wird erstmals die Hanfmesse Mary Jane unter dem Funkturm veranstaltet. Zuvor war sie in der Arena Berlin. Mitte Mai hat das größte Nachhaltigkeitsfestival Europas, das Greentech-Festival, Premiere in den Messehallen. Ende April wird zudem erstmals die Fibe ausgerichtet, ein Event, das die in Berlin stark prosperierende FinTech-Szene repräsentiert. „Bei der ersten Ausgabe muss diese neue Kongress-Messe nicht viele Hallen belegen. Wichtig ist, dass wir jetzt den Grundstein legen, denn das Wachstumspotenzial des FinTech-Sektors ist enorm“, sagt Tobias.
Und die Messe ist am Puls der Zeit. Aus diesem Grund baut sie auch die digitalen Dienstleistungen aus und investiert, um das Kundenerlebnis zu verbessern. Gleiches gilt für die Prozesse, die für die Produktion einer Veranstaltung notwendig sind. Fraglich bleibt hingegen, ob die Messe zusätzlich zu den seit Jahren etablierten internationalen Leitmessen wie der Fruit Logistica oder der Innotrans weitere Großveranstaltungen wie Olympia oder Expo anziehen kann. Der Wille ist da. Messen bringen Umsatz und schaffen Arbeitsplätze – nicht nur bei der Messe GmbH selbst. „Jeder Euro Veranstaltungsumsatz ergibt sechs Euro Umwegrendite“, sagt Tobias: Gastronomie, Hotellerie und Handel profitieren von den Besuchern aus aller Welt. Nur: Das landeseigene Unternehmen ist hier von den Entscheidungen der Politik abhängig.
Gleiches gilt für die Verkehrsinfrastruktur, laut Tobias eine der größten Herausforderungen. „Das Land muss sicherstellen, dass die Messe beim bevorstehenden Umbau des Autobahndreiecks am Funkturm nicht unter die Räder kommt. Und die unzureichenden Langstreckenanbindungen unserer Stadt in die Welt werden weiterhin auf unserer Agenda bleiben“, sagt er. Man bleibt also im Austausch, natürlich auch mit der Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, die seit letzem Sommer im Aufsichtsrat sitzt.

„Vorzeigebahnhof mit innovativen Services“

Auch im Interesse der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung Berlins ist zu hoffen, dass die Gespräche fruchten, sagt Robert Rückel, Vizepräsident der IHK Berlin. „Damit die Messe Berlin erfolgreich bleibt, müssen beim Neubau des Autobahndreiecks Funkturm unbedingt wieder die Tunnelzufahrt aufs Gelände und eine Logistikfläche mit geplant werden.“ Zugleich sollte Berlin laut Rückel den S-Bahnhof Messe-Süd zum „Ideenbahnhof, also zum Vorzeigebahnhof mit innovativen Services“ umgestalten.
Von Sabine Hölper