Neue Ideen fürs Hotelgewerbe

Die Münchner Hotelkette Living Hotels wagte Ende 2023 ein spannendes Experiment, das nicht nur die Aufmerksamkeit der Branche erregte, sondern auch als wegweisend im Umgang mit dem aktuellen Nachwuchsmangel im Hotelgewerbe angesehen wird. Das Projekt, bekannt als „Das ­Azubi-Hotel“, gab 13 Auszubildenden aus den verschiedenen Häusern in Deutschland die Chance, für sechs Wochen die Leitung des Apartment-Hotels Living Hotel Berlin Mitte zu übernehmen. Das Durchschnittsalter des Nachwuchs-Teams, das das 58-Zimmer-Haus in Eigenregie betreute, lag bei 21 Jahren.

Hintergrund dieses unkonventionellen Ansatzes ist die zunehmende Personalknappheit und die stetig abnehmenden Ausbildungszahlen in der Hotellerie-Branche. Das Azubi-Hotel zielte darauf ab, jungen Auszubildenden mehr Verantwortung zu übertragen und sie zu motivieren, indem es eine einzigartige und intensive Ausbildungserfahrung bietet, die über den herkömmlichen Lehrplan hinausgeht. Die Initiative reagiert auch auf die jüngste Neuordnung der Ausbildungsberufe im Gastgewerbe, die vermehrt auf eigenständiges Arbeiten sowie die Fähigkeiten zur Teamführung und zur Leitung von Abteilungen abzielt.

Während des Projekts wurden die ausgewählten Auszubildenden von ihren lokalen Berufsschulen freigestellt und erhielten einen zusätzlichen Tag pro Woche für ihr Selbststudium. Vor Ort standen den Azubis Laptops und ein spezieller Meetingraum zur Verfügung.

Neben den beruflichen Anforderungen bot das Azubi-Hotel auch lehrreiche Workshops, Schulungen sowie gemeinsame Freizeitaktivitäten und Teambuilding-Erlebnisse an. Für den Fall, dass Unterstützung erforderlich war, stand Klaus ­Pfeiffer, einer der erfahrensten Direktoren der Hotelgruppe, zusammen mit seinem Team und den Ausbildern rund um die Uhr im Living Hotel Großer Kurfürst als Back-up bereit.

Die Gäste des Hotels waren voll des Lobes und betonten online das „äußerst hilfsbereite Personal“, den „.exzellenten Service an der Rezeption“ und die „freundlichen und stets verfügbaren Mitarbeiter“ – nicht wissend, dass das Hotel ausschließlich von Auszubildenden geführt wurde. Die positiven Rückmeldungen der Gäste und die Absicht, das Konzept zu wiederholen, unterstreichen den Erfolg dieses innovativen Ansatzes im Hotelmanagement.

„Mit der Thematik Fachkräftemangel sind wir innerhalb der Hotellerie schon lange konfrontiert. Die Vergangenheit hat jedoch gezeigt, dass die bisherigen Ansätze in unserer Branche nicht von Erfolg gekrönt waren, weil sie nicht an der Ursache ansetzen“, sagt Max Schlereth, geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter der Derag Livinghotels AG & Co. KG. „Darum stellen wir unsere Mitarbeiter per se ins Zentrum unserer unternehmerischen Handlungen. Wir bestärken und fördern sie in sich selbst und ihren persönlichen, sie ausmachenden Eigenarten.“

Laut Schlereth zeigt sich darin ein wichtiger Teil der Identität des Familienunternehmens. Dass während des Projekts auch Fehler passieren würden, war fest einkalkuliert: „Am besten lernt man, wenn man etwas falsch macht. Wir wollten und wollen auch in Zukunft unseren Azubis hier die Chance geben, Fehler zu machen.“

Für das Azubi-Hotel konnten sich Azubis aus allen Häusern in Deutschland und Österreich ab dem ersten Lehrjahr bewerben. Ein fünfköpfiges Gremium wählte die glücklichen 13 in Absprache mit den jeweiligen Hoteldirektoren und Ausbildern aus. Bevor es für alle nach Berlin ging, folgte eine rund sechsmonatige Vorbereitungsphase mit persönlichen wie virtuellen Lernsessions, Führungscoachings, Onboardings, Vorbereitungs-, Kennenlern- und Fragerunden.

„Das Azubi-Hotel haben wir schon seit mehreren Jahren auf der Agenda. Jetzt aber war die Zeit reif dafür, nicht zuletzt, weil der neue Lehrplan der IHK für Ausbildungsberufe im Gastgewerbe nun zum ersten Mal darauf abzielt, dass auch Führungsfähigkeiten erlernt werden. Und nie lernt man mehr, als wenn man etwas selbst erlebt und sich erarbeitet“, sagt Ausbildungsleiterin Sophia Pfundstein.

Mit dem Azubi-Hotel der Living Hotels in Deutschland will die Hotelgruppe der nächsten Generation die Chance geben, neues Terrain für sich selbst zu erkunden und viel Neues zu lernen. Drüber hinaus wollte man mit dem Azubi-Hotel auch für die eigene Branche eintreten, die vielen schönen Seiten der Hotelwelt aufzeigen und neue Maßstäbe in der Ausbildung setzen. Insgesamt verdeutlicht das Azubi-Hotel nicht nur kreative Ansätze im Umgang mit dem Nachwuchsmangel, sondern bietet auch eine erfüllende Ausbildung für die Auszubildenden. Die Hotelkette plant bereits, das innovative Projekt in diesem Jahr zu wiederholen.

von Maren Dingeldein