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Keine Angst vor Offenheit

Kooperationen von Start-ups und etablierten Unternehmen bergen Herausforderungen. Innovationsnetzwerke helfen bei der Überwindung.
Die Forderung an Start-ups und mittelständische Unternehmen, mehr zu kooperieren, erst recht im Rahmen von Forschung und Entwicklung, darf als gut eingespieltes Standardstück aus dem Repertoire des wirtschaftspolitischen Theaters gelten. Kooperierten sie nur fleißig, so die These, bringe dies Wachstum und Arbeitsplätze mit quasi magischer Sicherheit hervor. Auf dem Papier wirkt es auch recht einfach: Radikal schnelle, innovative Start-ups und etablierte Mittelständler verbinden ihre Stärken. Die Entrepreneure lernen, wie man Produkte in Serie produziert und erfolgreich am Markt platziert, die Mittelständler erhalten Zugriff auf Innovationen am technologischen Rand und unbeschwerte unternehmerische Abenteuerlust.
Was leicht klingt, ist tatsächlich eine der schwierigsten wirtschaftlichen Interaktionsformen. Nicht mehr reine Marktbeziehung, doch auch nicht integrierte Organisationseinheit – sondern eine Zwischenform. Zugleich gilt Kooperation als ideal, um in einer Wissensökonomie rasch zu innovieren, da sie vergleichsweise niedrige Transaktionskosten mit der Eigenschaft verbindet, dem Wissenstransfer einen geschützten Rahmen zu geben. Doch ist sie voraussetzungsvoll – sie bedarf des Vertrauens. Und der Risikobereitschaft.
„Alle sagen, sie wollen kooperieren, aber dann gilt meist: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“, erklärt Dr. Karsten Jänsch, einer der beiden CEOs der Datalyze Solutions GmbH. Auf eine Kooperation und ihre Partner müsse man sich einlassen. Und dass sei nicht immer einfach, betont Jänsch. Sein Produkt planitbox.ai optimiert KI-gestützt den Personaleinsatz in Unternehmen, indem es die Qualifikationen der Mitarbeiter effizient mit Aufgaben und Arbeitsplätzen verknüpft.

Nicht jeder Versuch führt zum Ergebnis

Jänsch und seine Kollegen engagieren sich seit Jahren in Innovationsnetzwerken. Nicht immer habe sich das ausgezahlt, und nicht jeder Versuch bei der Suche nach Kooperationschancen führt gleich zum gewünschten Ergebnis. Ausprobieren und Beharrlichkeit sind notwendig. Im Netzwerk des Werner-von-Siemens Centre for Industry and Science (WvSC) hat sich das Engagement allerdings gelohnt. Hier traf Jänsch auf Dr. Sebastian Glende. Der Gründer und CEO der Youse GmbH schätzt am WvSC, dass dieses über Jahre hinweg Kredibilität aufgebaut hat. „Wir sind hier in einem Vertrauensrahmen unterwegs, der sich nur über längere Zeit entwickeln kann. Die Akteure haben einander kennen- und schätzen gelernt, etwa in verschiedenen Forschungsvorhaben“, erklärt Glende. So etwa auch Datalyze und Youse: Im Rahmen eines größeren Siemens-Projekts, in dem innovative Verfahren zur Wartung von Turbinen entwickelt werden sollen, arbeiten die beiden Unternehmen eng zusammen.
Youse übernimmt darin die User ­Research und Experience: Wie müssen die neuen ­Verfahren und Geräte beschaffen sein, damit Mitarbeitende sie positiv erfahren und optimal nutzen können? Datalyze untersucht, wo in den Prozessen spezifische Qualifikationen in einer bestimmten Quantität benötigt werden. „Derartige große Entwicklungskonsortien sind Gold für die Produktentwicklung eines Start-ups“, erklärt Jänsch.
Von den größeren Partnern lernen junge Unternehmen, wie sich Produkte erfolgreich für den Markt entwickeln lassen. Zudem signalisiert die Zusammenarbeit mit etablierten Industrie-größen, dass eine Gründung innovatives Potenzial hat und zum Partner taugt. „F&E-Konsortien können Science-Tech-Start-ups einen sicheren Entwicklungsraum bieten“, ergänzt Glende. Dafür bedürfe es der vertrauensvollen ­Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen in Netzwerken mit hoher Reputation.
Was ist die dafür wichtigste Voraussetzung? „Keine Angst vor Offenheit“, sagt Glende. Und was ist das größte Hindernis? „Geringe Kooperationsmotivation“, resümiert Jänsch. Das WvSC schafft den Möglichkeitenraum, in dem eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gelingt und Innovation hervorgebracht wird. Der Verein wurde 2019 in der Siemensstadt Square unter anderem von der Siemens AG, Fraunhofer und der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit mehreren KMU und Start-ups gegründet. Die zentrale Idee des WvSC ist es, die Forschung an den Ort der industriellen Wertschöpfung zu holen und so die Innovationsgeschwindigkeit auch der großen Indus-triepartner zu erhöhen. Zu diesem Zweck werden am WvSC Forschungs- und Innovationsprojekte kollaborativ aus dem Kreis der Vereinsmitglieder und aus dem Netzwerk entwickelt. Zur Umsetzung von interdisziplinären Forschungsprojekten und ­Bildungsangeboten betreibt der Verein in Berlin einen physischen Campus.

„Mangel an Entscheidungswillen“

„Kleine und mittelgroße Unternehmen müssen sich Innovationen früh von unten holen. Etwa über Forschungs-Spin-offs“, weiß Battist Rábay, Co-Gründer und CEO der Nano-Join GmbH. Die am Zukunftsort Technologiepark Adlershof angesiedelte TU-Ausgründung entwickelt innovative Sintermaterialien, die in der Optoelektronik ebenso wie in der E-Mobility angewendet werden. Start-ups gehören zu diesen Innovationsgebern. Solange das Unternehmen klein, also in seinen Strukturen überschaubar sei, seien die Kooperationspotenziale für beide Seiten recht einfach abzuschätzen, weiß Rábay. Aber schon bei mittelgroßen Unternehmen sei es schwieriger. „Da mangelt es manchmal am unternehmensinternen Überblick und Entscheidungswillen, welche Innovationsprojekte man anpacken sollte.“
Im Verlauf des Gesprächs betont Rábay diesen Punkt immer wieder – dass es eines Partners bedarf, der anpacken will. Der offen ist für Start-ups, ihre Eigenheiten und der eine unkomplizierte Herangehensweise pflegt. „Die Chancen“, so Rábay, „müssen im Vordergrund stehen. Nicht das Risiko.“ Das Denken in Lizenzverträgen und Risikominimierung ersticken kollaboratives Handeln im Keim. Davon abzusehen, verlangt einiges von Entscheidungsträgern in etablierten Unternehmen. Gerade die in Deutschland tradierte Unternehmenskultur umfasst ein Werte-Set, in dem Wagnis und Abenteuer nicht unbedingt an erster Stelle stehen.
Doch auch hier wandeln sich die Werte langsam. Mittelständische Unternehmen engagieren sich häufiger in Innovationsnetzwerken. Diese fungieren als Moderatoren und Vertrauensgeber zwischen potenziellen Kollaborationspartnern und mindern so Informationsasymmetrien und damit Risiken. Dazu gehört neben dem bereits genannten Werner-von-Siemens Centre auch das Innovation Network for Advanced Materials (INAM), in dem Nano-Join aktiv ist.
Gegründet mit dem Anliegen, eine stabile Brücke zwischen anwendungsnaher Forschung und dem Markt zu bauen, hat sich INAM von Beginn auf die Unterstützung wissenschaftlicher Ausgründungen und anderer Hochtechnologie-Start-ups fokussiert. Was ursprünglich als nebenberufliches Projekt der Initiatoren begann, ist mittlerweile zu einer global tätigen Organisation mit mehr als 100 Mitgliedern herangewachsen. Auch wenn sich das Aktionsfeld von INAM im Laufe der Zeit enorm erweitert hat: Im Zentrum der Aktivitäten stehen nach wie vor die Start-up-Programme AdMaLab, AdMaCom und AdMaCom Scale.
„Der Erfolg unseres Bemühens, Innovationen von der universitären Forschung schneller und zuverlässiger in den Markt zu bringen, steht und fällt mit unseren Partnern aus der Wirtschaft“, sagt Oliver Hasse, Geschäftsführer und langjähriger Unterstützer des Netzwerks. „Nur, wenn es gelingt, frühzeitig die Produktentwicklung auf vorhandene Bedarfe anzupassen, hat eine Gründungsidee langfristig eine Überlebenschance. Insbesondere in unseren Programmen existieren deshalb zahlreiche Möglichkeiten zum Austausch zwischen Gründerteam und potenziellen Kundenunternehmen.“ In der Vergangenheit scheint dies gelungen zu sein: Mehr als 90 Prozent der Start-ups, die seit 2016 in die INAM-Programme aufgenommen wurden, sind wirtschaftlich erfolgreich.
Von Christian Nester