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Deep Tech: Große Chancen für Berlin

An elf Zukunftsorten entwickeln junge Unternehmen innovative Geschäftsmodelle – sie brauchen nur bessere Bedingungen.
Die neue Koalition hat es angekündigt: „Die Koalition wird Berlin zu einem international relevanten Zentrum für Deep Tech machen.“ Die politische Ambition ist da. Und wie steht es um die Voraussetzungen? Hat Berlin das Zeug, in die internationale Deep-Tech-Spitzenliga aufzusteigen?
„Auf der Wissenschaftsseite ist Berlin international auf vielen Feldern mehr als konkurrenzfähig“, weiß Sonja Jost, Vizepräsidentin der IHK Berlin und Gründerin der DexLeChem GmbH. Deutlicher Nachholbedarf bestehe aber bei der Übersetzung dieser Stärke in ökonomische Erfolge. „Deep-Tech-Start-ups, die auch als Hightech-Gründungen bekannt sind, werden durch längere Entwicklungszeiten als normale Tech-Gründungen charakterisiert und besitzen regelmäßig besondere Anforderungen an Infrastruktur“, sagt die IHK-Vizepräsidentin, die auch darauf hinweist, dass die Stadt in der Vergangenheit mit solchen Gründungen sehr stiefmütterlich umgegangen sei. „So findet man praktisch kein einziges Labor zur Miete innerhalb des S-Bahn-Ringes und außerhalb auch nur extrem schwer.“ Wenn man international mitspielen wolle, sei das eine Katastrophe.
Auch in puncto Geld gibt es Nachbesserungsbedarf. „Bestehende Finanzierungsinstrumente, die traditionell auf eine sehr schnelle Skalierung ausgelegt sind, passen nicht“, kritisiert Sonja Jost und weist darauf hin, dass man bei Deep-Tech-Investments einen langen Atem benötige. „Es kann nicht sein, dass viele solcher jungen Unternehmen beinahe standardmäßig in sogenannte ,Unternehmen in Schwierigkeiten‘ transferiert werden, wenn sie Darlehen der Investitionsbank Berlin bekommen – nur weil sie nicht schnell genug ihre Verlustvorträge abbauen können, da sie noch immer in der Entwicklungsphase sind. Hier muss dringend etwas passieren!“ Als Start-up-Hub ist Berlin längst im europäischen Oberhaus etabliert und konkurriert regelmäßig mit Paris und London um die Spitzenplätze bei eingeworbenen Investments aus Venture Capital (VC). Der Großteil fließt dabei in E-Commerce und Fintech. Anders verhält es sich bei Science-Tech-Gründungen aus der Wissenschaft. Unicorns sucht man hier bisher vergeblich. Stattdessen findet man Hidden Champions mit B2B-Fokus. Im Berliner Stadtbild fallen sie noch nicht auf. Sie sitzen nicht in Kreuzberg oder Berlin-Mitte, sondern haben sich – zwangsläufig – an der Peripherie ansiedeln müssen: in Berliner Zukunftsorten wie Adlershof und Buch oder auch im Berliner Südwesten.
In Buch etwa wurde T-knife als Spin-off des Max-Delbrück-Zentrums und der Charité gegründet. Das Biotech-Start-up entwickelt neuartige Immuntherapien gegen Krebs: Es bringt den T-Zellen von Patienten bei, solide Tumoren zu erkennen und zu bekämpfen. „An unserer technologischen Plattform gab es großes Interesse aus der Wirtschaft. Wir wollten aber sichergehen, dass die Technologie weiterentwickelt wird, und haben uns daher gegen eine Lizenzierung und für die Gründung entschieden“, erklärt Dr. Elisa ­Kieback, eine der Gründerinnen von T-knife.
Profitiert habe man zu Beginn zwar von Fördermitteln des Bundes. Doch in der Wachstumsphase wurde privates VC benötigt. Und zwar viel davon. „Biotech ist teuer, und man braucht Durchhaltevermögen“, erklärt Kieback. Da die technologische Plattform bereits weit entwickelt war, fanden sich schnell interessierte VC-Investoren – die meisten aus den USA. „Auf Biotech ausgerichtete VC-Investoren gibt es in Europa einfach zu wenige“, so Kieback. T-knife warb Wagniskapital in den USA ein, den Hauptsitz verlagerte man nach San Francisco, auch um die langfristige Finanzierung über einen eventuellen Börsengang zu sichern. Einem solchen Initial Public Offering (IPO) an der Nasdaq hätte sonst das deutsche Gesellschaftsrecht entgegengestanden. „Ein Gesellschaftsrecht wie etwa das niederländische hätte uns als deutsche GmbH den IPO prinzipiell ermöglicht“, ergänzt Kieback. Ob Berlin zum Deep-Tech-Star wird, liegt also nicht allein an der Landesregierung, sondern auch am Bund.Etwa bei der Regulierung von künstlicher Intelligenz (KI). Sollte diese in Deutschland zu strikt ausfallen, hat das Folgen – bis hin zur Verlagerung von Unternehmen ins Ausland.
Das wäre jedenfalls das Worst-Case- Szenario für Exazyme. Das Spin-off der Freien Universität um Ingmar Schuster, Jelena Ivanovska und Philipp Markert nutzt KI, um Enzyme schneller und zielgenauer als bisher zu modifizieren. Anwendungsfelder finden sich etwa in der Nahrungsmittelindustrie, wo Prozesse mit Exazymes Innovation ressourcenschonender als bisher ablaufen könnten. Das Start-up ist ein Vorzeigeprodukt des Berliner Ausgründungsbetriebs: EXIST- und IBB-gefördert, arbeitet es mittlerweile im Entrepreneurship Zentrum (K.I.E.Z.) im Zukunftsort Technologie-Park Humboldthain. „Die Frühphasenförderung in Berlin ist gut aufgestellt“, bestätigt Philipp Markert, der bei Exazyme die Geschäftsentwicklung und den Vertrieb verantwortet. Die hohe Dichte an Hochschulen und Instituten schaffe Vernetzungs- und Kooperationsmöglichkeiten wie an keinem anderen deutschen Standort.
Bei anderen Standortfaktoren gibt es eher Nachholbedarf. Laborkapazitäten für Gründungen und bezahlbare Büroflächen etwa sind knapp. „Man braucht ein gutes Netzwerk und etwas Glück, um da ranzukommen“, meint Markert. Und wie schaut es mit der Vernetzung in die lokale Wirtschaft aus? Das sei schwierig, so ­Markert. Es gebe einfach wenige Unternehmen in der Region, die geeignet und offen für Kooperationen mit einem Deep-Tech-Start-up wie ihrem seien. Eine Erfahrung, die auch andere Tech-Gründer bestätigen.
So etwa Dirk Radzinski, Gründer der xolo GmbH. Er benötigt Technologie-Marktführer und Headquarters als Kooperationspartner und Kunden. Das Verfahren, das xolo entwickelt hat, nennt sich Xolographie. „Wir drucken mit Licht. Im Grunde frieren wir Hologramme im Raum ein“, erklärt Radzinski. Dabei bilden sich in einer Flüssigkeit am Schnittpunkt zweier Laserstrahlen feste Strukturen. Innerhalb weniger Minuten lassen sich so Objekte drucken, deren Produktion bisher Stunden dauerte – oder überhaupt nicht möglich war. Vor allem in der Medizintechnik bieten sich zahlreiche Anwendungsfälle. Den naheliegenden Schluss, dass die Capital Health Region dafür ein Übermaß an Kunden und Kooperationspartnern biete, mag Radzinski nicht bestätigen: „Wenn wir Kunden oder Kooperationspartner suchen, müssen wir mit den Firmenzentralen für uns interessanter Unternehmen sprechen – und die sind meist nicht in Berlin.“ Noch bestehe das Netzwerk der Deep-Tech-Ökonomie in der Region aus relativ wenigen Unternehmen. Das hat für Radzinski nicht nur Nachteile. So gelinge es xolo recht einfach, Fachkräfte von den Berliner Universitäten zu gewinnen.
Trotz des erheblichen Wachstums von Tech-Unternehmen im vergangenen Jahrzehnt ist Berlin im internationalen Vergleich nach wie vor nicht in der Spitzenriege angekommen. „Im Vergleich zu Oxbridge oder Tel Aviv steckt das Ökosystem hier zwar nicht mehr in den Kinder-, aber in den Teenager-Schuhen“, meint Steffen Terberl, Leiter der Geschäftsstelle der Berliner Zukunftsorte. Öffentliche Förderprogramme, Science-Parks und Gründungsservices an Universitäten gebe es in Deutschland erst seit 20 bis 30 Jahren. Eine Gründungskultur etabliere sich erst langsam. Weil aber inzwischen auch viele Großunternehmen und Kapitalgeber nach Berlin kommen und hier „scouten“ und investieren, gibt es Lichtblicke am Horizont. Auch erfahrene Serial Entrepreneurs entdecken zunehmend die Potenziale der Wissenschaft und investieren Geld und Zeit in Berliner Science-Tech-Gründungen.
Gerade deshalb ist es eine gute Nachricht, dass in den Zukunftsorten jetzt infrastrukturelle Voraussetzungen für wachsende Science-Tech-Unternehmen sowie Kooperationen mit etablierten Technologie-Unternehmen geschaffen werden. Außerdem bedarf es zusätzlicher Zukunftsorte, auch innerhalb des S-Bahn-Ringes. „Allein im Technologie-Park Humboldthain, in den Wissenschaftsstandorten in Dahlem und Schöneweide, in der Siemensstadt Square und der Urban Tech Republic könnten in den nächsten zehn Jahren über zehn Milliarden Euro in hochmoderne Labore, Produktionsstätten und transdisziplinäre Innovationsumgebungen investiert werden“, skizziert Terberl die Entwicklungspotenziale. Bis zu 100.000 neue Arbeitsplätze könnten so an den Berliner Zukunftsorten bis 2040 entstehen.
Doch das Engagement am Standort kann seine Wachstumseffekte nicht voll entfalten, solange wichtige Standortdefizite – gerade auf Bundesebene – nicht angegangen werden. Wenn Gründerinnen und Gründer über Hürden sprechen, die die Entwicklung ihrer Unternehmen behindern, werden drei am häufigsten genannt: die schwach entwickelte europäische VC-Landschaft für Deep Techs. Die vergleichsweise überbordende Bürokratie, die etwa die Installation technischer Anlagen in Deutschland für Start-ups unattraktiv macht, und ein Misstrauen in Politik und Verwaltung gegenüber disruptiven Technologien, das zu besonders restriktiver Normensetzung animiert. Mit dem Resultat, dass Forscherinnen und Forscher aus den betroffenen Bereichen andernorts ihre akademische Zukunft sehen – und damit auch die Zukunft jener Gründungen, die Innovationen vom Labor in unser Leben bringen.
Von Christian Nestler