Auf den Punkt

Mehr „normal“ bitte!

Die Vision: Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Selbstverständlichkeit. Das ist nicht nur ­eine gesellschaftliche Aufgabe, auch politisch muss sich noch einiges bewegen.
Meinung
In der Kolumne „Auf den Punkt“ ­positionieren sich im ­monatlichen Wechsel Mitglieder des ­Präsidiums zu wirtschaftspolitischen ­Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht.
Oft werde ich gefragt: „Du hast Kinder und bist Vorständin in einem großen Unternehmen. Wow! Wie schaffst du das eigentlich – leidet da nicht irgendwas oder -wer?“ Und ich frage mich im gleichen Zuge: Werden Männern in Führungsebenen die gleichen Fragen gestellt und somit in eine Rechtfertigungsposition gebracht? Und wenn nein, warum eigentlich nicht?
Nicht erst durch Corona, wo viele Arbeitskulturen auch zugunsten einer höherwertigen Work-Life-Balance aufgebrochen sind, müssten wir doch als Gesellschaft schon längst im „neuen Normal“ angekommen sein. Dank einer Gesetzesänderung im Jahr 2007 nehmen mittlerweile auch mehr Väter die Elternzeit wahr, und ich kenne kaum jemanden, der dafür nicht viel Anerkennung erntet. Was noch in den 70er-Jahren schier undenkbar schien, ist doch heute gesellschaftlich bereits gut akzeptiert. Ich finde, wir Unternehmerinnen und Unternehmer müssen in unserer Sichtweise und unserer Haltung in einem Reifegrad ankommen, den unsere Gesellschaft schon lange spiegelt.
Doch auch politisch sollte sich noch einiges ändern. Es kann nicht sein, dass die Frage nach der Elternzeit eine des Gelbeutels ist. Also, ob beispielsweise das besser verdienende Elternteil sich überlegen muss, sich die Zeit mit dem Kind überhaupt leisten zu können oder eben nicht, weil hier sonst das Geld nicht reicht. Von der Elternzeit und dem Elterngeld geht es direkt weiter zu mehr verfügbaren Kitaplätzen – denn ohne diese kann der Wiedereinstieg ins Berufsleben nicht gelingen.
Zudem müssen Frauen auch gleichwertig zu ihren männlichen Kollegen entlohnt werden. So lag 2022 der Gehaltsunterschied zwischen den Geschlechtern, der GenderPay-Gap, in Deutschland bei 18 Prozent. So viel weniger verdienen Frauen hierzulande gegenüber ihren männlichen Kollegen. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund, wenn Frauen die gleiche Arbeitsleistung zeigen. Das sogenannte Entgelttransparenzgesetz ist ein richtiger Schritt zur Auflösung dieser Ungerechtigkeit. Es sollte jedoch verbessert und verschärft werden. Einer Auskunfts- und Berichtspflicht müssen auch Konsequenzen folgen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – das muss das gesetzlich verankerte Ziel sein. Nicht nur vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels muss diese Diskussion zunehmend an Bedeutung gewinnen, sondern gerade weil unsere moderne Gesellschaft glücklicherweise immer offener, bunter und diverser wird.
Von Nicole Korset-Ristic
Vorständin bei der Bio Company SE und Vizepräsidentin der IHK Berlin