Einzelhandel

Modebewusst

Menschen achten zunehmend darauf, dass Bekleidung nachhaltig produziert ist, oder sie greifen gleich zu gebrauchter. Die Branche muss sich neu erfinden.
Eines der einschneidendsten Ereignisse in der jüngsten Geschichte der Textilindustrie jährte sich kürzlich zum zehnten Mal. Am 24. April 2013 stürzte das Gebäude Rana Plaza in Bangladesch ein. Es starben 1.132 Menschen, überwiegend weibliche Mitarbeiter der zahlreichen Textilfabriken, die für namhafte westliche Modekonzerne produzierten.
Die Diskussion über faire Löhne, menschenwürdige Produktionsbedingungen und die Verantwortung europäischer Unternehmen nahm weiter Fahrt auf. Mittlerweile haben viele Fast-Fashion-Anbieter ihre Konzernstrategien angepasst, erarbeiten eigene Nachhaltigkeitskodexe, kooperieren mit NGOs, setzen verstärkt auf Recycling und Re-Use. Nicht zuletzt wurden Regularien auf EU- und Bundesebene verschärft – von Lieferketten- über Verpackungsgesetz bis hin zu Umweltauflagen.

Unternehmen müssen Erwartungen erfüllen

Wichtiger Treiber für die Veränderungen in der Branche ist eine sich wandelnde Einstellung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Bei einer repräsentativen Befragung im Auftrag von PwC Deutschland gaben 59 Prozent an, sie achten beim Einkaufen immer oder zumindest häufig auf die ökologische, ökonomische oder soziale Nachhaltigkeit von Händlern und Herstellern. Bei den unter 35-Jährigen sind es sogar zwei Drittel.
Allein schon aus wirtschaftlichem Interesse müssen die Unternehmen auf die Erwartungen von morgen achten. Siegel und Zertifizierungen können dabei eine Rolle spielen, wie der „Grüne Knopf“ in Deutschland, der seit 2019 eingeführt wurde und knapp der Hälfte der befragten Verbraucher mittlerweile bekannt ist. Nicht weniger wichtig ist vielen Unternehmen, persönlichen Kontakt zu ihren Vertragspartnern, Produzenten und Lieferanten zu halten. Was aufgrund der Reise- und Kontaktbeschränkungen während der Corona-Pandemie sehr erschwert war, soll nun wieder für verlässliche und Nachhaltigkeitsstandards entsprechende Konditionen sorgen. Das ist erfahrungsgemäß schwierig, wenn die Partner Tausende Kilometer entfernt produzieren und der Weg vom Werk zum Händler über einige Mittelsmänner führt.

Recycling dank EU-Förderung

Ein Trend in der Textilindustrie ist das sogenannte Nearshoring. Gemeint ist das Verlagern der Produktion in europäische Länder, wie Portugal oder Rumänien, wo EU-Standards gelten und die Löhne höher sind als in Asien. Mögliche Störungen globaler Lieferketten, wie der wochenlange Containerschiffstau im Suez-Kanal, corona-bedingte Lockdowns in China oder kriegerische Konflikte wie Russlands Überfall auf die Ukraine, hätten somit weniger Auswirkungen auf die Verfügbarkeit wichtiger Ressourcen oder Waren.
In Portugal hat sich ein Cluster entwickelt, in dem nicht nur für internationale Marken produziert, sondern auch dank EU-Förderung an innovativen Methoden von Recycling und Wiederverwertung von Textilfasern gearbeitet wird. Zu den größten Umweltbelastungen, die durch die ­Fashion-Industrie verursacht werden, zählen die Produktionsbedingungen und eben die Abfallproblematik. 7,5 Mio. Tonnen Textilmüll fallen jährlich in Europa an, weniger als ein Prozent Textilmüll wird derzeit zu neuer Kleidung recycelt, ergab eine Studie von McKinsey & Company.
Da in vielen Textilien unterschiedliche Materialien zum Einsatz kommen, ist es bisher technisch aufwendig und damit teuer, die Fasern wieder zu trennen und erneut zu nutzen. Das soll sich in Zukunft ändern, wozu auch regulatorische Vorgaben führen könnten. Die EU-Kommission will künftig Öko-Vorgaben für Baustoffe und Textilien machen. Mit Fast Fashion, der schnellen Produktion von immer neuen Kollektionen in Billiglohnländern, die Berge von ungetragener, aber weggeworfener Kleidung verursacht, soll schon 2030 Schluss sein.
Textilien stehen in der Liste der Produkte mit dem höchsten CO2-Ausstoß auf Rang vier. Das Bewusstsein dafür steigt auch unter Verbraucherinnen und Verbrauchern, eine Ausprägung davon ist der aktuelle Boom von Second-Hand-Mode. Symbolischer Ausdruck dessen war der Pop-up-Store des Berliner Händlers Humana in der Friedrichstraße. Der Gedanke hinter dem Geschäftsmodell von Humana und ähnlichen Anbietern gibt dem Megathema Nachhaltigkeit eine praktische Dimension: Wiederverwendung bringt viel größere CO2-Einsparungen als Recycling. Was bisher eine Nische für Überzeugte war, wird immer mehr vom Mainstream eingemeindet. Viele Marken, inklusive einiger Fast-Fashion-Anbieter, widmen sich verstärkt dem Thema Kreislaufwirtschaft. Sie sammeln in ihren Geschäften gebrauchte Kleidung ein, etablieren eigene Upcycling-Stores und führen Informationskampagnen zu nachhaltiger Mode.
Mit „Zalando Pre-Owned“ launchte der Berliner E-Commerce-Riese 2020 einen eigenen Second-Hand-Marktplatz, der mittlerweile in 13 Ländern angeboten wird. Besonders während der Corona-Lockdowns erfuhr der Onlinehandel mit gebrauchter Kleidung einen Boom, die Marktzuwächse werden auf 15–20 Prozent jährlich beziffert. „Die weltweite Nachfrage nach neuwertiger gebrauchter Mode befindet sich auf einem gewaltigen Aufwärtstrend. Da ist noch viel Luft nach oben für uns“, lässt sich Torben Hansen, Vice President Recommerce bei Zalando, zitieren.
Von Dr. Mateusz Hartwich