Fokus | Interview
„Schule muss ganz neu gedacht werden“
Dorothee und Matthias Frankenstein bilden intensiv aus, um den Fachkräftebedarf von Mercedöl zu sichern. Mit den Mathe- und Deutsch-Kenntnissen der Bewerber sind sie oft unzufrieden.
Dorothee und Matthias Frankenstein erklären die Eckpunkte ihrer Ausbildungsstrategie: Das Engagement der Mitarbeiter und Ausbilder spielt dabei eine besondere Rolle
© Amin Akhtar
Das Heizungs- und Sanitärunternehmen mf Mercedöl GmbH hat 30 Prozent der Belegschaft selbst ausgebildet. Geschäftsführer Matthias Frankenstein und Ausbildungschefin Dorothee Frankenstein wissen, wie sie auch in Zeiten des Arbeitskräftemangels guten Nachwuchs finden und Defizite aus der Schule beseitigen können.
In Zeiten der Wärmewende ist die Nachfrage nach neuen Heizungen groß. Steigt damit auch Ihr Bedarf an Auszubildenden?
Matthias Frankenstein: Wir haben bereits durchschnittlich 25 Auszubildende in fünf Ausbildungsberufen im Betrieb. Tendenziell bräuchten wir noch mehr, das stimmt. Wir hatten auch schon mal 30 Azubis. Aber das erfordert dann auch mehr Ausbilder, um optimal ausbilden und auf die Bedürfnisse der Auszubildenden eingehen zu können. Nicht jeder Monteur ist aber geeignet, Auszubildende zu führen.
Welche Tendenz sehen Sie bei den Bewerberinnen und Bewerbern hinsichtlich der Qualifikation?
Dorothee Frankenstein: Früher habe ich öfter noch Leute mit der erweiterten Berufsbildungsreife genommen. Aber wir haben festgestellt, dass mit diesem Bildungsstand in Mathematik, Physik und Deutsch die Ziele in unseren Ausbildungsberufen häufig nicht erreicht werden. Die Berufe sind zu anspruchsvoll. Der Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik beispielsweise fasst heute das zusammen, was früher in zwei Ausbildungsberufen über dreieinhalb Jahre gelehrt wurde. Hinzu kommen neue Themen aus den regenerativen Energieformen. Das ist sehr umfänglich geworden.
Deshalb fordern Sie heute den Mittleren Schulabschluss?
Dorothee Frankenstein: Ja, wir machen bessere Erfahrungen mit Auszubildenden, die mit einem MSA kommen. Wir merken aktuell aber, dass in den Corona-Jahren auch die Mittleren Schulabschlüsse nicht so wie früher durchgeführt worden sind. Da fehlt mitunter einiges an Schulbildung. Es geht aber nicht nur darum, sondern auch um die emotionale und soziale Begleitung, die jungen Menschen in der Schule nicht mehr den Rahmen gibt, den wir im Berufsalltag brauchen. Pünktlichkeit, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit – wir sind jetzt stark dabei, unseren Azubis diese Werte mit auf den Weg zu geben.
Matthias Frankenstein klärt mit Mitarbeiter Mykola Schaefer technische Fragen
© Amin Akhtar
Wie machen Sie das?
Matthias Frankenstein: Indem wir sie sehr intensiv begleiten und schnell Feedback zu ihren Leistungen geben. Wenn sie zu spät kommen, erklären wir sofort, warum das nicht geht. Wenn sie in der Berufsschule den Unterricht stören, holen wir sie in den Betrieb und sagen ihnen, dass es so nicht funktioniert. Es gibt für alle eine Einzelbetreuung durch einen Ausbilder und dazu noch ein Team von fünf Mitarbeitern, die jeweils für einen Ausbildungsberuf zuständig sind und ebenfalls engen Kontakt zu Ausbildern und Azubis halten.
Also müssen Sie die Soft Skills beibringen?
Dorothee Frankenstein: Ja, alle unsere Azubis fangen gleich mit Aufgaben an, die wirklich notwendig sind und den Kundenkontakt mit sich bringen. Unsere kaufmännischen Azubis gehen auch ans Telefon oder koordinieren Termine. Sie sind wirklich überall mit dabei und erfahren, wie das Berufsleben funktioniert. Damit lernen sie von Anfang an, mit einem anderen Stress-Level umzugehen. Den Umgang mit Stress sowie gute und schnelle Entscheidungen zu treffen, beherrschen viele in der Generation zunächst nicht besonders gut. Wir suchen immer wieder Situationen, in denen wir das trainieren können.
War das früher besser?
Matthias Frankenstein: Es war anders. Wir müssen anders auf die Generation eingehen.
Dorothee Frankenstein: In der Erziehung der Eltern, die noch den Krieg und die Zeiten des Wirtschaftswunders erlebt haben, ging es um Aufbau. Die Elterngeneration der heutigen Azubis ist zum Beispiel von den Ereignissen des 11. September in New York geprägt. Die Kinder sind stärker beschützt worden. Zudem sind die Eltern für sie ständig über das Handy erreichbar. Die Jugendlichen müssen häufig keine eigenen Entscheidungen mehr treffen. Wenn es ein Problem gibt, können sie jederzeit Mama oder Papa anrufen. Sie haben deutlich weniger Erfahrungen mit Stresssituationen.
Welche positiven Fähigkeiten erleben Sie bei den heutigen Azubis?
Matthias Frankenstein: Im Umgang mit der Technik sind sie schon sehr weit und in der Regel sehr breit aufgestellt, und sie gehen mit diesen Möglichkeiten auch sehr kreativ um. Wir merken das auf den Baustellen. Ältere Monteure haben weniger Erfahrungen mit elektronischen Endgeräten. Wir merken, dass dann oft Azubis kommen und zeigen, wie es geht. Wenn es zum Beispiel darum geht, über Google nach Bedienungsanleitungen zu suchen, sind die Jungen einfach schneller. Da ergänzen sich die Generationen, das schweißt zusammen.
Von den Schulen erwarten Sie ja, dass die Azubis lesen, schreiben und rechnen können. Hat Corona auch da die Qualität verringert?
Dorothee Frankenstein: Das ist auch vor Corona schon schlechter geworden. Wir merken jetzt, dass die Lehrer fehlen. Es gibt viele Unterrichtsausfälle, gerade auch an den Berufsschulen. Die Rechtschreibung leidet auch unter der Digitalisierung. Bei einer Whatsapp-Nachricht wird nicht auf Kommata oder Groß- und Kleinschreibung geachtet. In den Berufsschulen wird das auch nicht mehr korrigiert, dafür haben die Lehrer keine Zeit mehr. Wenn sie das in die Bewertung miteinbeziehen würden, würde gar keiner mehr durchkommen.
Und wie sieht es beim Rechnen aus?
Dorothee Frankenstein: Die Jugendlichen müssen nichts mehr im Kopf rechnen, da sie alles auch auf dem Handy berechnen können. Das Gehirn wird anders trainiert. Das hört sich jetzt aber viel zu negativ an. Ich glaube, das sind auch normale Entwicklungen im Wandel der Zeit. Schon Platon soll zu seiner Zeit vor der jungen Generation gewarnt haben, weil er glaubte, sie würde die Gesellschaft in eine Katastrophe führen. Und das Gegenteil ist passiert.
Holen die jungen Menschen im Beruf viele Bildungsdefizite auf?
Matthias Frankenstein: Ja, ich denke schon. Alle, die bei uns die Ausbildung absolvieren und bei uns arbeiten, sind total coole, tolle, junge Menschen, die viele und vor allem ganz neue Potenziale haben. Die brauchen wir, um die Herausforderungen, die auf uns zukommen, zu bewältigen.
Dorothee Frankenstein hilft der Auszubildenden Anja Diehl bei ihrer Arbeit
© Amin Akhtar
Wie unterstützen Sie konkret die Auszubildenden, wenn Sie Defizite aufspüren?
Dorothee Frankenstein: Wir unternehmen sehr viel, um auf die Prüfungen vorzubereiten. Für alle, die Nachhilfe in Deutsch oder Mathematik benötigen, suche ich die richtigen Institutionen, damit die Lücken behoben werden können. Im technischen Bereich sind unsere Meister sehr engagiert. Für die Prüfungen im Dezember organisieren wir mit ihnen ab September eine intensive Vorbereitung mit Theorie- und Praxis-Trainings ein- bis zweimal pro Woche abends nach der Arbeit.
Wie werden diese Angebote angenommen?
Dorothee Frankenstein: Das ist sehr gemischt. Manche finden das ganz toll und nehmen das sehr begeistert an. Andere meinen, dass sie das nicht brauchen. Da machen wir auch erst Druck, wenn wir sehen, dass die Prüfungen gefährdet sind. Wir setzen grundsätzlich auf Eigenverantwortung. Hilfe leisten wir auch, wenn es zu persönlichen Problemen kommt. Wenn die für uns zu groß sind, suchen wir geeignete Ansprechpartner. Wenn aber jemand einen Coach nicht in Anspruch nehmen möchte, können wir ihn nicht zwingen.
Matthias Frankenstein: Wir schaffen außerdem einen finanziellen Anreiz: Unsere Auszubildenden verdienen sich bei guten Leistungen 50 Euro im Monat dazu. In die Beurteilung fließt zum Beispiel der Notendurchschnitt in der Berufsschule, die Benotung des jeweiligen Ausbilders und die Pünktlichkeit ein.
Das Resultat Ihrer Bemühungen ist eine sehr hohe Quote an Mitarbeitenden, die in der Firma ausgebildet wurden. Wie hoch ist diese Quote heute?
Dorothee Frankenstein: Sie ist sehr konstant bei etwa 30 Prozent. Das ist tatsächlich sehr hoch, und darauf legen wir auch großen Wert. Sehr stolz sind wir auch darauf, dass einige Mitarbeitende bei uns schon in dritter Generation arbeiten – sowohl im kaufmännischen als auch im technischen Bereich. Also schon deren Großväter waren bei uns tätig.
Matthias Frankenstein: Darin spiegeln sich auch unsere Werte als Familienunternehmen wider, die uns sehr wichtig sind. Wir leben das auch in der Unternehmensführung vor. Mit meinem Sohn Mark steht schon der Nachfolger aus der dritten Generation fest. Auch wenn wir mit 170 Mitarbeitern schon recht groß geworden sind, ist es trotzdem noch so, dass wir füreinander da sein wollen. Das heißt: Wir versuchen auch zu helfen, wenn die Auszubildenden mal Stress zu Hause haben.
Haben Sie eine Idee, wie man das Niveau in puncto Lesen, Schreiben, Rechnen verbessern kann?
Dorothee Frankenstein: Ich glaube, dass Schule neu gedacht werden muss. Wir können nicht einfach nur auf die neue Generation schimpfen. Die Frage ist, ob wir uns auf die Neuen richtig einstellen. Mich stört die Haltung, dass nur wir richtig sind und die neue Generation komplett falsch ist. Wir müssen verstehen, was junge Menschen brauchen, um gut lernen zu können. Sie sind mit dem Handy aufgewachsen. Ihre Synapsen sind anders vernetzt. Sie brauchen ein anderes Lernen. Es gibt Schulen, die das während Corona sehr innovativ und toll gemacht haben, indem sie – wenn auch nur online – die Schüler abgeholt und Schule spannend gestaltet haben.
Von Michael Gneuss