Auf den Punkt

Bewegungslosigkeit ist Kapitulation

Der Klimawandel ist real, der Zinsanstieg auch – ­in Angststarre zu verfallen, hilft allerdings niemandem. Eine Beobachtung am Ku’damm, die fast real ist.
Meinung
In der Kolumne „Auf den Punkt“ ­positionieren sich im ­monatlichen Wechsel Mitglieder des ­Präsidiums zu wirtschaftspolitischen ­Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht.
Berlin schläft nie, und Berlin steht niemals still. Während ich bei 34 Grad über den Ku’damm zu einem Termin hetze, ist auf der Straße kaum ein Durchkommen: Die Gehsteige sind voll, ein Wuseln und Rennen. Diese positive Unruhe; jederzeit kann etwas Spannendes passieren – deswegen liebe ich Berlin.
Plötzlich sehe ich eine Menschentraube vor mir: Was gibt es dort zu sehen? Es sind Menschen, die mucksmäuschenstill auf der Straße stehen. Keine Bewegung. Vielleicht Klima-Kleber, denke ich mir und will schon weiterlaufen. Doch beim genaueren Hinsehen fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es sind Investoren. Eindeutig. Hier ein Wagniskapitalgeber. Da noch einer, den kenn ich doch. Da drüben all die Großen aus der Immobilienbranche. Sie stehen still.
„Entschuldigung. Ist das eine Angststarre?“, spreche ich einen an. Er versucht, mir auszuweichen, aber will seinen Platz nicht verlassen. „Steigende Zinsen. Stellen Sie sich lieber zu mir“, zischt er mir plötzlich zu. Ein anderer flüstert: „Bald explodiert alles. Nur nicht zu früh rühren. Wir erwarten das Geschäft unseres Lebens.“ Er erinnert mich an eine Katze, die auf einen Singvogel lauert. „Start-ups funktionieren nicht mehr. Wir brauchen radikale Veränderung“, flüstert mir ein anderer zu, ohne zu blinzeln oder sich nur einen Millimeter zu rühren. Ich bin irritiert, aber auch beeindruckt. „Und wie lange wollen Sie hier noch so stehen?“, frage ich die erstarrten Investoren. „Wahrscheinlich zwei Jahre. Wahrscheinlich, bis die Zinsen wieder fallen.“ Ich sehe Ratlosigkeit in den erstarrten Gesichtern; keiner weiß eine Antwort. Irgendwie tun sie mir fast schon leid. Da fällt es mir ein – das muss es sein: „Sie haben sicherlich Geld-Sorgen?!“, frage ich und bekomme Mitleid mit den Bewegungslosen. Die Katze antwortet als Erstes: „Geld-Sorgen? Nein, Geld ist doch da. Genug Geld ist im Markt. Wir haben bis Ende 2025 ausgesorgt. Aber danach ... Oha… Ziehen Sie sich lieber warm an.“ Bei der Warnung fällt mir wieder ein, dass wir heute den heißesten Tag des Jahres haben. Wir stehen in der prallen Sonne. Ich verabschiede mich von den Investoren und hetze weiter den Ku’damm entlang.
Schlauer bin ich nicht. Eine Lösung habe ich auch nicht. Ich denke an die Bewegungslosen in der Sonne und hoffe, dass sie zumindest gut eingecremt sind. LSF 50. Besser wäre es aber, wenn sie in den Schatten gingen. Noch besser wäre es, wenn sie zu den Investments in Innovation und Nachhaltigkeit laufen; oder rennen. Der Klimawandel ist real. Bewegungslosigkeit hilft keinem – gut, dass die meisten Berliner nicht vom Wuseln abzuhalten sind. Unsere positive Unruhe lassen wir uns nicht nehmen, da müssten sie uns schon festkleben!
Von Dr. Caroline Heil
Vorständin der New Meat Company AG und Mitglied des IHK-Präsidiums