Fokus | Interview
„Ein Wasserversorger ist attraktiv für Talente“
Auch die Berliner Wasserbetriebe kämpfen mit dem Fachkräftemangel. Kerstin Oster ist froh, dass ihr Unternehmen frühzeitig eine Demografie-Strategie entwickelt hat.
Kerstin Oster ist im Vorstand der Berliner Wasserbetriebe unter anderem für Personal zuständig. Sie muss dafür sorgen, dass die Wasserver- und entsorgung der Hauptstadt auch noch funktioniert, wenn die vielen Mitarbeitenden aus den geburtenstarken Jahrgängen in den Ruhestand wechseln. Angesichts der knappen Ressourcen auf dem Arbeitsmarkt ist das keine leichte Aufgabe. Doch Lösungen sind vorhanden.
Kerstin Oster macht sich für die Berliner Wasserbetriebe als Arbeitgebermarke stark. Das Foto zeigt sie in der Eingangshalle des Unternehmens.
Kerstin Oster | Vorständin für Personal, Soziales und Digitalisierung: Seit Januar 2015 ist Kerstin Oster im Vorstand der Berliner Wasserbetriebe tätig. Davor war sie Geschäftsführerin der Business Unit Broadband Network Solution/Telekom Networks bei der Tyco Electronics AMP GmbH.
© Amin Akhtar
Berliner Wirtschaft: Müssen wir uns Sorgen machen, dass eines Tages keiner mehr da ist, der noch weiß, wie eine Vier-Millionen-Metropole mit sauberem Wasser versorgt werden kann?
Kerstin Oster: Nein, das müssen Sie nicht. Aber klar, wir sind grundsätzlich genauso vom Fachkräftemangel betroffen wie andere Unternehmen auch. Es ist heute schwer für uns, Expertinnen und Experten zu gewinnen und unsere offenen Stellen zu besetzen, insbesondere für die aus den IT-Berufen und dem Ingenieurwesen. Mehr und mehr gilt das aber auch für andere Fachkräfte bis hin zur Besetzung der Ausbildungsplätze. Glücklicherweise haben wir schon vor sieben Jahren begonnen, mit einer Demografie-Strategie dem Fachkräftemangel zu begegnen. Deshalb setzen wir zeitgemäße Recruiting-Maßnahmen ein.
Schaffen Sie es noch, alle Positionen zu besetzen?
Ja, aber mit wesentlich höherem Aufwand. Wir müssen mit deutlich längeren Besetzungsfristen rechnen, führen viel mehr Bewerbungsgespräche und erhalten viel schneller und deutlich mehr Absagen. Die Wasserbetriebe arbeiten mittlerweile noch intensiver mit Personaldienstleistern zusammen – auch für Positionen, die wir früher niemals mit Headhuntern besetzt hätten.
Was genau unternehmen Sie im Rahmen Ihrer Demografie-Strategie?
Uns war schon lange klar, dass wir eine Demografie-Strategie brauchen. Bis zum Jahr 2030 werden uns 1.200 Mitarbeitende in den wohlverdienten Ruhestand verlassen – von insgesamt 4.500 Beschäftigten. Wir haben daher schon im Jahr 2016 die Zukunftsstrategie „Fit for Change“ entwickelt. Gleichzeitig haben wir die wichtigsten Schlüsselfunktionen ausfindig gemacht und dort, wo Abgänge zu erwarten sind, Positionen doppelt besetzt, damit ausreichend Zeit besteht, das Know-how weiterzugeben.
Da es in Berlin nur einen Wasserversorger gibt, droht andernfalls Know-how unwiederbringlich verloren zu gehen.
Das ist ein wichtiger Punkt. Und deshalb nehmen wir auch das Wissensmanagement sehr ernst. Wir nehmen Videos auf, legen Know-how in Datenbanken ab, protokollieren viele Vorgänge. Dieses Wissensmanagement lassen wir auch professionell begleiten.
Welche Maßnahmen gehören außerdem zu Ihrer Demografie-Strategie?
Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Berliner Wasserbetriebe als eine attraktive Arbeitgebermarke zu stärken, und nutzen dafür auch sehr erfolgreich soziale Medien. Auf Instagram und Xing lässt sich das sehr gut sehen. Auf LinkedIn auch, hier bin ich auch selbst als Markenbotschafterin unterwegs und werbe um die besten Köpfe für die Wasserbetriebe. Und natürlich haben wir den Recruiting-Bereich ausgebaut, optimiert und darin auch neue Rollen geschaffen. Wir tun außerdem viel für die Vielfalt in unserem Unternehmen und beschäftigen mittlerweile Mitarbeitende mit 34 Nationalitäten.
Kerstin Oster macht sich für die Berliner Wasserbetriebe als Arbeitgebermarke stark.
© Amin Akhtar
Sehen Sie die Tatsache, dass Sie als landeseigener Betrieb gegen private Unternehmen im Werben um Fachkräfte konkurrieren, eher als Vor- oder als Nachteil?
Wir sind eine Anstalt des öffentlichen Rechts, haben aber in den vergangenen Jahren einen spürbaren Modernisierungsschub hinter uns gebracht. Viel entscheidender als die Frage, ob wir öffentlich oder privat sind, ist in dieser Hinsicht etwas anderes: nämlich die Aufgabe, die wir für diese Stadt erfüllen. Und da muss ich sagen: Wir passen absolut in die Zeit, weil wir ein innovatives Umwelt-Unternehmen sind. Unser Element, das Wasser, muss nachhaltig sein. So gesehen haben wir einen ganz wichtigen Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt. Ein Wasserversorger ist attraktiv für Talente.
Spüren Sie in Bewerbungsgesprächen, dass Talente gezielt für nachhaltige Unternehmen arbeiten wollen?
Ja, sie legen Wert auf eine sinnstiftende Aufgabe. Und genau das ist die Wasserversorgung und -entsorgung für eine Hauptstadt mit fast vier Millionen Bürgern. Viele legen auch Wert auf Entwicklungsmöglichkeiten und Sicherheit, das können wir als Landesunternehmen auch bieten. Es wird auch Wert darauf gelegt, in einem innovativen Unternehmen zu arbeiten, das in Sachen Digitalisierung den Vergleich mit der Privatwirtschaft nicht scheuen muss.
Welche Rolle spielt das Geld?
Zahlreiche Studien und Gespräche zeigen uns, dass vielen jungen Menschen die flexible Gestaltung ihres Berufslebens wichtiger ist als die Bezahlung. Deshalb bieten wir ganz viele unterschiedliche Arbeitszeitmodelle von Teilzeit bis zum Sabbatical an. Wir zahlen zudem geschlechterneutral. Der Gender-Pay-Gap in der Grundvergütung ist bei uns null. In diesem Jahr führen wir erstmals eine erfolgs- und leistungsorientierte Vergütung ein. Das wird von jungen Talenten oft gefordert und ist sehr zeitgemäß. Und nicht zu vergessen: Wir haben einen sehr starken Tarifvertrag, der die Basis all dessen bildet.
Wie besorgt sind Sie, dass die jungen Menschen, die jetzt das Know-how der Mitarbeitenden aus den Babyboomer-Jahrgängen in Ihrem Unternehmen übernehmen, bald auch wieder weiterziehen? Der jungen Generation wird ja eine höhere Wechselbereitschaft nachgesagt.
Auch wir beobachten einen leichten Anstieg der Fluktuation, die mittlerweile über vier Prozent liegt. Dem wollen wir natürlich entgegenwirken. Wir haben daher einen Onboarding-Prozess eingeführt. In den ersten vier Wochen lernen alle Neuen alle wichtigen Bereiche und Kontaktpersonen kennen. Angeblich finden innere Kündigungen ja in den ersten vier Wochen statt. Insofern ist die Phase so wichtig für uns.
Seit der Corona-Pandemie erwarten Mitarbeitende die Möglichkeit, im Homeoffice arbeiten zu können. Wie gehen Sie damit um?
Wir haben uns darauf eingestellt. Mobiles Arbeiten ist Standard bei uns. Unsere Dienstvereinbarung sieht vor, dass man bis zu drei Tage in der Woche außerhalb des Büros arbeiten darf. Aber zwei Tage in der Woche muss man im Unternehmen sein, sonst geht uns der Zusammenhalt verloren. Und wir dürfen auch die nicht vergessen, die den Laden am Laufen halten und das nicht vom Homeoffice aus können.
Diese beiden Tage im Unternehmen brauchen Sie zur Bindung der Mitarbeitenden?
Wir haben in den vergangenen drei Jahren gesehen, dass mobiles Arbeiten funktioniert. Es ist weiterhin sauberes Wasser aus dem Hahn gekommen, das Abwasser ist weiter entsorgt worden. Wir haben auch weiterhin stark investiert. Wir brauchen aber Strukturen und Regeln. Daran arbeiten wir in Abstimmung mit der Arbeitnehmervertretung. Nach einem Jahr werden wir uns zum Beispiel die Dienstvereinbarung noch einmal vornehmen und Erfahrungen auswerten. Uns ist der persönliche Austausch im Unternehmen auf jeden Fall ganz wichtig – gerade mit denen, die kurz vor der Pandemie zu uns gekommen sind.
Kerstin Oster spricht im Interview mit Redakteur Michael Gneuss über ihre Demografie-Strategie
© Amin Akhtar
Weil die Bindung an das Unternehmen in diesen Fällen besonders schwer ist?
Ja, diejenigen, die in dieser Zeit bei uns begonnen haben, konnten nur über das Homeoffice an die Wasserbetriebe gebunden werden. Sie konnten daher nicht so ins Unternehmen eintauchen, dass sie den familiären Charakter der Wasserbetriebe kennengelernt haben. Aber nach diesen Mitarbeitenden haben wir lange gesucht, wir haben viel in sie investiert und wollen sie möglichst lange behalten.
Werden Sie versuchen, Arbeitnehmer, die eigentlich in den Ruhestand wechseln würden, länger zu binden?
Das ist in Einzelfällen nicht auszuschließen. Aber grundsätzlich ist die Verjüngung der Organisation unser Ziel. Wir haben jetzt einen Altersdurchschnitt von 47,8 Jahren. Vor einigen Jahren lag er noch über 50. Seit 2017 haben wir mehr als 1.000 neue Beschäftigte eingestellt; mit einem Durchschnittsalter von 36 Jahren, inklusive der Auszubildenden. Diesen Weg wollen wir weitergehen. Wir wollen noch jünger werden, es geht schließlich um die nächsten 50 Jahre der Berliner Wasserbetriebe.
Sie haben es als Frau in das Führungsgremium der Wasserbetriebe geschafft. Haben Sie spezielle Maßnahmen, mit denen Sie Ihre Kolleginnen fördern?
Das ist eines meiner Herzensthemen. Wir haben tolle Erfahrungen mit dem Programm „Female Leadership“ gemacht. Dabei haben wir 45 Frauen, die bereits in Führungspositionen arbeiten oder sich dafür interessieren – bisher aber teils ganz unterschiedliche Wege gegangen sind –, zusammengebracht und neue Netzwerke initiiert. Wir haben erlebt, wie daraus eine unglaubliche Energie im Unternehmen entstanden ist. Das wollen wir fortsetzen.
von Michael Gneuss