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Berlins Verwaltung soll moderner, digitaler und leistungsstärker werden. Um überfällige Entwicklungen voranzutreiben, setzen IHK und Berliner Wirtschaft auf partnerschaftliche Projekte.
An Erkenntnisgewinn mangelt es nicht: „Unsere Stadt braucht eine zukunftsweisende und lernende Verwaltung, die agil handelt und resilient aufgestellt ist. Deshalb ist es notwendig, die grundlegende Reform der Berliner Verwaltung zügig voranzutreiben – für eine auf allen Ebenen funktionierende, zukunfts- und handlungsfähige Stadt. Dabei denken wir Verwaltung konsequent aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft.“ Welch hohen Stellenwert eine funktionierende Verwaltung für den neuen Senat hat, zeigt – zumindest in der Theorie - der Ende April 2023 unterzeichnete Koalitionsvertrag. Gleich nach der Präambel widmen sich die Autoren diesem Thema. Doch um „Für Berlin das Beste“ zu erreichen, drängt die Zeit.
Für IHK-Präsident Sebastian Stietzel wird mit Blick auf die Berliner Verwaltung zunehmend die Frage laut, ob Berlin überhaupt in der Lage ist, seine Governance-Probleme zu lösen. „Die bis zum Jahr 2020 erfolgten hoffnungslosen Ansätze dazu werden mittlerweile in Jahrzehnten gezählt. Hier laufen wir einer tiefen Vertrauenskrise in die Funktionsfähigkeit der Stadt und einer Politikverdrossenheit der Stadtgesellschaft entgegen, was unbedingt verhindert werden muss.“
Die Problemfelder seien längst bekannt: „Die unklare Zuordnung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten zwischen der Landes- und Bezirks-ebene bewahren eine dysfunktionale Entscheidungs- und Umsetzungsstruktur.“ Die angespannte Personalsituation von aktuell 7.000 unbesetzten Stellen werde durch 40.000 altersbedingte Abgänge bis 2031 sowie jährlich rund 1.000 persönlich motivierte Kündigungen verschärft. „Hier spielt auch die schleppende Digitalisierung eine Rolle, denn mehr digitale Prozesse benötigen weniger Personal, steigern die Effizienz der Abläufe sowie die Arbeitgeberattraktivität der Verwaltung – viel Potenzial, was an dieser Stelle fahrlässig verschenkt wird.“ Das Dilemma wird aus ­Stietzels Sicht durch eine althergebrachte Beschaffungs- und Vergabepraxis abgerundet, die sich nicht offen für Unternehmen zeigt, die innovative Entwicklungen und praxiserprobte Lösungen für die Berliner Verwaltung und die Stadt bereithalten.
Teil der Lösung will die Berliner Wirtschaft sein. So berät und begleitet der nach der Wahl des neuen IHK-Präsidiums im Jahr 2022 gegründete Ausschuss „Funktionierende Stadtverwaltung“ Vollversammlung und Präsidium der IHK Berlin bei der Verwaltungsmodernisierung und -digitalisierung. Er unterstützt bei der politischen Positionsfindung und dem Vorantreiben wichtiger Projekte gegenüber dem Senat. Der Ausschuss identifiziert Best- und Worst-Practice-Beispiele von Unternehmen sowie erfolgreiche Lösungen anderer Kommunen im In- und Ausland.
Gemeinsam mit einem Expertenteam aus Vertreterinnen und Vertretern der Wirtschaft, Wissenschaft und Fachöffentlichkeit erarbeitete die IHK Berlin einen Businessplan mit dem Titel „Funktionierende Stadt“, in dem ein Expertenteam diverse Bedarfsfelder identifizierte, um eine leistungsstarke, moderne und digitale Berliner Verwaltung zu formen. Bedarfsfelder sind:
  • Politische Strukturoptimierung
  • Automatisierung/Digitalisierung, Service-Optimierung
  • Innovative Vergabe/Datennutzung
  • Personalgewinnung, -entwicklung und -führung
Der Businessplan beschreibt für jedes Bedarfsfeld diverse Produkte, etwa die Gründung eines Serviceteams Innovative Beschaffung, nennt Key Performance Indicators (KPIs), mit denen der Erfolg des Produkts gemessen werden kann, definiert zudem Ansätze, wie das Thema operativ umgesetzt werden kann und welche Stakeholder und Partner eingebunden werden können. Und: Der Businessplan benennt die benötigten Ressourcen, etwa bei Personal und Finanzen.
Wie die gesamte Wirtschaft kämpft auch die Berliner Verwaltung mit Fachkräftemangel. Und der wird gravierender. In Zahlen: Mehr als ein Drittel der Berliner Verwaltungskräfte geht bis 2029 in den Ruhestand. „Bei der Zusammenarbeit mit Verwaltungsmitarbeitenden beobachte ich immer wieder eine sehr hohe Motivation, für das Gemeinwohl tätig zu sein. Gleichzeitig stelle ich eine Art Verwaltungsscham fest, ein Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass man technisch, prozessual und methodisch völlig unzureichend ausgestattet ist“, sagt Daniela Hensel, Partnerin bei der Berliner Why do birds GmbH, die sich mit 30 Beschäftigten auf Service-Design, Audio Branding und Motion Branding spezialisiert hat. Zu ihren Kunden zählen auch öffentliche Auftraggeber wie Deutsche Bahn und die BVG.

Service-Design: Vorbild Großbritannien

Die Erfahrungen aus der Wirtschaft, unter anderem mit Projekten rund um Service-Design, bringt die Managerin auch in ihre Professur an der HTW Berlin ein. „Beim Service-Design geht es darum, Dienstleistungen und Prozesse so zu gestalten, dass sie sich an den Bedürfnissen und Erwartungen der Nutzer ausrichten, um die Nutzererlebnisse zu verbessern.“ Das Ausland sei in dieser Hinsicht schon viel weiter, etwa Großbritannien, wo es zum Beispiel gelungen sei, Rentenbescheide zu entwickeln, die den Bürgern einen echten Informationswert bieten und nicht nur ein Zahlenwirrwarr. Um Verwaltung neu zu denken, will ein neuer Studiengang an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Methoden unter anderem auf dem Gebiet des Service-Design vermitteln. Auch die Verwaltungsakademie könnte entsprechende Methoden lehren und als Multiplikator dienen, so Hensel. Der Einsatz solcher Methoden könne aber nur gelingen, wenn sich das Mindset in der Verwaltung wandele und man bereit sei, Prozesse umzustellen. Es mangele an Führungskräften, die motivieren und den Raum für persönliche Weiterentwicklung schaffen. Hensels Fazit: „Wenn es in Zeiten des harten Wettbewerbs um die besten Kräfte nicht gelingt, eine Atmosphäre zu schaffen, in denen sich High-Performerinnen und High-Performer geschätzt und motiviert fühlen, sehe ich nicht, wie der Turnaround gelingen soll.“ Nur dann könne man auch Quereinsteiger für die Verwaltung begeistern.

Wirtschaft erwartet Umsetzungstempo

Für IHK-Präsident Sebastian Stietzel gilt es keine Zeit mehr zu verschwenden. „Die Berliner Wirtschaft erwartet nun Umsetzungstempo von der Politik. Der Senatsbeschluss vom Februar 2023 bietet dafür längst eine hervorragende Grundlage.“ Konkret fordert Stietzel:
  • Eindeutige Zuordnung der Verwaltungsaufgaben heißt, gesamtstädtische Steuerung und Politikfelder mit berlinweiter Relevanz gehören auf die Landesebene und starke Umsetzungskompetenz auf die Bezirksebene.
  • Notwendige verfassungsändernde Maßnahmen wie die Einführung der Fachaufsicht sowie der Richtlinienkompetenz für die Bezirksoberhäupter dürfen nicht mit Tabus belegt sein.
  • Die Verwaltung muss sich zu einem begehrten Arbeitgeber für junge Nachwuchskräfte und Quereinsteiger entwickeln – auch durch die zügige Modernisierung und Digitalisierung der Verwaltungsprozesse.
  • Die Digitalisierung wird nur funktionieren, wenn das IT-Dienstleistungszentrum (IDTZ) als zentraler Dienstleister des Landes für Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) mit einer eindeutigen Aufgabenstellung und dem erforderlichen Budget ausgestattet wird.
  • Deutlich mehr Mut und Entschlossenheit braucht es auch in der öffentlichen Auftragsvergabe. Hier muss ein Ruck durch die Reihen von Politik und Verwaltung gehen, indem sich die Hausspitzen und Führungskräfte deutlich zu mehr innovativen Lösungen aus der Wirtschaft für Stadt und Verwaltung bekennen und ihren Mitarbeitern dafür den Rücken stärken. Darauf aufbauend und mit den erforderlichen fachlichen Kompetenzen und mehr zeitlichen Ressourcen für Beschaffungsprozesse ausgestattet, kann die Stadt ihre Chance wahrnehmen, ihre Leistungs- und Servicefähigkeit auf ein wettbewerbsfähiges Niveau heben.
von Eli Hamacher