Fokus
„Daten sind eine elementare Ressource“
Gudrun Sack und Dr. Stefan Höffken wollen eine Open-Data-Strategie zum zentralen Element des neuen Quartiers auf dem Ex-Flughafenareal in Tegel machen – für Unternehmen ein weiterer Anreiz zur Ansiedlung.
Seit einem Jahr entwickeln Gudrun Sack, Geschäftsführerin, und Dr. Stefan Höffken, Leiter Digitalisierung, mit der Tegel Projekt GmbH die Nachnutzung des früheren Berliner Airports. Dabei planen sie, dass Daten die Arbeit, das Wohnen, das Forschen und auch das öffentliche Leben und die Natur viel effizienter gestalten werden. Das Areal in Tegel wird damit auch zum Vorbild für eine Gesamt-Berliner Datenstrategie.
Berliner Wirtschaft: Welche Rolle spielt Open Data in Tegel?
Gudrun Sack: Wenn man ein Stadtquartier der Zukunft entwickelt, ist Open Data eines der ganz zentralen Themen – wenn nicht sogar das zentrale Thema. Für Unternehmen, die sich hier ansiedeln wollen, können Daten eine ganz entscheidende Rolle spielen. Die Chance, ein so großes Quartier sehr city-nah von Grund auf ganz neu zu entwickeln, gibt es weltweit kaum. Immerhin wollen wir hier ja mehr als 20.000 Arbeitsplätze ansiedeln. Für Start-ups sowie große und kleine etablierte Unternehmen werden sich hier Möglichkeiten und Synergieeffekte ergeben, die sie anderswo nicht erhalten können.
Dr. Stefan Höffken: Open Data ist ganz wichtig, um Mehrwerte in ökonomischer Hinsicht im Quartier entstehen zu lassen. Sobald eine kritische Masse an Daten vorhanden ist, werden tatsächlich ganz neue Geschäftsmodelle möglich. Das ist natürlich vor allem für die technologiegetriebenen Unternehmen interessant, die sich hier in der Urban Tech Republic ansiedeln werden. Wir sehen das Thema Open Data aber viel breiter – auch in Richtung Open Government – und werden damit öffentliche Institutionen oder Partizipationsprozesse unterstützen. Zudem möchten wir einen Datenmarktplatz aufbauen, auf dem Daten getauscht werden können.
Sack: Daten sind eine ganz elementare Ressource für die Ökonomie der Zukunft. Und wir haben hier in Tegel die ganz große Chance, dass wir diese Daten in einem ganz neu entstehenden Wohngebiet generieren können und auch im Landschaftspark, den wir im Sinne einer Smart Nature nutzen.
Welche Unternehmen zieht die Aussicht auf diesen Datenschatz besonders an?
Sack: Grundsätzlich alle – auch oder gerade Start-ups und kleinere Unternehmen, die sich allein eine solche Datenbasis nicht verschaffen könnten. Hier muss nicht jeder ganz neu anfangen, Daten zu generieren. Der Datenmarktplatz steht allen zur Verfügung. Wir haben auf der Fläche des früheren Flughafens, die wir so vielfältig nutzen können, immense Möglichkeiten, Daten zu generieren. Das ist ein ganz großes Plus für alle, die sich hier ansiedeln – auch für Wissenschaft und Forschung.
Kann Open Data für Firmen, die sich in Tegel ansiedeln, zum Wettbewerbsvorteil werden?
Sack: Davon gehen wir aus, weil die Unternehmen Daten haben werden, die an anderen Standorten für sie nicht verfügbar sein können. Das kann ein großer Wettbewerbsvorteil werden.
Höffken: Wir zielen darauf ab, dass wir ein so großes Angebot an Daten für dieses Quartier haben werden, dass Unternehmen hier zu vielen neuen Geschäftsmodellen inspiriert werden – zum Beispiel indem über Daten die Vor- und Nachteile des Holzbaus im Vergleich zum konventionellen Bau evaluiert werden. Vielleicht werden auch neue Mobilitätsarten analysiert oder neue Konzepte für Verkehrs-träger entwickelt. Insofern ja: Daten werden zum Wettbewerbsvorteil.
Können Sie Beispiele für Anwendungsfälle nennen?
Höffken: Ein Beispiel sind Multifunktionsmasten, also mit Sensoren bestückte Straßenlaternen. Prototypisch haben wir sie bereits aufgebaut. Perspektivisch werden mehrere Hundert davon errichtet. Wenn sie angeschlossen sind, werden sie diverse Daten liefern, die wir für eine ganze Reihe von Anwendungsfällen nutzen können. Wir wollen Umgebungsdaten sammeln, zum Beispiel Umweltdaten oder die Zahl passierender Autos. Damit realisieren wir ein Park-raum-Management und steuern die Beleuchtung. Die Masten nutzen wir auch als Ladeinfrastruktur, für WLAN, 5G oder als Notrufsprechstellen.
Was verstehen Sie unter Smart Nature?
Sack: Wir werten Bilder von Drohnen aus, um zum Beispiel das Pflanzenwachstum auf dem Gelände zu analysieren. So können wir erkennen, wenn bestimmte Pflanzenarten zurückgedrängt werden. Wir haben auch schon die ersten Schafe auf dem Gelände und wollen ermitteln, ob sie die bessere Lösung für die Bewirtschaftung von Rasenflächen sind als Mähmaschinen. Digital können wir sehen, ob sie in den Biotopen noch genug Nahrung haben oder wir außerhalb des Geländes zufüttern müssen. Sehr wichtig ist uns auch eine nachhaltige Regenwassernutzung.
Auch dabei helfen Daten?
Höffken: Ja, wir wollen die Grundwassermessstellen digitalisieren. Damit erhalten wir die Basisdaten für eine Wassersimulation beziehungsweise einen digitalen Zwilling unseres Grundwassers. Um ein intelligentes Regenwassermanagement aufzubauen, werden wir auch hier Sensoren einsetzen und Wettervorhersagen in das System integrieren. Das Ziel ist unter anderem, stets möglichst viel Wasser zur Bewässerung bereitzuhalten.
Sack: Wir planen eine Stadt der Zukunft. In Zukunft rechnen wir mit massiven Trockenperioden. Deshalb wird Wasser immer wertvoller und Wassermanagement ein ganz zentrales Thema sein. Für eine intelligente Wasserversorgung und Wassernutzung sind Daten immens wichtig.
Die von Ihnen angesprochenen Themen haben für die ganze Stadt Relevanz. Kann Tegel ein Vorbild für andere Ortsteile werden?
Höffken: Ja, wir streben an, einen funktionellen Prototyp eines Data-Hubs für Berlin zu entwickeln. Gespräche mit der Innenverwaltung dazu sind weit fortgeschritten. Insofern sind wir tatsächlich ein Pilotprojekt für ganz Berlin. Das, was wir mit unserem FUTR HUB in Tegel schon jetzt aufgebaut haben, soll für Berlin dupliziert und in zwei Jahren evaluiert werden. Es ist gut möglich, dass wir unsere Erfahrungen aus Tegel auch danach für die ganze Stadt umsetzen.
Was ist der FUTR HUB?
Sack: Der FUTR HUB ist das Kompetenzzentrum für urbane Daten. Dort entwickeln wir die Datenplattform für Berlin TXL. Es gehört zu unserem Grundauftrag, mit der Entwicklung des Quartiers auch eine digitale Datenplattform für das Quartier zu entwickeln. Zum Auftrag gehört, sie mit Open Source so zu entwickeln, dass sie replizierbar und skalierbar ist. Was wir hier erarbeiten, soll auch anderswo nachgenutzt oder repliziert werden können – denn wir sind ein Innovationsprojekt.
Im Schumacher Quartier werden Sie über 5.000 Wohnungen für mehr als 10.000 Menschen bauen. Welche Bedeutung hat die Datenplattform für das Wohnquartier?
Höffken: Sie ist ganz wichtig für das Schumacher Quartier. Ich sehe uns vor allem auch als ein Vorbildprojekt für Nachhaltigkeit. Mithilfe von Daten kann zum Beispiel sehr viel präziser und effizienter die Energieversorgung im Quartier gesteuert werden. Und über einen Energie-Marktplatz lässt sich die Energie günstig abrufen, wenn viel Solar- oder Windkraft produziert wird. Hierzu möchten wir möglichst viele Daten vernetzen und bereitstellen. Daraus ergeben sich ganze neue Möglichkeiten, zum Beispiel auch für die Elektromobilität oder auch für die Öffnungszeiten von Läden oder Sharing-Konzepte für die Nutzung von Räumen.
Frau Sack, Sie sind Architektin. Welche Chancen sehen Sie aus dieser Perspektive in Tegel?
Sack: Städtebaulich liegt die große Chance in den vielen intelligenten Netzwerken, die wir durch dieses Quartier ziehen können. Zum Beispiel ein Datennetzwerk, ein ganz neues Low-Exergy-Netz zur Energieversorgung, ein modernes Straßennetzwerk. Danach erst bauen wir die Stadt in die Höhe. Eine solche Struktur so citynah realisieren zu können, ist eine einzigartige Chance – und das gemeinwohlorientiert.
Was meinen Sie damit?
Sack: Es wird kein einziger Quadratmeter Fläche auf dem Areal verkauft. Das gesamte Gelände bleibt im Eigentum des Landes. Unternehmen, die sich ansiedeln, erwerben stattdessen ein Erbbaurecht. Anderswo werden die Grundstücke eines Quartiers in der Regel veräußert. Dadurch haben Sie oft keine Einflussmöglichkeit auf die Qualität der Prozesse und können zum Beispiel die Infrastruktur nicht sinnvoll weiterentwickeln. Die Potenziale des Erbbaurechts werden oft unterschätzt. Für mich ist es die Basis, damit das Gelände langfristig ein Innovationsstandort bleiben kann.
Viele Unternehmen würden aber sehr oft lieber kaufen.
Sack: So ist es. Aber da bin ich sehr hartnäckig, da gebe ich nicht nach. Wenn Sie einmal verkaufen, dann ist es vorbei, dann müssen Sie es beim nächsten Mal auch machen. Wenn wir die Vorteile aber ausführlich erklären, wird die Idee dahinter in der Regel auch verstanden.
Wollen Sie mit dem neuen Quartier in Tegel gleichzeitig auch einen neuen deutschen Exportschlager entwickeln? Sinnvolle Lösungen für urbane Räume sind ja in allen Teilen der Welt derzeit äußerst begehrt.
Sack: Was wir hier machen, kann im europäischen Raum sicherlich ein Vorbild sein. Das ganze Projekt ist partizipativ entwickelt, gemeinwohlorientiert und in landeseigener Hand. Dieses Projekt eins zu eins an jeder Stelle der Welt nachzubauen, wird nicht möglich sein, da es immer lokale Ausgangslagen gibt. Aber man kann definitiv einzelne Elemente aus dem Konzept nehmen und anpassen. Das ist auch unser Anspruch: Berlin TXL zu einem erfolgreichen Modellprojekt zu machen – in Deutschland und darüber hinaus.
von Michael Gneuss