BW 03/2022 - AGENDA

Für die Zukunft Berlins

IHK setzt auf 3+1-Strategie – für einen nachhaltigen Neustart in den wichtigsten Handlungsfeldern
Die Corona-Pandemie bedeutet eine Zäsur für jeden Einzelnen von uns. Vielleicht haben Sie – wie auch wir – selbst schon Bilanz gezogen. Welche Umstellung der letzten beiden Jahre hat gut funktioniert und mein Leben bereichert? Woran bin ich gescheitert? Diese Pandemie ist zum Lackmustest aller unserer lieb gewonnenen Gewohnheiten und lange eingefahrenen Pfade geworden.
Das Gleiche gilt auch für unsere Geschäftstätigkeit. Wir erleben die Berliner Wirtschaft in dieser Phase widerstandsfähig und agil. Die Digitalisierung von Prozessen, die Flexibilisierung der Arbeit und das Entwickeln neuer Geschäftsmodelle haben enorm an Fahrt gewonnen. Gleichzeitig – auch das gehört zur Wahrheit – sind Unternehmen auf der Strecke geblieben oder kämpfen noch ums Überleben. Die Berliner Wirtschaft wird nach dem Ende der Pandemie ein anderes Gesicht haben. Wir haben gelernt, uns anzupassen. Uns stetig zu verbessern.
An anderer Stelle jedoch fehlt diese Anpassungsfähigkeit. Es hat sich gezeigt, dass die strukturellen Herausforderungen der Stadt nicht gelöst sind: Der latente Fachkräftemangel ist weiterhin ein großes Wachstumshemmnis und hat sich in vielen Branchen noch verschärft. Der Bildungsnotstand hat dazu sein Übriges getan. Eine Verwaltung als Servicedienstleister vermissten nicht nur viele Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Unternehmen. Die ausgebliebene Digitalisierung wichtiger Fachverfahren in der Verwaltung oder fehlende digitale Lösungen in der Pandemie machten deutlich, dass Berlin ohne eine funktionierende Verwaltung nicht zukunftsfähig sein wird. Verpasst wurden zudem eine echte Neubauoffensive und eine Mobilitätswende, die alle Verkehrsträger mitdenkt.
Mit den Wahlen in Bund und Land im letzten Herbst wurden die Karten jedoch neu gemischt. Zudem wählt die Berliner Wirtschaft im Frühjahr eine neue Vollversammlung. Es besteht damit die Chance für einen Neustart in den wichtigsten Handlungsfeldern des Landes. Jetzt geht es darum, von Anfang an die richtigen Akzente zu setzen. Das kann nur gelingen, wenn die Berliner Wirtschaft bei der Lösung der Herausforderungen der Stadt von Anfang mit am Tisch sitzt und Politik und Wirtschaft diese gemeinsam meistern.
Unsere Botschaft lautet: Wir – die Wirtschaft – sind die Lösung. Und dafür haben wir mit dem Präsidium der IHK Berlin ein Programm aufgesetzt, das als strategisches Leitmotiv im Rahmen des Arbeitsprogramms der IHK für das Jahr 2022 verabschiedet wurde. Die 3+1-Strategie zielt auf eine funktionierende Stadt, die Revolution in der Bildung sowie eine pragmatische Stadtentwicklung – alles im Zeichen der Nachhaltigkeit.
Wie jede prosperierende Großstadt dieser Welt kämpft Berlin mit den bekannten Wachstumsschmerzen: knapper Wohnraum, volle Straßen, lange Wartelisten bei der Schulanmeldung und noch längere Warteschlangen auf dem Bürgeramt. Gleichzeitig gerät die deutsche Hauptstadt bei der Lösung dieser Aufgaben nicht nur im internationalen Vergleich immer weiter ins Hintertreffen. Das müssen wir ändern.
Das Markenzeichen einer funktionierenden Stadt muss nach innen und außen die leistungsstarke und serviceorientierte Verwaltung sein. Berlinerinnen und Berliner sowie die Unternehmen der Hauptstadt erwarten endlich echte Durchbrüche bei Bürokratieabbau, digitaler Verwaltung und schlanken Prozessen. Auch die Ansiedlung neuer Unternehmen und der Zuzug führender Köpfe aus der Wissenschaft – und damit die Innovationsdynamik des Wirtschaftsstandortes – hängen von der Modernisierung der Berliner Verwaltung ab. Wenn in Berlin zudem keine Revolution in der Bildung gelingt, wird die Stadt nicht nur die „rote Laterne“ in der Bildungspolitik behalten, sondern auch auf einen immensen Personalmangel zusteuern. Genug Empfehlungen aus Expertenkommissionen und Maßnahmenvorschläge für eine Bildungsrevolution liegen längst auf dem Tisch. Sie müssen nun unter Beteiligung der Wirtschaft umgesetzt werden und dabei einen klaren Fokus auf die Steigerung von Schulqualität sowie die Einmündung in betriebsnahe berufliche und akademische Bildung legen.
Auch braucht die wachsende Stadt weniger Ideologie, sondern eine pragmatische Stadtentwicklung. Wir wollen mit begrenztem Flächenangebot und knappen Ressourcen ein lebenswertes Berlin für alle Bewohner schaffen. Eine nachhaltige Verkehrswende muss den Wirtschaftsverkehr mitdenken. Die Ausweisung von mehr Gewerbeflächen sowie eine Neubauoffensive für privaten Wohnraum sind Grundlage künftigen Wachstums. Eine moderne (Netz-)Infrastruktur ist für die Entwicklung Berlins und ihre Verzahnung mit der Hauptstadt-Region eine entscheidende Daseinsvorsorge, die es auszubauen gilt.
Wie gelingt es uns aber, diese wichtigen strukturellen Themen anzugehen? Wir sind der festen Überzeugung, dass Lösungen, die Nachhaltigkeit zum Qualitätsversprechen machen, hier die beste Gelingens-Chance haben. Denn Nachhaltigkeit ist kein Trend, sondern eine unaufhaltsame Veränderung des gesellschaftlichen Anspruchs, soziale, ökologische und ökonomische Interessen in den Ausgleich zu bringen. Nachhaltigkeit kann dabei zum Geschäftsmodell für die Wirtschaftsmetropole Berlin werden. Die großen ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Stadt müssen dafür jedoch im Schulterschluss der Politik mit der Wirtschaft gelöst werden.

von Daniel-Jan Girl, Präsident der IHK Berlin, Vizepräsident Robert Rückel und Sebastian Stietzel, ebenfalls Vizepräsident, im Namen des gesamten Präsidiums der IHK Berlin