BW 04/2022 - Fachkräfte

Einstieg per Sprach-Tandem

Die Initiative Arrivo unterstützt Geflüchtete beim Übergang in den Arbeitsmarkt. Zentrales Element ist dabei die Vermittlung von Deutschkenntnissen
In den Jahren 2015 und 2016 haben das Land Berlin und die Berliner Wirtschaft auf die Zuwanderung aufgrund von Flucht reagieren müssen. Nachdem die Geflüchtetenzahlen in Deutschland im Jahr 2008 mit nur 28.000 auf einem Tiefstand lagen, stiegen sie in den Folgejahren nur leicht, explodierten 2015 und erreichten 2016 mit 746.000 gestellten Asylanträgen einen Höchststand. Der Auslöser waren der Bürgerkrieg in Syrien und wachsende Instabilitäten in Krisenregionen unserer Welt.

Strukturen bereits vorhanden

Die ankommenden Menschen konnten zuerst nur durch die große Leistung des Ehrenamts aufgefangen werden. Schnellstmöglich wurde sich auch, durch die Landesregierung organisiert, der Unterbringung von Geflüchteten gewidmet. Hauptämter wurden geschaffen, um eine Unterstützungsstruktur zu etablieren, es etablierten sich mehr Sprach- und Integrationskurse. Auch die Wirtschaft war aktiv und hat pragmatische Initiativen geschaffen, die die Arbeitsmarktintegration begleiten sollten. So kam es auch zur Gründung von Arrivo, die bis heute aktiv ist und geflüchtete Menschen beim Übergang in den Arbeitsmarkt unterstützt. Sie bestärkt auch Unternehmen darin, sie auszubilden. Zwar hat Corona den positiven Trend gebremst, aber heute gehen 500.000 Menschen aus Asylherkunftsländern in Deutschland einer Beschäftigung nach. Momentan gibt es eine der größten Fluchtbewegungen in Europa. Strukturen sind glücklicherweise bereits geschaffen. Klar ist auch, dass der wichtigste Schritt der Spracherwerb ist. Genau hier knüpft Arrivo an.
Seit Mai 2021 hat das „Arrivo Berlin – Servicebüro für Unternehmen“ eine Kooperation mit dem Zertifikatsstudium „Deutsch im Mehrsprachigkeitskontext“ der Humboldt-Universität zu Berlin. Der Studiengang richtet sich an Studierende, die sich auf den Erwerb und die Vermittlung der deutschen Sprache spezialisieren möchten. Im Rahmen eines Praktikums trainieren sie, sprachliche Lern- und Lehrprozesse zu planen, zu analysieren und erfolgreich zu gestalten.
Das Servicebüro berät Berliner Unternehmen, die Geflüchtete ausbilden oder beschäftigen – also Personen, die erst seit wenigen Jahren Deutsch lernen. Diese Zusammenarbeit stellt für alle Beteiligten eine Win-win-Situation dar: Die Studierenden können ihr Erlerntes in Sprach-Tandems praxisnah anwenden, und die Unternehmen und ihre Beschäftigten profitieren von der individuellen Sprachförderung.
Das zeigt u. a. das Beispiel des IT-Dienstleistungszentrums Berlin (ITDZ Berlin). Im Frühjahr 2020 meldete sich Aljona Awer, Ausbildungsleiterin im ITDZ Berlin, beim Servicebüro. Sie suchte für ihren Auszubildenden Firas Howari Unterstützung beim Spracherwerb. Howari, der ursprünglich aus Syrien stammt, hatte 2019 die Ausbildung zum Fachinformatiker Systemintegration angefangen und noch große Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache.

Ehrenamtliche unterstützen Geflüchtete

Die Anfrage kam mitten im Corona-Lockdown, die Berufsschule fand nur im Distanzunterricht statt. Ein Sprachkurs am zuständigen OSZ für Informations- und Medizintechnik konnte wegen der Pandemielage auch Monate später nicht starten. Gerade für Geflüchtete eine belastende Situation.
Das Servicebüro organisierte über das Landesprogramm Mentoring einen Ehrenamtlichen, der Howari in alltäglichen Dingen unterstützen konnte. Der Mentor war zudem Informatiker, sodass er auch fachlich eine große Hilfe war. „Das Mentoring-Programm ist eine super Sache, doch eine richtige Sprachförderung kann das natürlich nicht ersetzen“, so Nadja Türke, Projektleiterin des Servicebüros. „Die Kooperation mit dem Zertifikatsstudium war eine großartige Fügung, die auch in Nicht-Pandemie-Zeiten das Sprachlernangebot gut ergänzen wird.“
Besser einsteigen
Die Einstiegsqualifizierung ist ein Langzeitpraktikum, angelehnt an das erste Ausbildungsjahr. Sie wird neben der praktischen Arbeit im Betrieb absolviert.

Individuelle Begleitung beim Spracherwerb

Howari ist jetzt Teil eines Sprach-Tandems und trifft sich mit „seiner“ Studentin regelmäßig, um zum Beispiel mithilfe seines Berichtshefts grammatikalische Strukturen und schulische Aufgaben zu bearbeiten. Für die Zwischenprüfung im Herbst werden gemeinsam typische Aufgabenstellungen und deren Bedeutungen geübt.
„Wir setzen die Sprach-Tandems vor allem für Teilnehmende einer ,Einstiegsqualifizierung‘ und – wie in Firas’ Fall – für Azubis in der Prüfungsvorbereitung ein“, erklärt Nadja Türke. Während der Einstiegsqualifizierung geht es vorrangig um eine erste Sprachdiagnose und individuelle Begleitung, die den sprachlichen Einstieg in der Berufsschule und im Betrieb erleichtern. In der Prüfungsvorbereitung gehen die Studierenden noch einmal auf die Besonderheiten der Prüfungssprache ein, es können Präsentationen oder spezielle Formulierungen einer Projektdokumentation besprochen werden – wie sie zum Beispiel bei den Fachinformatikern zur IHK-Abschlussprüfung verlangt wird.
„Wir bilden mehrere Geflüchtete aus, aber bei der Sprachförderung kommen wir an unsere Grenzen. Wir sind daher glücklich, dass Firas jetzt so große Fortschritte macht“, sagt die ITDZ-Ausbildungsleiterin Aljona Awer. Inzwischen bestehen sieben Tandems für zehn Betriebe bzw. 16 Auszubildende und Teilnehmende einer Einstiegsqualifizierung.
Das „Arrivo Berlin – Servicebüro für Unternehmen“ wird gefördert von der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und ist Teil der Dachmarke „Arrivo Berlin“. Träger des Servicebüros ist der Verein zur Förderung der beruflichen Bildung Berlin, dessen Mitglieder die IHK Berlin, die Handwerkskammer Berlin, die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und der Verband Freie Berufe Berlin sind.
Arrivo Berlin – Servicebüro für Unternehmen
Tel.: 030 / 80 49 33 00 | info@arrivoservicebuero.de

von Christine Nadler