BW 09/2021 – Schwerpunkt | Interview

„Frauen fördern Frauen am besten“

Seit zwölf Jahren ist Constanze Buchheim mit ihrer Personalberatung, der i-potentials GmbH, im Bereich Executive Search tätig. Unter anderem will sie in dieser Funktion Frauen helfen, verstärkt in den Führungsetagen der Unternehmen anzukommen – aus gesellschaftlicher Verantwortung, aber auch, weil es relevant für das Geschäft ihrer Auftraggeber ist.

Berliner Wirtschaft: Wie oft kommt es vor, dass Sie gezielt eine Frau als Mitglied eines Vorstands oder einer Geschäftsführung suchen sollen?

Constanze Buchheim: Es kommt tatsächlich vor, dass Unternehmen auf uns zukommen und sagen: Es wäre schön, wenn wir diese Rolle mit einer Frau besetzen könnten. Derzeit häuft sich das sogar massiv. Aber es geht natürlich vor allem darum, für die Spitze des Unternehmens die bestmögliche Besetzung – unabhängig vom Geschlecht – zu finden. Wir sind verpflichtet, sämtliche Möglichkeiten gleichermaßen zu evaluieren und grundsätzlich allen eine Chance zu geben.

Warum häuft sich das Interesse an Frauen für Führungspositionen so stark?

Wenn sich die Unternehmensführung auf Fotos beispielsweise als Team aus acht Männern präsentiert, kommt es in den sozialen Medien immer häufiger zu einem heftigen Shitstorm. Die Topmanager merken dann selbst, dass ein Handlungsbedarf besteht und die Dringlichkeit zunimmt. Die öffentliche Debatte produziert einen hohen Druck und bewirkt sehr viel für Frauen. Ohne diesen Druck würden viele Unternehmen in der Komfortzone verbleiben und ihre Muster im Recruiting nicht verändern.

Wie sieht dieses Muster aus?

Unternehmer, Investoren und Topmanager vertrauen den Menschen, die ihnen ähnlich sind oder aus den gleichen Netzwerken kommen. Das gilt für das Geschlecht, aber zum Beispiel auch für die Altersgruppe oder Herkunft. Männer verlassen sich tendenziell also eher auf Männer und Frauen eher auf Frauen. Weil die Geschwindigkeit im Markt zunimmt und damit auch der unternehmerische Druck, orientieren sich Unternehmer heute oft sogar noch stärker an dem Ähnlichkeitsmuster, weil sie glauben, so auf Nummer sicher zu gehen.

Das läuft dem Gedanken der Diversität aber komplett entgegen.

Richtig. Eigentlich muss es das Ziel der Unternehmen sein, ihre Organisation stärker auf Kundenorientierung zu trimmen. Dafür ist es notwendig, unterschiedliche Persönlichkeitsprofile im Management zu haben, um viele verschiedene Kundenbedürfnisse zu erkennen. Gerade die hohe Dynamik in vielen Märkten zwingt Firmen heute, ihre Teams diverser aufzustellen. Diese Notwendigkeit steht in vielen Unternehmen tatsächlich im Widerspruch zum Bedürfnis, in den alten Rekrutierungsmustern zu verbleiben.

Wie kann dieser Widerspruch aufgelöst werden, damit Frauen mehr Chancen in Führungspositionen erhalten?

In vielen Firmen wird zu stark über den Bauch rekrutiert. Mit mehr Rationalität versachlichen wir den Auswahlprozess. Beispiel: Eine Firma mit eher introvertierten Charakteren an der Spitze braucht eine Führungspersönlichkeit, die mitreißen kann und Storytelling beherrscht. Dann bewirbt sich jemand, der diese Fähigkeiten hat, aber abgelehnt wird. Es heißt dann: Die Person redet zu viel. Aber die Qualität, offensiv zu kommunizieren, wurde von Anfang an gesucht. In rationalen Diskussionen und über klare Bewertungskriterien können wir an das ursprüngliche Ziel erinnern und Entscheidungsträger vom Ähnlichkeitsmuster abbringen.

Frauen profitieren also von der Rationalität in Auswahlprozessen?

Ja, weil heute die meisten Entscheidungsträger männlich sind und nach den alten Mustern wieder Männer suchen. Wir sagen immer: Unternehmer wollen häufig Frauen suchen, aber selten Frauen finden. Es reicht ihnen, wenn sie am Ende sagen können: Na ja, wir haben es ja probiert. In rationalen Diskussionen ist die Ablehnung dann aber oft nicht mehr zu begründen. So können wir Veränderungen zugunsten von Frauen bewirken.

Verhalten sich Frauen, die sich auf Führungspositionen bewerben, in den Interviews mit den Entscheidungsträgern anders als Männer?

Männer treten oft aggressiver auf, wenn es um das Thema Wachstum geht. Sie fokussieren sich viel stärker auf Wachstumsziele, während Frauen ihre Argumentation oft auf mehrere Komponenten der Unternehmensentwicklung ausdehnen. Männliche Investoren springen aber sehr stark darauf an, wenn ihnen ein schnelles Wachstum des Geschäfts versprochen wird. Deshalb ist es wichtig, dass nach und nach mehr Frauen in den Investmentgesellschaften und Gesellschafterkreisen sitzen.

Verfolgen Männer also ehrgeizigere Zielsetzungen bei der Unternehmensentwicklung als Frauen?

Nein, das würde ich nicht sagen. Männern kommunizieren ihre Ambitionen nur aggressiver und verkaufen sich auf diese Weise hin und wieder besser. Beim weiblichen Führungsstil sehe ich eine stärkere Tendenz zu einem nachhaltigen Wachstum, das auf einem solideren Fundament steht. Es gibt Statistiken, denen zufolge Frauen langfristig eine höhere Kapitalrentabilität erzielen. Wenn Investoren aber auf schnelle Erfolge abzielen, interessiert das nicht.

Wird Männern im Topmanagement mehr Geld als Frauen gezahlt?

Ja, es gibt Gehaltsunterschiede, teils auch beträchtliche. Das liegt aber in meiner Beobachtung nicht zwangsläufig daran, dass Frauen im Topmanagement strukturiert benachteiligt werden. Es hängt eher damit zusammen, dass Frauen deutlich häufiger kein Gefühl für den Markt entwickeln. Männer vergleichen sich eher in ihren Netzwerken und fragen: Wo stehst Du gerade? Wann hast Du diese Stufe erreicht? Wie hast Du argumentiert? Sie kommen oft mit einer Gehaltsforderung, die absolut stimmig ist mit der aktuellen Marktlage. Bei Frauen erlebe ich häufiger, dass sie entweder komplett drüber hinausschießen oder weit drunter bleiben.

Wie können Ihrer Ansicht nach am besten geeignete Auswahlprozesse für Führungspositionen organisiert werden, um mehr Diversität ins Management zu bringen?

Wir brauchen divers besetzte Gremien im Recruiting. Wenn solche Gremien die Führungspositionen vergeben, dann ist das auch der Schlüssel zu mehr Diversität und zu mehr Frauen im Topmanagement. In einigen Unternehmen existieren solche speziellen Gremien schon. Bisher entscheiden in der Regel die amtierenden Vorstandsmitglieder in Kombination mit den Eigentümern beziehungsweise den Aufsichts- und Beiräten – meist alles Männer. Oft ist nicht einmal die Personalabteilung vertreten. So kann es keine Veränderungen geben.

Wer setzt sich heute in den Unternehmen am meisten für Frauen ein?

Frauen fördern Frauen am besten. Das eben erwähnte Ähnlichkeitsmuster kann man nicht allein den Männern vorwerfen. Es ist ein menschliches Muster und funktioniert in beide Richtungen. Weibliche Entscheidungsträger wählen tendenziell mehr Frauen aus. Wenn es uns also gelingt, mehr Frauen in relevante Positionen zu bringen, hat das automatisch einen Effekt für die Zukunft. Aber es gibt auch Männer, die erkannt haben, welche Potenziale sich ergeben, wenn sie erfolgreich mit Frauen zusammenarbeiten. Dieser Punkt liegt mir sogar besonders am Herzen.

Warum?

Wir sollten den Fokus nicht immer nur auf die Unternehmen richten, in denen Frauen in Führungspositionen keine Chancen bekommen, und über Männer schimpfen, die dort die Verantwortung tragen. Ich würde lieber einmal positive Gegenbeispiele aufzeigen und die Männer hervorheben, die sehr strukturiert Frauenförderung betreiben. Die gibt es nämlich auch, und diese Männer sind damit sehr erfolgreich. Das sind tolle Storys, die zu einem Umdenken beitragen können.

Sind Sie für Quotenregelungen?

Ja, absolut. Ohne diesen Druck würde das Ähnlichkeitsprinzip immer wieder gewinnen. Wenn wir nicht ganz aggressiv eine Veränderung der Ausgangslage produzieren und dafür sorgen, dass mehr Frauen in Entscheidungsrollen kommen, werden wir keine Veränderungen sehen. Sobald wir eine Veränderung erzielt haben, können wir die Quote auch wieder abschaffen. Ich glaube, dass eines Tages auch ohne Quote ein dauerhaftes Gleichgewicht bestehen kann.

Der Gesetzgeber hat beschlossen, dass in bestimmten größeren Unternehmen in Vorständen mit mehr als drei Mitgliedern mindestens eine Frau vertreten sein muss. Reicht Ihnen dieser eine Sitz oder fordern Sie eine Quote von 50 Prozent?

Eine Quote von 50 Prozent ist leider noch ein Traum. In vielen Firmen würde das zwar schon funktionieren. Aber in bestimmten Branchen geht das derzeit nicht, weil noch viel zu wenig Frauen mit einem technischen Bildungshintergrund in Führungspositionen drängen. Ich glaube, dass wir den berühmt-berüchtigten Tipping Point, also den Wendepunkt, bei gut 30 Prozent erreicht haben. Wenn etwa ein Drittel der Führungspersönlichkeiten weiblich sind und sich zudem einige Männer für mehr Geschlechter-Gerechtigkeit einsetzen, dann werden wir nachhaltig eine Veränderung erzielt haben.
von Michael Gneuss