BW 10/2021 - Schwerpunkt | Interview
„Nur gemeinsam können wir wachsen“
Roland Sillmann managt den Technologiepark Adlershof. Damit sich der Standort auch nach 2030 noch weiterentwickeln kann, baut er schon jetzt Kooperationen in Brandenburg auf
Die Wista Management GmbH hat nicht nur den Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof aufgebaut, sondern ist auch an anderen Berliner Zukunftsorten aktiv: Sie entwickelt den CleanTech Business Park in Marzahn, betreibt das Gründungszentrum Chic in Charlottenburg und baut in Dahlem den Innovationscampus Fubic auf. Geschäftsführer Roland Sillmann weiß daher, was Unternehmen von einem Standort erwarten, um sich zukunftsfähig aufzustellen. Nicht alles davon wird Berlin aber aus eigener Kraft gewährleisten können.
Roland Sillmann, seit Juli 2015 Geschäftsführer der Wista Management GmbH. im Zentrum für Photovoltaik und Erneuerbare Energien in Berlin-Adlershof.
Studiert hat Sillmann Maschinenbau und Business Engineering. Seine Karriere begann er im Institut für Solarenergieforschung. Danach war er für Schüco und als Gründer und Technik-Vorstand für Inventux Technologies tätig.
© Amin Akhtar - IHK Berlin
Berliner Wirtschaft: Wovon sprechen Sie lieber, wenn Sie Unternehmen Ihren Standort präsentieren: vom Wirtschaftsstandort Berlin oder von der Metropolregion Berlin-Brandenburg?
Roland Sillmann: Das kommt auf die Situation an. Gern spreche ich natürlich über Adlershof, denn aus unserem Technologiepark ist mittlerweile eine weltweit bekannte Marke geworden. Wenn ich über Berlin spreche, dann verwende ich oft den Begriff Metropolregion, weil wir eine große Chance in einer engen Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg sehen. Diese spielt auch in unserer Strategie „Adlershof 2030“ eine große Rolle.
Worin sehen Sie den Vorteil der Zusammenarbeit beider Länder?
Wir machen uns viele Gedanken darüber, welche Wachstumsperspektiven wir in Adlershof haben. Dabei fällt auf, dass der Verkehr das Potenzial stärker begrenzt als die noch verfügbaren Flächen. Schon jetzt wohnt ein Viertel der in Adlershof Beschäftigten in Brandenburg. Oft gibt es an deren Wohnorten keine guten Nahverkehrsverbindungen, sodass sie das Auto nehmen. Die Zahl dieser Pendler wächst dementsprechend stark. Ab etwa 2030 wird Adlershof an Attraktivität verlieren, weil der Autoverkehr kaum noch zu beherrschen sein wird – wenn wir nicht gegensteuern. Das geht nur zusammen mit Brandenburg.
Inwieweit kann eine Kooperation mit Brandenburg Ihnen dabei helfen?
Wir haben uns überlegt, wie wir mehr Menschen als bisher dazu bringen können, mit der Bahn zur Arbeit zu fahren. Es liegt nahe, sich auf Orte zu konzentrieren, die an bereits entwickelten Verkehrsachsen liegen, zum Beispiel auf die Stadt Lübben, mit der wir ein Pilotprojekt begonnen haben. Dort wird ein Co-Working-Space aufgebaut, in dem sich die Adlershofer Firmen einmieten können. Die Idee ist, dass Menschen in Adlershof arbeiten und in Lübben und Umgebung wohnen – aber nicht mehr jeden Tag nach Berlin fahren müssen.
Dann steht es den Mitarbeitern frei, ob sie in Adlershof oder in Lübben arbeiten?
Genau. Die Menschen können zum Beispiel drei Tage pro Woche im Lübbener Co-Working-Space arbeiten, müssen also nicht jeden Tag nach Adlershof pendeln. Unsere Firmen hier in Adlershof können ihren Mitarbeitern somit interessante Optionen für verschiedene Lebensphasen anbieten. Junge Talente zum Beispiel ziehen gern zunächst nach Kreuzberg oder Friedrichshain. Wenn sie dann 35 oder 40 Jahre alt sind, Kinder haben und eine kleine Stadt interessanter finden, bietet sich ein Umzug nach Lübben an, wo wir ihnen Infrastruktur für das Arbeiten bieten. So bleiben sie den Firmen als Wissensträger erhalten.
So entsteht in Lübben eine Adlershof-Community.
Ja, Lübben weist schon jetzt Gebiete speziell dafür aus. Wir haben die Stadt gezielt ausgewählt. Wir kooperieren auch deshalb mit Lübben, weil die Stadt gute Schulen, eine gute medizinische Versorgung und viel Lebensqualität bietet. Sonst wäre das Interesse seitens der Mitarbeitenden aus Adlershof auch zu gering. Darüber hinaus ist es für eine Stadt natürlich nicht schlecht, wenn zwei- oder dreihundert Akademiker aus Adlershof dort hinziehen und mit ihren Familien dort leben.
Gibt es derartige Kooperationen auch mit anderen Städten?
Nein, noch nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir das auch an anderen Standorten machen werden, übrigens nicht nur in Brandenburg, sondern auch in anderen Berliner Bezirken. Warum soll es nicht auch einen entsprechenden Co-Working-Space für Adlershofer Firmen in Pankow geben? Ein anderes sehr interessantes Projekt, in das wir uns gern einbringen würden, ist der sogenannte Lausitz Science Park, der in Cottbus entstehen wird.
Worum geht es dabei?
Über den Strukturhilfefonds fließen momentan sehr viele Finanzmittel in die Lausitz, was dazu führen wird, dass viele wissenschaftliche Einrichtungen sich in Cottbus ansiedeln werden – Fraunhofer-Institute zum Beispiel. Für den geplanten Lausitz Science Park soll Adlershof als Vorbild dienen. Wir glauben daher, dass es sinnvoll ist, einen Wissens-Korridor von Adlershof nach Cottbus zu definieren.
Was soll in diesem Korridor stattfinden?
An beiden Enden des Korridors ist wissenschaftliche Exzellenz angesiedelt, und zwischendrin können Menschen leben und interessante Industrieunternehmen angesiedelt werden – alles innerhalb einer Stunde mit der Bahn erreichbar. Damit haben wir das Potenzial für eine in Europa einzigartige Wissenschafts- und Wissenstransfer-Region. Adlershof ist immerhin Deutschlands erfolgreichster Technologiepark, der Lausitz Science Park könnte unter den erfolgreichsten drei sein.
In diesem Korridor könnten also noch einmal kleine Technologiepark-Ableger entstehen?
Es könnten dort Beschäftigte der Firmen aus den Technologieparks leben und zeitweilig vor Ort in Co-Working-Spaces arbeiten. Dabei werden sich sicherlich auch Netzwerkstrukturen, wie in den Technologieparks, bilden und durch zufällige Begegnungen – wie auch im Technologiepark – Innovationen entstehen. Außerdem ergeben sich für Firmen, die eines Tages in Berlin keine neuen Büroflächen mehr finden werden, in diesen Regionen Chancen zum Expandieren.
Wie gut arbeiten die Länder Berlin und Brandenburg aus Ihrer Sicht heute schon für die Metropolregion zusammen?
Es ist jetzt die Zeit gekommen, in der beide Länder verstehen: Ein Standortwettbewerb ist zwischen ihnen nicht mehr sinnvoll. Die Ansiedlung des Automobilherstellers Tesla hat dazu viel beigetragen. Ein Unternehmen wie Tesla unterscheidet nicht zwischen dem Berliner Stadtgebiet und dem Umland in Brandenburg. Es sieht nur die Metropolregion. Es geht ihm darum, dass der Zugang zu Wissenschaft und Wissen gegeben und der Standort attraktiv für Talente ist. Und natürlich müssen Flächen vorhanden sein. Immer wichtiger wird auch, dass regenerative Energien vor Ort nutzbar sind.
Warum sind den Firmen regenerative Energien und Klimaneutralität so wichtig?
Es ist perspektivisch ganz wichtig für sie, dass sie am Standort CO2-neutral werden können – insbesondere, wenn sie im Business-to-Business-Bereich tätig sind. Denn andernfalls werden viele Geschäftskunden bald bei ihnen nicht mehr kaufen. Allein kann aber weder Berlin noch Brandenburg diese ganzen Bedürfnisse der Unternehmen erfüllen. Viele Themen, die uns wirtschaftlich und gesellschaftlich zukunftsfähig machen, werden wir nur mit Brandenburg gemeinsam lösen. Nur gemeinsam können wir wachsen.
Sie sagten, der Verkehr wird das Wachstum in Adlershof stärker begrenzen als die Flächen. Sind die Straßen wirklich schon so verstopft?
Heute noch nicht, aber es ist unsere Aufgabe, vorauszudenken und Probleme zu erkennen, die in fünf oder zehn Jahren auf uns zukommen. Wir haben 2018 zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, das sehr gut in der Verkehrsforschung ist, die Entwicklung am Standort Adlershof analysiert. Das Ergebnis war, dass wir hier auf etwa 30.000 Beschäftigte anwachsen können. Heute sind es 22.000 Personen. Ende dieses Jahrzehnts wäre der Punkt erreicht, an dem die Straßen voll sind, sofern wir bis dahin nichts unternommen haben. Die Flächen reichen dagegen aus, um 40.000 oder 50.000 Menschen hier zu beschäftigen.
Hätte der Verkehr in Adlershof von Anfang an anders geplant werden müssen?
Es konnte niemand ahnen, welche Nachverdichtung sich aus den heutigen Arbeitsformen ergibt. Durch Co-Working-Spaces entfallen in Bürogebäuden heute nur noch 13 Quadratmeter auf eine Person. Früher waren es einmal 30 Quadratmeter. Daraus ergibt sich ein enormes Potenzial.
Roland Sillmann sieht es als eine seiner Aufgaben an, gute Rahmenbedingungen für
den Technologiepark Adlershof zu schaffen und dabei vorherzusehen, was in fünf oder
zehn Jahren wichtig für die Firmen sein wird. Ein Punkt: der Zugang zu Talenten
© Amin Akhtar - IHK Berlin
Gibt es denn eine so große Nachfrage nach Flächen in Adlershof, dass sie die Beschäftigtenzahl hier verdoppeln können?
Die Nachfrage ist ungebrochen. Wir wachsen pro Jahr zwischen sechs und neun Prozent, sowohl beim Umsatz als auch bei den Beschäftigten. Wir können in diesem Tempo noch 20 Jahre weiterwachsen. Wir achten aber stark darauf, dass die Firmen, die wir hier ansiedeln, technologisch unserem Profil entsprechen und sie damit einen Mehrwert für den ganzen Standort bringen.
Welche Technologie-Sektoren sind für Sie hier am Standort die wichtigsten?
Die Optik ist unser bekanntester Technologieschwerpunkt und zusammen mit der IT auch der wichtigste. Alle IT-Unternehmen sind aber auf das Business-to-Business ausgerichtet – Blockchain, künstliche Intelligenz und Cybersecurity sind typische Themen. Außerdem haben wir den Bereich der regenerativen Energien, die Mikrosystemtechnik sowie Biotechnologie und Materialien. Unser Ehrgeiz ist es, einen Beitrag zur Lösung der Grand Challenges, der großen globalen Herausforderungen unserer Zeit, zu leisten. Dafür ist die Entwicklung neuer Materialien enorm wichtig.
von Michael Gneuss