BW 03/2021 – Fachkräfte
Stillstand sucht Strategie
Die Pandemie beherrscht die Wirtschaft, das zeigen auch die Beschäftigungszahlen. Für die Zukunft braucht es vor allem eins: Ideen für den Neuanfang
Die Corona-Pandemie hatte die Berliner Wirtschaft im vergangenen Jahr fest im Griff, und der Effekt auf den Arbeitsmarkt war so stark wie in keinem anderen Bundesland: Zum Jahresende waren 52.238 Personen mehr arbeitslos gemeldet als Ende 2019. War die geringe Exportabhängigkeit in vergangenen Wirtschaftskrisen noch ein Vorteil, wirken sich die pandemie-bedingten Einschränkungen für beispielsweise Gastronomie, Hotellerie sowie Kultur und Kreativbranche besonders einschneidend auf die Beschäftigung am Standort aus.
35 Prozent weniger Stellen gemeldet
Dass es nicht zu noch mehr Stellenabbau gekommen ist, hängt maßgeblich mit der Kurzarbeit zusammen. Seit November haben in Berlin 8.647 Betriebe Kurzarbeit für 69.334 Mitarbeitende angemeldet. Lag die realisierte Kurzarbeit für den Oktober mit 87.946 Beschäftigten deutlich unter den Zahlen des Frühjahrs 2020, so ist für den Jahresbeginn wieder von einer deutlichen Erhöhung auszugehen. Besonders betroffen hier: Gastronomie, Einzelhandel, Tourismus und verschiedene Dienstleistungen. Ein weiteres Indiz für die Dimension der Krise ist die Nachfrage nach neuen Arbeitskräften. Der regionale Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit zeigte im Dezember 2020 ein Zehnjahrestief an. Insgesamt wurden über das letzte Jahr rund 35 Prozent weniger neue Stellen gemeldet als 2019.
Dennoch gibt es – wie in jeder Krise – neben den Verlierern auch Gewinner. Bei vielen Firmen ist kein Ende des Fachkräftemangels in Sicht. So geben fast die Hälfte der Berliner Unternehmen in der aktuellen IHK-Konjunkturumfrage an, dass der Fachkräftemangel nach wie vor ihr größtes Geschäftsrisiko sei. Besonders im Baugewerbe (89 Prozent), im IT-Sektor (71 Prozent) und den unternehmensbezogenen Dienstleistungen (58 Prozent) können Betriebe offene Stellen derzeit nicht besetzen.
Doch wie sieht die zu erwartende Entwicklung für die kommenden Monate aus, und welche Beschäftigungsperspektiven ergeben sich für 2021? Prognosen sind äußerst schwierig, denn die Konjunktur kann, abhängig von der Entwicklung der Außenwirtschaft, des Infektionsgeschehens und der Verfügbarkeit von Impfstoffen sowie möglicher Insolvenzen, mehr oder weniger stark anziehen. Trotz dieser Unsicherheiten wird von den Arbeitsmarktexperten der Bundesagentur für Arbeit für dieses Jahr in Berlin der relativ gesehen stärkste Beschäftigungsaufbau (+1,6 Prozent) im Bundesvergleich erwartet. Damit wäre das Wachstum für 2021 im Durchschnitt deutlich geringer als in den Jahren zuvor. So wird davon ausgegangen, dass in den Betrieben zunächst Kurzarbeit abgebaut werde und die Zahl der Neueinstellungen gering bleiben dürfte.
Bei der Arbeitslosigkeit, die im Zeitraum von 2016 bis 2019 durchschnittlich um 5,9 Prozent gesunken ist, wird für das Jahr 2021 nur ein Rückgang um 1,2 Prozent prognostiziert. Ein Grund hierfür ist, dass sich in Berlin im Zeitraum von März bis August 2020 vor allem die Arbeitslosigkeit nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II deutlich erhöht hat. Diese Personen – zu denen auch der Kern verfestigter Arbeitslosigkeit gehört – haben im Gegensatz zu SGB-III-Arbeitslosen, die erst kürzlich ihren Job verloren haben, weniger gute Chancen, schnell eine neue Beschäftigung zu finden. Hinzu kommt, dass während der Krise viele arbeitsmarktpolitische Maßnahmen nicht zur Verfügung standen. Sollte der Regelbetrieb im Laufe des Jahres wieder anlaufen, ist mit einer Reduzierung der Arbeitslosenzahlen in beiden Rechtskreisen zu rechnen.
Digitalisierung notwendiger denn je
Ein weiterer Corona-Effekt ist die Beschleunigung der Digitalisierung: So melden laut aktueller IHK-Umfrage mehr als 40 Prozent der Betriebe eine gestiegene Notwendigkeit zur Digitalisierung in ihrem Betrieb. Wenn Unternehmen hier auf das Gaspedal drücken, verändern sich auch die Anforderungen an Beschäftigte. Arbeitsinhalte werden vielfältiger und komplexer, die Relevanz des kontinuierlichen Lernens wächst. Das erhöht die Notwendigkeit einer konsistenten Weiterbildungsstrategie für Berlin. Zudem ist davon auszugehen, dass rund zwei Drittel der arbeitslos gewordenen Personen eine Anschlussbeschäftigung in einem anderen Beruf anstreben werden. Daher müssen Umschulungen und Quereinstiege stärker als in den Jahren zuvor in den Fokus rücken. Für die boomenden Innovationsbranchen wie den IT-Sektor oder den E-Commerce spielt dennoch die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland weiter eine zentrale Rolle.
Berlin hat in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass es zur Erneuerung imstande ist. Damit auch diesmal eine Aufbruchsstimmung erfolgen kann, muss die Politik nun die Weichen für den Weg aus der Krise stellen. Hierfür ist eine landesseitige Gesamtstrategie notwendig.
von Julian Algner und Julian Evans