BW 03/2021 – Branchen
Im falschen Film
Die Ergebnisse des Medienbarometers belegen einmal mehr: Die Medien- und Kreativwirtschaft hat die Pandemie besonders hart getroffen. Welcher Weg führt aus der Krise?
Seit über einem Jahr hat die Pandemie das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben im Griff. Während Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen weniger von den Auswirkungen betroffen sind, hat es die Medien- und Kreativwirtschaft in ihrer Gänze erwischt. Dabei sind es vor allem Umsatzeinbußen und notgedrungene Umstrukturierungen, die von der Branche als die größten Herausforderungen gesehen werden – so lassen sich die zentralen Ergebnisse des Medienbarometers vom media:net berlinbrandenburg zusammenfassen. An der Umfrage beteiligten sich über 200 Unternehmen der Berliner Medien-, Kreativ- und Digitalwirtschaft im Zeitraum von August bis Oktober 2020.
Das ist im Grunde nichts Neues, sondern vielmehr ein Spiegelbild der Situation der gesamten Wirtschaft in Berlin und bundesweit. Doch die Branche würde nicht Kreativwirtschaft heißen, wenn sie sich nicht schnell auf die neue Situation einstellen und handeln würde – soweit es mit Eigenmitteln (noch) umsetzbar ist. So geben 79 Prozent der befragten Unternehmen mit sechs bis zehn Mitarbeitern an, dass sie neue Geschäftsfelder erschließen und betriebsinterne Strukturen und Workflows (53 Prozent) optimieren möchten. Auch die Umstellung aufs Homeoffice empfanden 67 Prozent der Unternehmen als produktiv. Auf der anderen Seite haben schon zwischen August und Oktober mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen staatliche Unterstützungsprogramme in Anspruch genommen.
Kreativ mit konzilianter Note ging man im ersten Lockdown damit um – nach dem Motto: Wir müssen da ja eh alle durch. So ist es heute aber bei Weitem nicht mehr. Spätestens mit dem Beginn des zweiten Lockdowns und der Gewissheit, dass das Virus resistent gegen Wünsche von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ist, hat sich die Schere weiter geöffnet. Finanzielle Rücklagen sind aufgebraucht, beim Umsatz ist der Wunsch Vater des Gedankens, staatliche Hilfen kommen nicht rechtzeitig an, und die Förderung ist (trotz diverser Nachbesserungen) nach wie vor nicht dezidiert auf die Branchenbedürfnisse ausgerichtet.
Leila Hamid, Vorstandsvorsitzende der X Verleih AG, meint dazu treffend: „Es hilft nicht, die Kinos zu fördern und Verleiher allein zu lassen. Dann sind irgendwann die Kinos wieder offen, aber es gibt keine Filme mehr.“ Ein berechtigter Einwand, denn wenn durch zu eng gefasste Förderrichtlinien der Lebensunterhalt und die Mieten nicht finanziert und Wertschöpfungsketten unterbrochen werden, gewinnt am Ende keiner. Das gilt in nahezu allen Teilbranchen der Kulturund Kreativwirtschaft , besonders in der Veranstaltungswirtschaft (Kultur, Musik, Clubs etc.), die komplett zum Erliegen gekommen ist.
Wenn ein Glied in der Kette fehlt, heißt es kurzfristig zu handeln, aber langfristig zu denken. Dazu gehört politischer Mut, jetzt nicht nur Konzepte für den Re-Start zu entwickeln, sondern entsprechend den hygienischen Vorgaben Testläufe zu machen und Erfahrungen für eine hoffentlich baldige Normalität zu sammeln. Was spricht gegen Schnelltests vor Veranstaltungen? Fehlendes medizinisches Personal oder der hohe logistische Aufwand, wie es aus dem Kultursenat Mitte Januar im „Tagesspiegel“ hieß? Das kann es wahrlich nicht sein.
Auch das von der Mehrheit der Unternehmer im ersten Lockdown als positiv empfundene Homeoffice hat leichte Risse erhalten. So will Timo Ullmann, Managing Director beim Games- Unternehmen Yager Development, die Vorteile auch nach der Pandemie weiter nutzen. Er sieht aber auch, dass soziale Kontakte am Arbeitsplatz nicht ersetzt werden können und neue Mitarbeiter kaum die Möglichkeit haben, in ein Team hineinzuwachsen. Für Leila Hamid kommt die Belastung von Familie und Homeoffice hinzu, und sie führt mit Blick auf die soziale Situation Einzelgespräche mit ihren Mitarbeitern. Das sei zwar Mehrarbeit, aber Teamgespräche allein reichten einfach nicht mehr aus.
Zudem hat die Pandemie brutal gezeigt, was wir eigentlich schon lange wissen: Unser soziales System ist zwar weltweit mit führend, hat aber gerade im Lockdown bekannte Schwächen aufgezeigt, die von der Politik endlich angegangen werden müssen. Stichwort: Soloselbstständige. Ihr Anteil ist in der Kultur- und Kreativwirtschaft im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbranchen am höchsten, in Berlin und bundesweit. Und sie fallen durchs Raster. Der direkte Absturz in die Grundsicherung ist vorprogrammiert, denn eine Arbeitslosenversicherung bleibt aufgrund der gesetzlichen Eingangsvoraussetzungen häufig unerreicht.
Berufliche Umorientierung als gern genannter Lösungsansatz der Agentur für Arbeit? Nein danke, der daraus resultierende weitere Fachkräftemangel würde die Branche nach Corona hart treffen. Statt politischen Geplänkels ist jetzt Bewegung gefragt – „Brot und Spiele“ haben nun mal auch nur eine bedingte Haltbarkeit.
von Jürgen Schepers