BW 03/2021 – Agenda
Priorität für die Unternehmen
Nach Corona hat die Wirtschaft Vorrang, so Andreas Geisel im IHK-Talk. Deutlich wurde auch, dass Berlins Innensenator sich klare Verhältnisse wünscht
Mit Andreas Geisel, dem Berliner Innensenator und stellvertretenden SPD-Landesvorsitzenden, diskutierte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder am 4. Februar die Herausforderungen für einen Re-Start der Wirtschaft und die Belastungen für die Unternehmer. Auch ein Blick aufs Wahljahr 2021 wurde gewagt bei diesem Termin, der coronabedingt wieder ohne Live-Zuschauer stattfinden musste. Für die digitale Veranstaltung trafen sich Moderator und Gast im „IHK-Fernsehstudio“. Rund 130 Zuschauer waren an den Bildschirmen dabei und äußerten sich teils lebhaft, teils kritisch im nebenherlaufenden Chat.
Corona diktiert die Bedingungen: Auf Abstand und mit Maske begrüßt
IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder (r.) seinen Gast, den Berliner Innensenator Andreas Geisel
© CHRISTIAN KRUPPA
Jan Eder stellte Geisel kurz vor: ein über Jahre bekannter Politiker, der einen handfesten Beruf als Fernmeldemechaniker gelernt hatte, danach an der Hochschule für Verkehrswesen in Dresden „Ökonomie des Nachrichtenwesens“ studierte und sich an der Humboldt-Universität den Fächern Volks- und Betriebswirtschaftslehre widmete. Er sammelte Wirtschaftserfahrungen bei der Unternehmensberatung PwC und schlug bald darauf die politische Laufbahn ein: Nach Anfängen im Bezirksamt Lichtenberg stieg er dort zum Bezirksbürgermeister auf. Danach ging es vorwärts in der Berliner Landespolitik: Von 2014 bis 2016 war Andreas Geisel Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, seit 2016 ist er stellvertretender SPD-Landesvorsitzender und Mitglied im Abgeordnetenhaus, seit 2016 Senator für Inneres und Sport.
In seinem Impulsvortrag „Corona – Stresstest für unsere Demokratie“ spannte Geisel einen breiten Bogen: So beschäftigte ihn der Umstand, dass es im vergangenen Jahr 6.000 Demonstrationen in Berlin gab, das waren mehr als sonst, und dass viele Menschen – trotz oder wegen Corona – ihre Meinung, ihre Empörung auf die Straße trugen. Geisel beobachtet in der Gesellschaft eine Zerrissenheit, ein Gegeneinander, das gemeinsames Handeln unendlich schwermacht. Mit Blick auf die Corona-Krisenpolitik des Senats sagte der Politiker: „Klar ist auch, wir haben keine Blaupause, und klar ist, wir machen Fehler.“
Geisel berichtete von dem Betreiber einer Karaoke-Bar, der am pandemiebedingten Berufsverbot verzweifele und deshalb auch zunehmend den Sinn der strikten Maßnahmen infrage stelle. Geisel machte deutlich, dass es sehr schwerfalle, diese harten Entscheidungen zu treffen, und erklärte, wie sich die Bundesund Landesregierung von Experten – Ärzten, Virologen, Psychologen – beraten lässt. Wie geht es also weiter, fragte Geisel. Die Auswirkungen in der Gastronomie und Hotellerie seien kaum abschätzbar. Der Innensenator äußerte die Sorge, dass „wir sehr schweren wirtschaftlichen Zeiten entgegengehen“. Die Konsequenz liege für ihn deshalb auf der Hand: Für die nächsten Jahre müsse die Wirtschaft, vor allem bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, Vorrang erhalten, so Geisel.
Die dramatische Lage der Berliner Unternehmen wurde im Chat deutlich: So berichtete Reise-Unternehmer Björn Awe über das de facto Berufsverbot für seine Branche und wollte wissen, wie er planen könne, wann Maßnahmen zurückgefahren werden und warum es kein „Entschädigungsgesetz“ für Unternehmer gebe. Geisel verwies darauf, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sehr umfangreiche Hilfsprogramme verabschiedet habe – auch für die Wirtschaft. Allerdings stimmte er dem Fragesteller zu, dass die Auszahlung der Winterhilfen viel zu langsam vonstattengegangen sei. Und ja, es gebe durchaus Lockerungspläne: Als Erste seien sicher die Grundschulen an der Reihe, danach kämen Einzelhandel, Gastgewerbe und auch der Sport. Problematisch sei es immer für das Vertrauen, wenn die Politik widersprüchliche Botschaften in Umlauf bringe. Offenbleiben musste deshalb auch die Frage von Unternehmer Jürgen Jost nach den Kriterien für die Wiedereröffnung. Hier verwies Geisel auf die permanent stattfindenden Abstimmungsrunden und erläuterte nur so viel: Die Inzidenz allein werde nicht Basis für Lockerungen sein. Der Innensenator merkte an, dass der Impfgipfel leider „Ernüchterung gebracht“ habe. Es sei nicht einfach, so viel Impfstoff schnell herzustellen – auch nicht mit Kooperationen -, und es dauere einfach länger als gedacht.
Ein weiteres Schwerpunktthema in der Podiumsdiskussion war – natürlich – die Verwaltung. Mit dem Stichwort Berliner E-Government-Gesetz eröffnete Jan Eder diesen Themenblock und warnte seinen Gast gleich vor: „Herr Geisel, Sie ahnen schon, was jetzt kommt. Wann und wie kommen wir dem erwünschten Zustand nahe?“ Geisel erklärte, welche Fortschritte die Digitalisierung in der Verwaltung bereits gemacht habe: So konnten vor der Pandemie nur rund fünf Prozent der Verwaltungsmitarbeiter mobil arbeiten. Nun seien es 30 Prozent. Aber trotz dieser Fortschritte brauche es operative Möglichkeiten, das Gesetz besser durchzusetzen. Und den von der IHK mehrfach geforderten „Chief Digital Officer“ in der Senatskanzlei, der alles aus einer Hand steuern könnte, ja, der wäre nicht schlecht.
Natürlich waren auch die Abgeordnetenhauswahlen Thema im IHK-Talk, und Geisels Appell war eindeutig: „Ich habe die Bitte, für klare politische Mehrheiten zu sorgen.“ Kaum verwunderlich, ging es auch um die Frage, welches Amt Andreas Geisel nach den Wahlen anstrebt. „Was wäre Ihr Must-have für die SPD im Falle einer Regierungsbeteiligung? Welches Ressort würde Sie reizen?“, fragte Jan Eder zum Schluss. Geisel: „Ich trage gerne Verantwortung und ich bin sehr gerne Innensenator.“
von Christine Nadler